Zehn sportliche Hingucker: Unsere Stars für Sotschi
Vaterlandsverräter, tierliebende Mädchen, Unaufregbare und Rebellen: Das taz-Sotschi-Team stellt seine Goldkandidaten der Winterspiele vor.
Julia Lipnitskaia (Russland), Eiskunstläuferin: Sie ist eigentlich noch ein ganz normales Mädchen, reitet gern, mag Tiere, surft stundenlang im Netz. Und manchmal sehnt sie sich nach ihrer Heimat Jekaterinburg im Ural. Seit fünf Jahren trainiert die heute 15-Jährige in Moskau. Es hat sich gelohnt: Die Europameisterin von Budapest möchte in Sotschi aufs Podium steigen. Sie läuft zu Musik aus „Schindlers Liste“, ein gewagtes Unterfangen. Ihr Choreograf Ilja Awerbuch, Silbermedaillengewinner von Salt Lake City, hat ihr trotzdem zugeraten. Wie besessen hat sie am künstlerischen Ausdruck gearbeitet, sodass man ihr Alter auf dem Eis schlichtweg vergisst. (MV)
Kevin Kuske (Deutschland), Bobfahrer: Er sei schneller als Usain Bolt, zitiert der 35-Jährige eine Zeitung über sich auf seiner Homepage. Diese Aussage ist so gewiss nicht ganz richtig, doch zählt Kuske fraglos zu den schnellsten Anschiebern im Bobsport. Als er 19 Jahre alt war, holte er bei der Junioren-Leichtathletik-WM Bronze. Er wechselte die Sportart, gewann vier olympische Goldmedaillen und sechs WM-Titel. Als Kuske im August in Oberhof trainierte, durchsuchte die Polizei sein Hotelzimmer und sein Haus in Potsdam. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Nachstellen und Stalking. (SB)
Mikaela Shiffrin (USA), Skifahrerin: Nachdem sie vergangenes Jahr den WM-Slalomtitel gewonnen hatte, sagte sie, dass sie nervös gewesen sei. Geglaubt hat ihr das keiner. Die 18-jährige Slalomvirtuosin gilt nicht nur als unaufgeregt, sie gilt als unaufregbar. Seit drei Jahren fährt sie schon im Weltcup. Und als man das Kind aus Vail (Colorado) im Dezember 2011 mit Startnummer 40 ins Rennen schickte, da machte ihm weder die von den Fahrerinnen zuvor zerfurchte Piste etwas aus, noch störte der Verlust der Schienbeinschoner. Am Ende war Shiffrin Dritte. Ihr erster Podiumsplatz. 13 sind dazugekommen, fast alle im Slalom. Nicht wenige halten sie da für unschlagbar. (ARUE)
Noriaki Kasai (Japan), Skispringer: Als er 1988 im Alter von 16 Jahren in Sapporo sein Debüt gab, hieß der Sieger Matti Nykänen, Jens Weißflog sprang im blauen Anzug der DDR-Mannschaft, und der erste Golfkrieg war eben zu Ende gegangen. Während sich die Welt veränderte, blieb Kasai eine Konstante. 16 Weltcupsiege, einen Skiflug-WM-Titel und eine olympische Silbermedaille mit der Mannschaft 1994 hat er eingeheimst. Nach seinem Weltcupsieg Mitte Januar gilt der 41-Jährige rechtzeitig vor Sotschi wieder als Medaillenaspirant. Und auch in Pyeongchang will er als erster Sportler mit acht Winterspielteilnahmen wieder angreifen. So viel Konstanz muss sein. (EPE)
Darja Domratschewa (Weißrussland), Biathletin: Sie hat glänzende Aussichten auf eine Medaille in Sotschi. Zum einen hat sich ihre größte Konkurrentin, die Deutsche Magdalena Neuner, zur Ruhe gesetzt, zum anderen holte Domratschewa bereits bei den Winterspielen 2010 Bronze. 2012 und 2013 folgten Goldmedaillen bei den Biathlon-Weltmeisterschaften. Aufpassen muss die 27-jährige Sportlehrerin jedoch, dass sie nicht patzt, wie 2009. Da schoss sie während des Weltcups stehend statt liegend und kassierte dadurch fünf Fehlschüsse. Aber aus Fehlern lernt man ja, wie es so schön heißt. (LJU)
Jewgeni Malkin (Russland) Eishockeyspieler: Das Finale der Männer soll für die Russen zur vorgezogenen Abschlussfeier werden. Gold muss her. Und er soll es beschaffen: Jewgeni Malkin, der einstige Vaterlandsverräter, der 2006 sein Team Metallurg Magnitogorsk auf einer Finnlandreise im Stich ließ, abtauchte und wenig später in den USA wieder an der Oberfläche erschien, um fortan in der nordamerikanischen Profiliga NHL zu spielen. „Einen Akt von Sportterrorismus“ nannte der Vereinspräsident von Metallurg den Wechsel. Mit Geld hätten sie „den Jungen verrückt gemacht“. Wenn das stimmt, müsste Malkin mittlerweile komplett wahnsinnig geworden sein. Ist er aber nicht. Der 27-Jährige ist noch immer einer der Besten. (JÜK)
Tatjana Hüfner (Deutschland), Rodlerin: Die inzwischen 30-Jährige hatte am Ende der vorigen Saison nur ein Ziel: die zweite olympische Goldmedaille. Aber sie hatte mit Rückenproblemen zu kämpfen. So zog meist Konkurrentin Natalie Geisenberger an der gebürtigen Neuruppinerin vorbei. Hüfner, die über die dunkelsttimbrierte Stimme unter den deutschen Olympionikinnen verfügt und der die offensiv-herzige Art der Rivalin aus Bayern nicht zu eigen ist, will trotz aller Widrigkeiten die erfolgreichste Rodlerin aller Zeiten werden. Dafür braucht sie einen beschwerdefreien Körper. Zu gönnen wäre es ihr: Sie ist nämlich eine Heldin auf den zweiten Blick. (JAF)
Sven Kramer (Niederlande), Eisschnellläufer: Geht es um den Erfolg, ist der niederländische Eisschnellläufer empfindsam geworden. Ein kleines Lüftchen spürte er dieser Tage in der Halle von Sotschi und argwöhnte, die Quelle, eine Hallenlüftungsanlage, könnte eingesetzt werden, um für Ausgewählte Rückenwind zu erzeugen. Auch wenn der Weltrekordhalter auf der 5.000- und 10.000-Meter-Distanz fast alles gewonnen hat, ein fatales Erlebnis hat ihn misstrauisch werden lassen. Bei den letzten Spielen schickte ihn sein Trainer auf die falsche Bahn. Statt Gold-Gewinner wurde er zum disqualifizierten Deppen. Noch einmal will sich Kramer nicht linken lassen. (JOK)
Marit Björgen (Norwegen), Skilangläuferin: Ein Signal senden, so nennt man wohl das, was Marit Björgen im letzten vorolympischen Rennen vollbracht hat. Sie siegte mit 36,4 Sekunden Vorsprung auf ihre Landsfrau Therese Johaug. Das ist selbst über 10.000 Meter eine Ewigkeit. Björgens härteste Konkurrentin, die Polin Justyna Kowalczyk, ließ sie gar 47 Sekunden hinter sich. Entsprechend sind die Erwartungen. Was die Erfolge angeht, hat sie längst ihren legendären Landsmann Björn Daehlie in die Spur verwiesen. Nur bei Olympischen Goldmedaillen führt der Altmeister noch. Björgen müsste fünf Rennen gewinnen, um gleichzuziehen. Es ist ihr zuzutrauen. (JÜK)
Lisa Zimmermann (Deutschland), Freeskierin: Anmutige Pirouetten zu bewegender Musik, die sollte sie eigentlich heute noch drehen. Doch ihre Eiskunstlaufkarriere beendete die 17-Jährige vor drei Jahren gegen den Willen der Mutter. Mit dem Slopestyle hatte sie ihre Freiheit gefunden. Seither legt sie allein fest, wie sie trainiert, wenn sie mit den Skiern waghalsige Sprünge durch die Hindernisparcours vollführt. Auf den Kufen musste sich Zimmermann noch dem strengen Regiment ihrer Zuchtmeister beugen. Mit dem selbstbestimmten Leben könnte es bald vorbei sein. Die Medien haben sie als telegene Goldmedaillenkandidatin entdeckt. (JOK)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen