Zeitschrift „Contralínea“ in Mexiko: Wo Journalisten gefährlich leben
Mexiko gilt für Journalisten als gefährlichstes Land, in dem kein Krieg ist. Ein Erfahrungsbericht eines Mitarbeiters von „Contralínea“.
Wie sollte ein Redakteur reagieren, wenn er an einen beliebigen Tag die Redaktion betritt und vor Ort alles durcheinander findet und sämtliche Archive, Festplatten, Kameras und Computer entwendet wurden? Genau diese Erfahrung habe ich vor zwei Jahren in meiner Arbeit beim Wochenblatt Contralínea gemacht.
Es war nicht das erste Mal, dass mein Medium Contralínea Opfer von willkürlichen Angriffen wurde. Die Wochenzeitschrift ist 2002 mit einem linksgerichteten und regimekritischen, investigativen Ansatz entstanden und hat seitdem Aufmerksamkeit nicht nur von den Lesern, sondern auch von der Regierung bekommen.
Seit 2007 lief eine Hetzkampagne gegen die Publikation, nach Enthüllungen über einen Skandal mit dem staatlichen Mineralölkonzern Pemex und der Firma Zeta Gas. Seitdem hat der Druck auf die Zeitschrift stetig zugenommen. Seit 2010 brachen vier Mal Unbekannte in die Zeitung ein und entwendeten meist höchst sensible Information, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen seitens der Behörden.
Zumal die Behörden selbst bei der Verfolgung mitwirken, wie unser Direktor Miguel Badillo 2009 am eigenen Leib ertragen musste, als er von der Polizei verhaftet wurde. Die Firma Zeta Gas S.A. de C.V. hatte ihn verklagt. Der Grund war die Recherche von Ana Lilia Pérez – Journalistin bei Contralínea, die in Berlin eine Zeit im Exil verbracht hat – über die Geschäfte von Zeta Gas mit Pemex. Badillo wurde kurz danach wieder auf freien Fuß gesetzt, da ihm nichts nachgewiesen werden konnte. Die Verhaftung war überzogen: Es ist zu vermuten dass die Polizei zugunsten krimineller Banden arbeitete.
Einschüchterungsversuche
Später wurde in die Wohnung von Badillo eingebrochen, auch in die der Redakteurinnen Flor Goche und Elva Mendoza. Hier wurden erneut wichtige Dokumente, Computer und Festplatten entwendet. Immer wieder kam es zu Bedrohungen und Einschüchterungen per Telefon – manchmal anonym, manchmal explizit von Drogenkartells. Wenn Reporter von Contralínea an offizielle Quellen und Behörden für einfach Recherche kontaktieren, scheint es für sie immer schwerer zu sein als für andere Medien.
Der Staat hat auf die Bedrohung der Medien reagiert und Lösungen vorgeschlagen, um gefährdete Reporter zu schützen: Videoüberwachung der Eingänge zu Redaktionsräumen und Wohnorte der Journalisten, Personenschutz, außerdem können Journalisten ein Panik-Telefon bekommen, das sie im Notfall mit einer Zentrale verbindet und Hilfe vor Ort bringen soll.
Doch ich habe abgelehnt, als mir entsprechende Angebote gemacht wurden. Die Realität hat gezeigt, dass diese Maßnahmen im Notfall wenig helfen und die Arbeit nicht sicherer machen. Auch erfordern sie oft eine absolute Offenlegung der Privatsphäre, was nicht unbedingt im Interesse des Redakteurs ist.
Die Maßnahmen erwecken einen Schein der Sicherheit, der sich im Notfall als wenig effektiv erweist. Das Notfall-Handy braucht oft Zeit, um sich mit der Zentrale zu verbinden. Die Maßnahmen sind also oft nur kosmetisch, um einen Anschein von Sicherheit zu geben. Und den Anschein, dass die Politik auf die Bedrohung reagiert.
Finanzspritzen für unkritische Medien
Da sind die kleinen Provokationen fast zweitrangig, wie die Anwesenheit von suspekten Fotographen, die sehr intensiv die Redaktion von außen erkundigen und dann schnell wegrennen. All diese Phänomene sind Teil der Realität regimekritischer Medien, die gegen den Strom arbeiten müssen und oft keine Garantie auf Sicherheit und leibliche Integrität haben.
Nach einem Bericht der NGO Reporter Ohne Grenzen von 2016 gilt Mexiko als das gefährlichste für Journalisten weltweit, welches nicht offiziell im Kriegszustand ist.
Zu dieser Bedrohung kommt die finanzielle Lage: Es gibt öffentliche Förderung für Zeitungen, diese wird aber von der zentralen Regierung und den Bundesstaaten gezielt vergeben. Regierungsfreundliche Medien bekommen massenhaft Finanzspritzen, während die alternativen und unabhängigen Medien wenig oder gar nichts davon abbekommen. Der ehemalige Präsident von Mexiko José López-Portillo verteidigte diese Praxis sogar öffentlich: „No te pago para que me pegues“ – „Ich bezahle dich ja nicht, damit du mich schlägst“.
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