Zehn Jahre Campact: Die Aufreger aus dem Internet
Seit zehn Jahren mobilisiert Campact online gegen Kohle oder Genmais. Hunderttausende klicken mit, Kritiker nennen das „Clicktivismus“.
VERDEN taz | Die Chefs der Sozialverbände sitzen in der Bundespressekonferenz in Berlin und rechnen sich durch ihre Wunschliste: höherer Spitzensteuersatz; Vermögensteuer; höhere Steuern auf Erbschaften, Unternehmensgewinne, Kapitalerträge, Finanztransaktionen. Soundso viel Milliarden hier, soundso viel Milliarden da bringe das. Zum Einschlafen.
Zur gleichen Zeit nimmt die reichste Ente der Welt vor dem Bundeskanzleramt ein Bad in Goldmünzen. Dagobert Duck in Frack und Zylinder auf der Spitze eines Berges von Geldsäcken. Drumherum demonstrieren Hunderte mit Schildern. Ihre Botschaft: Reichtum ist teilbar. Am Abend läuft die Ente in der „Tagesschau“.
Mit den beiden Aktionen starteten Gewerkschaften und Sozialverbände im August 2012 die Kampagne Umfairteilen. Bis zur Bundestagswahl im September 2013 wollten sie damit eine Vermögensabgabe durchsetzen. „Auf die Sache mit der Ente wären wir nie gekommen“, sagt Gwendolyn Stilling vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Campact schon.
Das Kampagnennetzwerk Campact mit Sitz im niedersächsischen Verden an der Aller hatte sich dem Umfairteilen-Bündnis angeschlossen, die Ente war einer der Campact-Beiträge. Druck von der Straße, Mobilisierung, das ist die Stärke von Campact, das heute zehn Jahre alt wird.
Feier: Am Samstag begeht Campact seinen zehnjährigen Geburtstag in Berlin. Es diskutieren unter anderem Sven Giegold (Grüne im Europaparlament), Constanze Kurz (Chaos Computer Club) und Peter Schaar (Ex-Bundesdatenschutzbeauftragter). Auch taz-Redakteurin Ulrike Herrmann ist dabei. Die Veranstaltung kann ab 10 Uhr im Livestream auf blog.campact.de verfolgt werden. Auf Twitter soll die Diskussionunter #campact laufen.
Mobilisierung: Campact ist ein Kampagnenportal, das im Internet vor allem umweltpolitische Themen wie Fracking, AKWs oder Kohlekraft besetzt. Rund 1,5 Millionen Menschen werden per E-Mail über die Onlineaktionen informiert. Um nicht nur im Netz unterwegs zu sein, organisiert Campact Aktionen zu ausgewählten Themen auf der Straße, etwa die agrokritische Demo „Wir haben es satt!“. Die aktuelle Kampagne heißt: „//www.campact.de/kohleausstieg/abschaltplan/teilnehmen/:Herr Gabriel, Kohlekraft abschalten“.
In einer ehemaligen Kaserne
Das Kampagnennetzwerk hat eine beeindruckende Marktmacht im Protest gewonnen. 1,5 Millionen Menschen haben die Aktionsaufrufe per E-Mail abonniert. 30 Hauptamtliche arbeiten in der Zentrale in einer ehemaligen Kaserne in Verden. Fünf Millionen Euro – fast ausschließlich von Kleinspendern, kein Cent von Unternehmen – geben sie im nächsten Jahr für Kampagnen aus.
Campact streitet gegen Genmais, Braunkohle, Fracking oder für ein Asyl für Edward Snowden. Vor der EU-Wahl im Mai dieses Jahres hängten Campact-Aktivisten fast sieben Millionen Pappkarten gegen das Freihandelsabkommen TTIP an Wohnungstüren. Als die Exverbraucherschutzministerin Ilse Aigner Genmais zulassen wollte, rief Campact dazu auf, sie wochenlang auf Veranstaltungen im Wahlkreis zu verfolgen. Campact ist ein Katalysator für politische Erregungskurven und soziale Bewegungen – aber nur für die mit guten Karten.
„Wir steigen in der Regel nur ein, wenn wir glauben, dass es etwas zu gewinnen gibt“, sagt Campact-Geschäftsführer Felix Kolb. Und wenn die Basis zustimmt. 5.000 Abonnenten bekommen vor jedem Kampagnenstart Post per E-Mail. Dieser harte Kern der Campact-Aktivisten entscheidet über ein Thema. „Wir streben Zustimmungsraten um die 90 Prozent an“, sagt Kolb. „Mandat“ nennt er das.
Viele Themen fallen da von vornherein flach: Flüchtlinge, soziale Gerechtigkeit … Die Umfairteilen-Kampagne war eine große Ausnahme. Kann es nicht auch lohnen, Themen aus politischen Erwägungen zu setzen? Für Campact nicht. „Unsere Agendasettingpower ist total gering“, sagt Kolb. „Wenn wir ein Thema rausschicken, das die Leute nicht interessiert, dann öffnen sie die Mail gar nicht.“
Die Wurzeln in der Umweltbewegung
Was die Klientel interessiert, hat auch damit zu tun, wer sie ist. Campact hat seine Wurzeln in der Umweltbewegung, Kolb war jahrelang in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Das wirkt kulturell fort. Wer bei Campact mitmacht, ist überdurchschnittlich gebildet, verdient überdurchschnittlich gut, wählt eher grün, ist eher älter als 50. „Wie eben bei den meisten NGOs“, sagt Kolb. Öko ist angesagt, Klassenkampf eher nicht. „Wir würden sehr gern mehr im sozialpolitischen und Steuerbereich machen. Aber das scheitert an unserer Geschichte. Dafür haben wir leider keine Lösung gefunden.“
Kampagnen, die die Basis nicht vom Hocker reißen, gehen nach hinten los. „Alle wissen, dass wir 1,5 Millionen Leute anschreiben. Wenn dann nur 50.000 Unterschriften zusammenkommen, schadet das dem Anliegen“, sagt Kolb. Er hat in den USA über die Auswirkungen sozialer Bewegungen promoviert. Dort begann der Kulturwandel des politischen Protestes von der Offline- zur Onlinewelt. Kolb stieß auf MoveOn, eine Petitionsplattform im Netz. Damals wurde sie international mit einer Kampagne gegen den Irakkrieg bekannt. Den zu verhindern schien vielen Amerikanern aussichtslos. MoveOn hat ihnen wieder Hoffnung gemacht. Die weltweiten Demos am 15. Februar 2003 gelten als größte Protestaktion aller Zeiten. Das hat Kolb beeindruckt. Mit zwei Freunden baute er in Deutschland Campact auf.
Frühere Mitstreiter von Kolb aus der Graswurzelbewegung schmähen die Onlinekampagnen als „Clicktivismus“: schnell zu konsumieren, eine bloße Illusion politischen Handelns. Tatsächlich werben andere Plattformen, etwa Avaaz aus den USA, mit dem Slogan „Mal eben die Welt retten“. Campact grenzt sich hiervon ab. „Zentral ist, es nicht bei Onlineappellen zu belassen“, sagt Kolbs Geschäftspartner Christoph Bautz. „Die können eine dauerhafte Organisierung nicht ersetzen.“
Aber Online kann ein Einstieg sein: „Wir holen die Leute mit niedrigschwelligen Aktionen ab. Aber wir laden sie ein, einen Schritt weiter zu gehen.“ Beim Aktionstag gegen Braunkohle am vergangenen Wochenende in Hannover waren 100 Leute von Campact und 30 von Greenpeace, sagt Bautz. Wenn sich am Ende auch nur eine Handvoll Kohlegegner, die Campact mobilisiert hat, der Greenpeace-Gruppe anschließen, „dann hat sich die Sache schon gelohnt“.
Campact streitet für mehr Demokratie
Campacts Blick richtet sich immer auf die Parlamente. „Wir finden repräsentative Demokratie richtig“, sagt Bautz. Kann die politische Macht einer Bürgerbewegung nicht auch woanders liegen – etwa in direkter Demokratie, wie sie der von den Parlamenten enttäuschten Occupy-Bewegung vorschwebte? Bautz winkt ab. „Bewegung braucht ein konkretes Ziel. Occupy war insofern unpolitisch“, sagt er. „Die sind im Diffusen stecken geblieben.“
Campact streitet für mehr Demokratie in Staat und Wirtschaft. Und nach innen? Ortsgruppen sind bei Campact nicht vorgesehen. Die Basis soll sich rühren, orchestriert von der Zentrale. Die drei Geschäftsführer können allein über die Kampagnen entscheiden. „Das tun wir in der Regel aber nicht,“ sagt Kolb. Üblicherweise fallen die Entscheidungen im wöchentlichen Plenum mit den Mitarbeitern, „außer wenn es schnell gehen muss“. Es gebe Fälle, in denen nur wenige Tage zur Mobilisierung bleiben. „Dafür ist eine schlanke Struktur wichtig.“
Üblicherweise jedoch tritt das Netzwerk einige Wochen vor einer politischen Entscheidung auf den Plan. Das ist wesentlich früher als andere Onlineplattformen – aber der Zeitraum ist wesentlich kürzer, als Fach-NGOs ein Thema beackern. In den Umweltschutzvereinen sagen daher etliche: Campact setzt sich auf Themen drauf, macht eine Riesenwelle und kriegt am Ende die ganze Aufmerksamkeit.
Mit der Kritik an Campact möchte sich jedoch niemand aus den Umweltschutzverbänden zitieren lassen. Aber Campact werde langsam zu mächtig, heißt es bei den alteingesessenen NGOs. „Wir können die Fach-NGOs gar nicht unter Druck setzen, weil wir ohne sie nicht handlungsfähig wären“, sagt Bautz. Er sieht vielmehr eine „Win-win-Situation“.
Das findet auch Gwendolyn Stilling vom Paritätischen Wohlfahrtsverband: „Wir und Campact – da sind ganz verschiedene Kulturen aufeinandergetroffen.“ Gut ergänzt hätten sie sich. Die Vermögensteuer kam trotzdem nicht. Nach der Wahl löste sich das Umfairteilen-Bündnis auf. Vorerst. „Wenn wir wieder ein Möglichkeitsfenster sehen, rufen wir Campact wieder an.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP