Zeitreisen für Anfänger: Ein Kuss für die Ewigkeit
Willkommen Marty McFly! Das Milchgesicht mit dem Skateboard aus „Zurück in die Zukunft“, kommt am Mittwoch in der Zukunft an.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nicht nur die Hüterin des Euro. Sie ist möglicherweise auch die Hüterin der Antwort auf eine der größten Fragen überhaupt: Sind Zeitreisen möglich? Leider gehört das Thema nicht zum Mandat der Bank.
Dazu ein Gedankenexperiment: Sollte die Menschheit der Zukunft eine Zeitmaschine erfinden, die Tourismusindustrie würde frohlocken. Zeitreise-Touris würden durch Wurmlöcher warpen, uns im Jahr 2015 besuchen und mit seltsamen Frisuren und weltfremder Kleidung in der Berliner U-Bahn nicht weiter auffallen. Aus Versehen würden sie mit Euro-Scheinen aus dem Jahr 2022 bezahlen – was im Falschgeld-Analysezentrum der EZB auffallen würde.
Wären die Scheine bis auf das Datum absolut perfekt, dann müsste das Geld aus der Zukunft stammen. Ein Sprecher der EZB schreibt allerdings auf Anfrage, von einem Zukunftsdatum auf einer Banknote habe er noch nicht gehört. Der dämlichste Fall von Falschgeld sei mal ein 30-Euro-Schein gewesen.
Die Recherche ist nicht komplett gaga, immerhin suchen Wissenschaftler nach Spuren von Zeitreisenden in der Gegenwart. Genau genommen sind es Robert J. Nemiroff und Teresa Wilson vom Department of Physics der Michigan Technological University. Die beiden hatten die Idee, dass sich dusslige Zeitreisende im Internet über Ereignisse informieren könnten, die noch gar nicht passiert sind.
Hawking allein zu Haus
Nemiroff und Wilson durchwühlten historische Tweets und Suchanfragen bei Bing und Google beispielsweise nach dem Stichwort „Pope Francis“, Papst Franziskus. Hat jemand vor dem März 2013 nach einem Papst gegoogelt, der noch gar nicht gewählt war? Ergebnis: Nein. Nemiroff erweiterte die Suche jetzt auf Bilder. Hat ein verstrahlter Zeitreisender eine Aufnahme des Pluto der Raumsonde „New Horizons“ ins Netz gestellt, bevor es die Bilder überhaupt gab? Ergebnis: nein.
Zurück in die Zukunft?
So, nun zum Selbstversuch. Falls Sie diesen Text in ferner Zukunft lesen und Zeitreisen möglich sein sollten: Bitte mailen Sie mir meinen Artikel in die Vergangenheit, zum 15. 10. 2015. Dann brauch ich ihn jetzt, am 19. 10. 2015, nicht zu schreiben. Anschließend könnten Sie noch Stephen Hawking besuchen.
Der hat 2009 eine Party für Zeitreisende organisiert. Er verschickte vor dem Fest keine Einladung, sondern danach. Er wollte prüfen, ob jemand in der Zeit zurückreisen würde, um ihn in seiner Tristesse zu erlösen. „Ich saß ziemlich lang rum und keiner kam“, sagte Hawking in einem Interview.
Ein Scherz des Zeitreise-Skeptikers Hawking. Aber wäre es denn nun möglich, Zeitreisen?
„Die meisten nüchternen Physiker würden die Frage mit Nein beantworten“, schreibt Brian Greene, einer der führenden Stringtheoretiker (eine irre Theorie über das Universum) und Professor an der Columbia University New York in seinem Buch „Der Stoff, aus dem der Kosmos ist“. Allerdings schränkt er ein: Niemand habe bewiesen, dass Zeitreisen in die Vergangenheit physikalisch ausgeschlossen sind.
Grau ist alle Theorie
Schuld ist wie immer Albert Einstein und seine Spezielle Relativitätstheorie. Die Formeln beschreiben die absurde Raum-Zeit, in der wir leben. Demnach flitzen wir stets und immer mit Lichtgeschwindigkeit durch eben diese Raum-Zeit. Je schneller durch den Raum, desto langsamer durch die Zeit. Die Summe bleibt immer gleich. Wer also mit Fast-Lichtgeschwindkeit durchs All fliegt, wird feststellen, dass auf der Erde die Zeit wesentlich schneller vergeht – und bei der Rückkehr in der Zukunft landen.
Die Formeln der Allgemeinen Relativitätstheorie sind noch verrückter. Dort lassen sich mathematische Beschreibungen von schnell rotierenden oder extrem dichten Massen wie Schwarze Löcher einsetzen. Dann rechnen Physiker jahrelang rum, um zu schauen, was dann – theoretisch – mit Raum und Zeit passiert. Heraus kommen Wurmlöcher im Raum-Zeit-Gefüge, aus denen der Physiker Kip Thorne, Professor am California Institute of Technology, eine theoretische Zeitmaschine schlussfolgert. Andere errechneten Closed Timelike Curves, geschlossene Zeitschleifen, bei denen Elementarteilchen in der Zeit zurückreisen könnten. Allerdings ist nichts davon je beobachtet worden.
Der deutsche Physiker Thomas Naumann erforscht am Beschleunigungszentrum Desy in Zeuthen, ob es mehr als drei Raumdimensionen gibt. Bis zu sieben weitere könnten es sein. „Das hört sich spektakulärer an, als es ist“, sagt Naumann am Telefon. Ein Praktiker mit klarer Meinung über die theoretischen Modelle zum Zeitreisen: „Das sind äußerst komplizierte mathematische Konstrukte, die vielleicht nur zehn oder 20 Menschen auf der Welt wirklich verstehen. Wenn überhaupt, hätten sie nur in extrem starken Gravitationsfeldern oder in der subatomaren Welt Bedeutung. Unter unseren Lebensbedingungen sind sie ohne jede praktische Relevanz. Wir werden also kein Reisebüro für Zeitreisen eröffnen können“, sagt er.
Schlechte Texte und andere Paradoxe
Viele Physiker sagen intuitiv, dass die Paradoxien des Zeitreisens selbige verhindern müssten. Nehmen wir mein Selbstexperiment: Was, wenn ein Leser aus der Zukunft meinen Artikel so schlecht findet, dass er wütend in die Vergangenheit reist. Er füllt mich in einer Kneipe ab, um mich am Schreiben zu hindern.
Schreibe ich nichts, gibt es künftig auch keinen empörten Leser (Leserinnen würden nicht so ein Gewese um schlechte Artikel machen). Also reist er auch nicht in die Vergangenheit und füllt mich auch nicht ab. Also schreibe ich den Artikel doch. Woraufhin der Leser der Zukunft sich doch wieder echauffiert. Und mich abfüllt. Woraufhin ich wieder nichts schreibe. Das geht ewig so. Ein Paradoxon.
Über die logischen Brüche des Zeitreisens haben Physiker viel nachgedacht. Green schreibt, die Sache sei einfach aufzulösen, man müsse nur die Existenz eines freien Willens verneinen. Dann sind wir Sklaven der Naturgesetze. Da die keine logischen Paradoxien zulassen, könnte der Leser vielleicht in die Vergangenheit reisen, mit dem Ziel, mich unter den Tisch zu saufen. Er würde aber auf jeden Fall scheitern, weil es die Logik des Universums nicht zulassen würde. Ich wäre qua Naturgesetze extrem trinkfest.
Besoffen und nüchtern zugleich
Der Quantenphysiker David Deutsch, ein angesehener Experte seiner Zunft, rechnet wiederum mit Multiversen. Dahinter steckt eine zulässige Interpretation der Quantenphysik. Demnach teilt sich das Sein in jedem Augenblick in unendlich viele Paralleluniversen auf. Es gibt also unendlich viele Universen, in denen ich Millionär bin, und unendlich viele, in denen Bayern München mit null Punkten und null Toren Tabellenletzter ist.
Nach der Theorie würde der wütende Leser mit seinem Zeitsprung in ein Paralleluniversum hüpfen, in dem er mich unter den Tisch säuft. Ich würde den Text in diesem Universum dann wirklich nicht schreiben, aber weil der Typ ja aus einem Paralleluniversum kommt, in dem ich nüchtern bleibe und schreibe, ist das logische Paradoxon gelöst. Wohlgemerkt: Deutschs Theorie ist kein Quatsch. Sie ist eine mathematisch zulässige Interpretation der Quantenphysik.
Zum Schluss ein klein wenig Romantik. Denken Sie an einen wundervollen Moment. Ich würde einen Kuss vorschlagen. Laut Relativitätstheorie ist es nämlich so, dass es bis zum Ende aller Tage im Raum-Zeit-Gefüge des Universums einen Punkt gibt, von dem aus gesehen dieser Kuss gerade jetzt passiert. In 80 Jahren wäre für ein Alien, das in 80 Lichtjahren Entfernung mit einem extrem guten Teleskop die Erde anpeilt und diesen Kuss beobachtet, dieser Moment Gegenwart. Green schreibt dazu, dass sich jeder Augenblick unauslöschlich ins Gefüge der Raum-Zeit einbrennt. Eine kosmische Timeline. Dass Sie schon tot wären, wenn das Alien ihren Kuss liked – drauf geschissen jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut