Zahlen abarbeiten im Abgeordnetenhaus: Das bisschen Haushalt

Im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses wird über die Berliner Finanzen gestritten. Trotz großer Differenzen bleibt noch Raum für Witzeleien.

Simple Rechnungen und schwarze Zahlen - leider nicht im Hauptausschuss Bild: complize/photocase

Raum 113 im ersten Stock des Abgeordnetenhauses ist nicht gerade ein heimeliger Ort. Es hängt ein bisschen Kunst an der Wand, aber sonst ist die Atmosphäre des Saals nüchtern. Jochen Esser würde ihn kaum als sein Wohnzimmer bezeichnen, wie es Boris Becker mal bei einem Londoner Tennisplatz tat. Und doch gibt es Zeiten, da verbringt der 58-jährige Grünen-Finanzpolitiker hier mehr Zeit als auf dem heimischen Sofa. Die Haushaltberatungen für 2010/2011 sind in der entscheidenden Phase, in Raum 113 legt der zuständige Hauptausschuss Sonderschichten ein, und Esser redet sich mit vergeblichen Änderungsanträgen heiser.

Der Entwurf dessen, wovon das öffentliche Leben Berlins in den nächsten beiden Jahren zehren soll, ist eine gewichtige Sache - in jedem Sinne. Gut 10 Kilo wiegt der Etat gedruckt, knapp 43 Milliarden Euro ist er schwer. Das ist eine 43 mit neun Nullen dahinter. Wegen der Finanzkrise tut sich auf der Einnahmeseite ein großes Loch auf. 5,5 Milliarden will die rot-rote Koalition deshalb über neue Schulden finanzieren. 2008 noch hatte das Land Überschüsse gemacht und fast 1 Milliarde Schulden tilgen können.

Es sind nicht diese kaum fassbar großen Zahlen, an denen sich Esser und seine Kollegen im Hauptausschuss abarbeiten. Viele große Posten sind kaum zu verändern - allein die knapp 100.000 Beschäftigten des Landes kosten jährlich fast ein Drittel des Etats. Die Opposition sucht eher im Detail nach Mängeln des Haushaltsentwurfs der rot-roten Landesregierung. Die Grünen-Fraktion hat jüngst eine Liste mit Einsparvorschlägen vorgelegt und kommt auf 200 Millionen Euro jährlich, um die man sich weniger verschulden müsse.

Wieso etwa, fragen Esser und sein langjähriger grüner Ausschusskollege Oliver Schruoffeneger in einem Papier zum Haushalt, steigen Verwaltungskosten, "obwohl sich die Inflationsrate für Bleistifte nahe null bewegt"? Und wieso müsse der Etat für Dienstreisen um ein Viertel wachsen? Auch die FDP hält deutliche Einsparungen für möglich, kommt sogar auf eine halbe Milliarde. Im Hauptausschuss aber sind meistens Esser und Schruoffeneger zentrale Gegenspieler der Regierungsseite. Der vor einem halben Jahr ausgeschiedene Exfinanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatte schon vor Jahren durchblicken lassen, dass für ihn die beiden das größte Gewicht hätten.

Im September hat der rot-rote Senat seine Vorstellungen, wofür wie viel ausgegeben werden soll, ins Abgeordnetenhaus eingebracht. Vorangegangen waren Abstimmungen zwischen den einzelnen Senatsverwaltungen und dem parteilosen, aber SPD-nahen Finanzsenator Ulrich Nußbaum. An dem liegt es, die Forderungen der einzelnen Ressorts auf das Maß zu stutzen, das der Senat zuvor festgelegt hat, die sogenannten Eckwerte. Im Hauptausschuss geht der Entwurf durch zwei Lesungen und eine Schlussrunde, bevor das Abgeordnetenhaus am 10. Dezember entscheiden soll.

Nicht alle sind an diesem Vormittag im Hauptausschuss mit gleichem Engagement bei der Sache wie Esser und Schruoffeneger, als es um Mieterpolitik geht. Von den Plätzen der Linkspartei aus streitet sich Fraktionsvize Jutta Matuschek zwar viel und gern mit der Opposition, andere in der Koalition fordern in Zwischenrufen den "Abschluss der Debatte" oder malen im Staub auf dem Bildschirm ihres Laptops vor sich hin.

Es ist eine Welt für sich mit einer eigenen Sprache. Da ist etwa von "roten Nummern" zu hören, zu denen "Senfin" auch noch etwas zu melden habe. Dabei ist die rote Nummer genauso wenig rot, wie Senfin irgendetwas mit würzigen Produkten aus Bautzen zu tun hat. Gemeint ist die Senatsverwaltung für Finanzen, und rot sind bloß die Aufkleber mit schwarzen Zahlen auf Unterlagen, die mit Stellungnahmen der Fachverwaltung zurückkommen. Hunderte solcher Berichtsaufträge gibt es bei jedem neuen Haushalt.

"Rot-rote Verschwendung" hat Esser in den Tagen vor dieser Sitzung moniert, die FDP sprach von Denkverboten, die CDU von einem "fantasielosen Haushalt" ohne wirkungsvolle Akzente. Diese harschen Ansagen führen aber nicht dazu, dass die Stimmung im Ausschuss eisig wäre. Ausschusschef Ralf Wieland, über den man in der Opposition durchaus Lob hören kann, witzelt mehrmals, Finanzstaatssekretärin Iris Spranger (beide SPD) lädt den Grünen Schruoffeneger übers Saalmikrofon zum Kaffeetrinken ein.

Man kennt sich zum Teil seit vielen Jahren. Es ist kein Ort für Dünnbrettbohrer: Wer ohne genaue Detailkenntnis platt daherredet, ist schnell unten durch. An diesem Morgen gibt es noch einen Beleg dafür, dass Raum 113 nicht der Ort schlichter politischer Auseinandersetzung ist. Baustaatssekretärin Hella Dunger-Löper (SPD), die sich zu einem neuen Mietkonzept äußern muss, war erst eine Woche zuvor als designierte Präsidentin des Landesrechnungshofs durchgefallen - und doch verzichtet die Opposition auf jegliche Stichelei in diese Richtung.

Grünen-Haushälter Esser ist seit 1999 im Parlament, es sind seine achten Haushaltsberatungen. Keinen einzigen Etat konnte er auf Regierungsseite beschließen - als die Grünen Mitte 2001 für sieben Monate in den Senat rückten, verschoben sich die Beratungen für 2002 ins nächste Jahr. Viele Dutzend Anträge hat Esser aus der Opposition gestellt - "durchgekommen ist fast nichts", sagt er. Es sind indirekte Erfolge, die ihn weitermachen lassen. Wenn er eine ursprünglich grüne Idee plötzlich in einem Antrag von Rot-Rot wiederfindet, "dann habe ich doch das Gefühl, was angeschoben zu haben".

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