Zeitgeschehen: Galgen unterm Kreuz
Ein Kreuz, das an die Galgen der Fürsten von Waldburg-Zeil erinnert, verrottet seit Jahren. Das mag dem Allgäuer Adelshaus recht sein. Aus den Augen, aus dem Sinn. Eine Bürgermeisterin, eine Bäuerin und ein Holzschnitzer wehren dem Vergessen.

Von Josef-Otto Freudenreich
Es war, als müsse der Adelsmann noch im Tod sein Land in Besitz nehmen. Sein Sarg liegt auf einer Lafette, bedeckt mit einem Tuch in den Hausfarben Schwarz-Gelb. Vier Pferde – Kaltblüter-Rappen – sind eingespannt. Sie durchschreiten noch einmal seine Allgäuer Heimat, bevor er am 12. Dezember 2015 auf Schloss Zeil seine letzte Ruhe findet. Das sei sein finaler Wunsch gewesen, heißt es. Fürst Georg von Waldburg zu Zeil und Trauchburg war gestorben, 87-jährig, als „Wohltäter für die Menschen“, wie die „Schwäbische Zeitung“ schrieb.
Die Zeitung für „Christliche Kultur und Politik“, wie sie im Untertitel ausweist, gehörte zu seinen Besitztümern wie Zehntausende von Hektar Wald und Boden, der eigene Flugplatz, die vielen Reha-Kliniken, die Kiesgruben und Spielbanken und Friedwälder, die ihn zu einem der reichsten Deutschen werden ließen. Darüber hinaus habe er, sprach Baden-Württembergs Alt-Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) beim Requiem, dafür Sorge getragen, „dass der christliche Geist lebendig bleibt“.
Das ist insoweit richtig, als das Fürstenhaus, dessen Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert reichen, stets das göttliche Recht für sich in Anspruch nahm, wenn es galt zu strafen. Die bekannteste Figur war Georg III. Truchseß von Waldburg-Zeil (1488 bis 1531), auch „Bauernjörg“ genannt, der im Namen Gottes und des Kaisers die Bauernaufstände vor 500 Jahren blutig niederschlug und so die erste Revolution in Deutschland verhinderte. Zum Dank für das Gemetzel gab‘s vom Kaiser Wälder, Wiesen und Äcker.
Der Adel entscheidet über Leben und Tod
Auf seiner letzten Reise von Bad Wurzach über Wengenreute und Seibranz, vorbei an der Josefskapelle im Zeiler Wald, ist seine Durchlaucht Fürst Georg auch unweit der „Galgenhöfe“ vorbeigekommen. Das ist ein kleiner Weiler mit 13 Einwohnern, 720 Meter hoch gelegen, manchmal sind auch Wanderer zu sehen. Auf der höchsten Erhebung steht ein Feldkreuz, wie viele in der gottesfürchtigen Gegend, aber eines mit einer besonderen Geschichte.
Es ist ein Arma-Christi-Kreuz am Rand eines steil abfallenden Tobels, fast fünf Meter hoch, inmitten eines gemauerten Rondells, das zusammenzubrechen droht. Der Corpus Christi ist noch stabil, aber das Dach hält nicht mehr lange, die Folterwerkzeuge seiner Peiniger sind brüchig, der Überlieferung nach hat er durch seine Auferstehung an Ostern über sie gesiegt und seinen Gläubigen Erlösung und Trost gebracht.
Es ist ein Mahnmal, das an die Galgen derer von Waldburg-Zeil erinnert, deren Herrschaft über Leben und Tod sich auch in den Stricken ausdrückte, an denen die Gerichteten hingen. Die Einheimischen sprechen von einem „Galgenkreuz“.
Der Archivar des Fürstenhauses, Rudolf Beck, formuliert seine Antworten auf Anfragen sehr vorsichtig. Vieles bedarf der Einwilligung des Fürsten Erich, dem es genügt, ganz in der Tradition seiner Vorgänger, in den eigenen Zeitungen aufzutauchen. Irgendetwas einzuweihen gibt es immer.
Beck bestätigt, dass der Zeiler Adel als Inhaber der Hohen Gerichtsbarkeit seinen Richtplatz von 1676 bis 1806 unterhalten hat, ehe er an das Königreich Württemberg übergegangen ist. Die letzte Hinrichtung habe am 28. April 1775 stattgefunden und sei an einem Untertanen aus der Herrschaft Fugger-Boos „mit dem Schwert vollzogen“ worden, als „reuiger Sünder“ habe er auf dem „Pestfriedhof“ ein christliches Begräbnis erhalten, berichtet Beck weiter.
1810 sei das Hochgericht beim „Galgenhöfle“ abgetragen, an seiner Stelle ein Kreuz von der Pfarrei Seibranz errichtet und 1893 erneuert worden. Als „schützenswertes Denkmal“ befinde es sich jetzt im Besitz der Stadt Bad Wurzach. Auf die Frage, ob das fürstliche Haus an eine historische Prüfung denke, antwortet der Archivar, es sei „derzeit nicht geplant“, die „kurze Geschichte“ des gräflich Zeil‘schen Hochgerichts aufzuarbeiten. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Der Bauernhof von Monika Hanser liegt dem Kreuz am nächsten. Es ist ihr wie ein Nachbar, der leidet und immer schwächer wird, kaum hundert Meter weg. Ihr ist es arg, dass ihr Christus so heruntergekommen ist. „Man hat halt den Glauben“, sagt die 54-Jährige in ihrer Wohnstube vor dem Herrgottswinkel. Sie gehört dem Kirchengemeinderat vom Bad Wurzacher Stadtteil Seibranz an und fragt immer wieder beim Denkmalamt an, ob man hier nicht etwas tun könne. Aber das lasse auf sich warten.
Neben dem Glauben ist es ihr Großvater, der in dem Mahnmal steckt. Ein frommer Maurermeister, der das Rondell gebaut hat, weil er einen „würdigen Rahmen“ für das Kruzifix wollte und dabei auch an seine Nachkommen dachte. Davon zeugen Fotos von Familienmitgliedern, die unter dem Kreuz stehen, besonders stolz ein Junge mit Kerze nach der Erstkommunion am „Weißen Sonntag“, eine Woche nach Ostern. In welchem Jahr das war, kann sie nicht mehr feststellen, nur dass Opas Werk früher besser ausgesehen hat. Auch die kleine Kapelle vor dem Hof ist von ihm, erbaut 1948, nachdem sein Sohn im nahegelegenen Weiher „Schugge“ ertrunken ist. Zum Rosenkranz-Beten habe er seine Kinder eingesperrt, erinnert sich die Bäuerin.
Die Leichen rutschten einfach den Hang hinunter
Heute wäre es schwierig, Kommunion-Bilder unter dem Kreuz zu machen, weil ein Bauzaun den Zutritt verwehrt und der Hang unter dem Fundament wegbricht. Zu den Zeiten, als an derselben Stelle der Galgen stand, war das kein Problem. Der Fürsten Henker ließen die Körper so lange wie möglich hängen zur Abschreckung des gemeinen Volkes, weshalb die Richtstätten auch immer gut sichtbar sein mussten. Halb verwest rutschten die Delinquenten später den Abhang hinunter, übrig blieben Skelette, die heute eine Fundgrube für Archäolog:innen, Abteilung Richtstätten, sein können.
Knochen können erzählen, was es war: Ein glatter Schwerthieb etwa – statt langem Hängen – konnte Gnadenakt für Totschlag (Homicidio), Diebstahl (Furtum), Ehebruch (Adulterio) sein, wobei in den Akten häufig Mesner als „Opfer“ auftauchen. Zertrümmerte Knochen deuten auf grausame Folter hin (Streckbank, Schädelpresse, Rädern), die Anklage könnte auf Aufruhr und Hexerei gelautet haben.
Mit den Torturen kamen die „Geständnisse“, hinlänglich belegt insbesondere bei den Hexenprozessen zwischen 1500 und 1750. Gewaltexzesse ohne Grenzen, bis die „Hexe“ zugab, eine Buhlschaft mit dem Satan zu haben. Bei Anna Kramer aus Veringenstadt, genannt „Bader-Ann“, war es nach zehn Verhörtagen so weit. Unter unvorstellbaren Schmerzen schrie sie („Sagt mir, was ich gestehen soll“), ja, sie habe es 35 Jahre mit dem Teufel getrieben. Ihr Leben endete auf dem Scheiterhaufen, ohne Kopf. Fürst Maximilian von Hohenzollern-Sigmaringen ließ sie vorher enthaupten, als Zeichen seiner „Gnade“. Gnadenlos war der Edelmann Jacob Truchsess von der Scheer zu Waldsee, als er 1587 innerhalb von drei Tagen 38 „Hexen“ verbrennen ließ, was damals, zumindest von der Zahl her betrachtet, so ungewöhnlich war, dass daraus ein berühmtes Gemälde entstanden ist.
In Waldsee wurden allein in einem Jahr (1586) 17 „Hexen“ ins Feuer getrieben, in Wurzach waren es 42 zwischen 1575 und 1580 – und 412 Jahre später hat man ein Arma-Christi-Kreuz am Leprosenberg errichtet, um jenen zu gedenken, die auf dem Richtplatz umgekommen sind. Den „verbrannten Hexen“, aber auch den 7.000 Aufständischen, die vom „Bauernjörg“ am Leprosenberg 1525 vernichtend geschlagen wurden. Es war ein blutiges Schwert, das unter der Waldburger Patronatsherrschaft geschwungen wurde, im Namen Gottes „zu richten Recht“, wie auf einem besonders wertvollen Exemplar im Waldseer Heimatmuseum eingraviert ist.
Die Vergangenheit wach halten will auch Leonhard Angele. Der 65-jährige Wurzacher schnitzt Modelle für die Weihnachtsbäckerei, konkret für Springerle, an denen man sich die Zähne ausbeißen kann, wenn der Anis-Eierschaumteig misslingt. Aber er ist ja nur für das Holz zuständig, und das bearbeitet er virtuos. Das Handwerk hat er von seinem Vater gelernt und noch viel mehr. Aus seinen Erzählungen weiß er, wie es in der Schule war, wenn die Fürstenkinder bevorzugt wurden. Wie es beim Militär war, wenn der adlige Spross schnell zum Offizier aufstieg, während der Bauernsohn der Schütze Arsch im letzten Glied blieb. Seitdem mag Angele das Monarchische nicht und seitdem will er, dass die Erinnerung an die Richtstätte Galgenhöfe als Symbol für Oben und Unten nicht verloren geht.
Jüngst war er bei der Bürgermeisterin von Bad Wurzach zu Besuch, also jener Person, die laut Waldburg-Archivar Beck die ehemalige Richtstätte als Besitzerin zu schützen hat. Das würde sie gerne tun, versicherte Alexandra Scherer (CDU) ihrem Gast, allein ihr fehle das Geld. 75.000 Euro sind veranschlagt für die Sanierung, sehr viel für die Kommune, die sparen muss. Am Telefon erzählt sie, dass ihre Stadtbaumeisterin gehalten ist, nach Spenden Ausschau zu halten, wobei sie im Rathaus auf eine Einrichtung gestoßen sind, die passen würde wie der Deckel auf den Topf: die Denkmalstiftung des Landes Baden-Württemberg. Als stellvertretender Vorsitzender firmiert dort Seine Durchlaucht Erich Fürst von Waldburg zu Zeil und Trauchburg.
Die Lösung: Der Fürst saniert das Kreuz
Mit ihm könne sie ganz gut, sagt die Bürgermeisterin, er sei ein „erreichbarer Mensch“, außerdem Patronatsherr von Wurzach und immer Ehrengast beim Heilig-Blut-Fest, zu dem tausend Reiter und mehrere tausend Wallfahrer zur Verehrung der Heilig-Blut-Reliquie kommen. Wie‘s der Kalender so will, hat sie noch im April einen Jour fixe mit ihm. Das stimmt sie zuversichtlich.
Der Leiter des Hauptstaatsarchivs in Stuttgart, Peter Rückert, wünscht ihr Glück. Sein Haus, in dem meterweise Adelsakten lagern, hat häufig mit blauem Blut zu tun, was selten Vergnügen bereitet. Nur noch Business, kein Interesse an Geschichte. 500 Jahre Bauernkrieg, in diesem und im kommenden Jahr aufwändig im Land begangen, mit dem „Bauernjörg“ im Mittelpunkt. Das glänzt auf den Schlössern nicht.
Aber wer weiß, vielleicht greift Fürst Erich in seine Schatulle, um das Mahnmal für die Galgen seiner Vorfahren auf ein solides Fundament zu stellen? Das wäre eine Geste, ein Bekennen zu dieser Zeit, in welcher der Adel das „Richten als Recht“ verstanden und ausgeübt hat. Das gehöre eben auch zur Geschichte der Herren von Waldburg, sagt Rückert. Gott sei Dank sei danach die Demokratie gekommen.
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