Zeitgenössische Kunst in Toulouse: Frühling im Herbst

Mit Ausstellungen, Konzerten und anderen Live-Acts vermittelt der "Printemps de Septembre" in Toulouse ein aktuelles Bild der zeitgenössischen Kunst.

Es blüht im Herbst bei der Ausstellung "Printemps de Septembre". Bild: dpa

Die Kunst machts möglich - Frühling im Herbst. Die Kunst machts allerdings auch nötig. Denn es geht um zeitgenössische Kunst und die französische Provinz. Seit acht Jahren gibt es nun schon den "Printemps de Septembre" in Toulouse, was Pierre Cohen, den neu gewählten sozialistischen Bürgermeister der 500.000 Einwohner zählenden Stadt, bei der diesjährigen Eröffnung nicht daran hindert, vom dritten Printemps zu sprechen. Auf das Gelächter des Publikums hin, sagte er, eh kein Freund der Veranstaltung zu sein.

Das sind also die durchaus widrigen Bedingungen, unter denen Christian Bernard, Direktor des Genfer Musée d'art moderne et contemporain (Mamco), mit seinem Pariser Kokurator Jean-Max Colard und Marie Therès Perrin, der lokalen Festivalleiterin, antraten, um drei Wochen lang in Ausstellungen, Videoinstallationen, Konzerten, Performances und anderen Live-Acts ein aktuelles Bild zeitgenössischer Kunst zu vermitteln. Obwohl Toulouse entsprechende Kultureinrichtungen wie eine Kunsthalle oder Konzertbühne fehlen, überzeugte das Team mit einem überraschend anspruchsvollen Programm. Bekannte Namen mischen sich mit dem künstlerischen Nachwuchs, wobei Letzterer erstaunlich reif ausschaut und Erstere besser als anderswo schon gesehen.

Um Janet Cardiff, Daniel Buren, John M. Armleder oder Sylvie Fleury, aber auch Maud Fässler, eine junge Fotografin, adäquat in Szene zu setzen, mussten Christian Bernard und seine Mitstreiter zwangsläufig auf das reiche architektonische Erbe der Stadt an der Garonne zurückgreifen, die seit dem 4. Jahrhundert Bischofssitz und seit dem Mittelalter eine der reichsten Städte Europas war. Zur Auswahl standen bedeutende, frühe Sakralbauten, jüngere Repräsentationsbauten des Adels und des Bürgertums wie reichlich Industriearchitektur aus der Jahrhundertwende, als Toulouse, heute Zentrum der Airbusproduktion, seine Pionierrolle für die Entwicklung der französischen Luftfahrtindustrie übernahm.

Im Kontext so markanter Ausstellungsorte wie einem Hospital und einem Kloster aus dem 13., einem Schleusenwärterhaus aus dem 18. und einem Wasserkraftwerk aus dem 19. Jahrhundert, erscheint der Kunstraum der Sparkasse Midi-Pyrénées im Stadtzentrum eher schlicht, in dem die Bilder des 1984 im Senegal geborenen Sada Tangara gezeigt werden. In Dakar als Straßenkind aufgewachsen, hatte er schon mit 14 Jahren seine erste Ausstellung mit Fotos von seinem Alltag und seinen Leidensgenossen. Auch jetzt zeigt er in Plastik- und Jutesäcke eingepackte Körper in den nächtlichen Straßen von Dakar; beängstigende Aufnahmen, scheinen sie doch genauso gut von toten wie von schlafenden Körpern zu handeln. Dass die gleichaltrige Maud Fässler tote Körper fotografiert, steht dagegen außer Frage. Ihr schonungsloser, ästhetisch ausgefeilter Blick auf die autopsierte Leiche ist das denkbar radikalste Antidot zu den Bildern gerichtsmedizinischer Quotenhits wie "CSI", in denen der Schnitt ins Fleisch nur Mittel der Oberflächeninszenierung - und damit harmlos - bleibt.

Zu einem tiefen Schnitt in das Gewebe des Museums setzt auch der Altmeister der Schweizer Kunstszene, John M. Armleder, an, indem er die Bestände des Naturkunde- und des Landesmuseums in Toulouse durchforstete. Seine Funde stellte er im Musée Les Abattoires zu einer überraschungsreichen und überaus lebendigen Ausstellung in der Ausstellung zusammen, für deren Präsentation er je eigene Tapeten und Farbkonzepte für die Museumsräume entwickelte. Auf formaler Ebene rasend raffiniert und auf inhaltlicher von großer intellektueller Klarheit, ist die Arbeit eine kleine Sensation, weil ein großer Metatext zur Geschichte der Sammlung, zur Rolle des Dekors wie zur Funktion akademischer Verweissysteme, last not least zur modularen Ordnungssucht der modernistischen Ästhetik und dem nachfolgenden, eklektischen Durcheinander der Postmoderne.

Wie es Armleder in seinem künstlerischen Zugriff gelingt, die Bestände wieder zum Leben zu erwecken, wie er konserviertes Wurzelwerk, präparierte Riesenschildkröten und von Visionen geplagte Heilige als erstrangige Ressourcen einer intelligenten Unterhaltung im Bereich der zeitgenössischen Kunst und Kultur nutzt, das sollte die Toulouser Sorgen zerstreuen. Die zeitgenössische Kunst lässt die kulturellen Untoten, als da sind bourgeoise Hochkultur und sozialistische Kultur für alle, am Leben. Sie gibt es ihnen eher wieder und Toulouse einen Frühling, der nur hier existiert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.