piwik no script img

Zeitgeist go home

Er verfolgt mich, er kommt immer wieder, läßt nicht locker, schlüpft mal in diese und mal in jene Gestalt. Mal in Freunde, mal in Fremde. Es ist der Zeitgeist, der mich quält. Er will von mir, dass ich Weihnachten ein konsumterroristisches Heuchlerfest nenne, dessen offizielle Abschaffung ich fordere oder das ich zumindest ignoriere.

Der Zeitgeist macht Schlimmes mit mir. Ich fühle mich plötzlich Leuten unterlegen, die allweihnachtlichen Horror erleben dürfen. Beneide sie um die Geschichten von geschenkten Fahrradsattel-Überzügen aus Plüsch, die sich der Beschenkte auf den Kopf setzt, weil er sie für eine Mütze hält.

Und mir? Mir fällt nur ein Weihnachten ein, dass wenigstens ein bisschen blöd war. Da war ich in Costa Rica, wachte am Morgen des 24. Dezember von Sonne auf dem Kopfkissen auf. Es war wärmer als hier im August und alles fühlte sich falsch an. Weihnachten hieß „Navidad“ und war wie Karneval. Ich stand den Vormittag in der Küche, zerdrückte Himbeeren und Avocados fürs Dessert und dachte daran, dass es zu Hause auch immer Himbeeren gibt, aber heiß und mit Eis. Heiligabend habe ich dann versucht, den Tannenbaum mit den elektrischen Kerzen nicht anzugucken und einfach so zu tun, als wäre es ein ganz normaler Abend mit netten Menschen. War dann auch gut. Aber war eben nicht Weihnachten.

Jetzt, da mir klar ist, dass mein einzig betrübliches Weihnachten das war, das ohne mich stattfand, traue ich mich: Ich mag Weihnachten. Ich finde es herrlich gemütlich, kann mich an keinen Familienkrach unterm Tannebaum erinnern und muss Geschenke fast nie umtauschen. Ich mag Vanilleeis mit Himbeeren und sogar Klöße und Rotkohl. Und Geschenke finde ich großartig. Machen und bekommen, egal.

Alles andere wäre gelogen. Und lieber soll der Zeitgeist mein Feind sein, als dass ich mein Lieblingsfest verrate. san

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen