Ypsilanti über die Koalistionsfrage: "Eine linke Frau hat es schwer"
2008 stand Andrea Ypsilanti in Hessen vor einer ähnlichen Situation wie Genossin Kraft jetzt in NRW: Große Koalition oder Linksbündnis? Für Letzteres sei Mut nötig, meint Ypsilanti.
taz: Frau Ypsilanti, die SPD könnte in Nordrhein-Westfalen nach gegenwärtigem Stand nur zusammen mit der Linkspartei die Ministerpräsidentin stellen. So eine Zusammenarbeit haben Sie vor zwei Jahren in Hessen ausgeschlossen. Sind derart kategorische Aussagen aus heutiger Sicht richtig?
Andrea Ypsilanti: In Hessen habe ich die Zusammenarbeit 2007/2008 vor der Wahl ausgeschlossen, weil diese Frage damals in der SPD noch absolut tabu war. Es gab keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Programmen. Aber genau die braucht man heute wie damals, bevor man eine Koalition ausschließt oder eingeht.
Der Dialog zwischen SPD und der Linken ist also weiter als damals?
Die Parteien haben zumindest begonnen, sich mit der Programmatik der jeweils anderen auseinanderzusetzen. Aber auch die Medien sollten sich mehr mit den Inhalten befassen und nicht immer nur darüber spekulieren, wer nun mit wem koalieren könnte.
(53) war Vorsitzende des Landesverbands sowie der Fraktion der SPD Hessen. Nach der Landtagswahl im Januar 2009 trat sie zurück, blieb aber Abgeordnete.
Tun wir es trotzdem noch einmal: Ähnlich wie möglicherweise jetzt Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen standen Sie auch vor vor der Wahl große Koalition oder Bündnis mit der Linken. Warum lehnten Sie die große Koalition ab?
Das wäre in Hessen der größtmögliche inhaltliche Wortbruch gewesen. Unsere Politik war mit der Politik der Koch-CDU nicht vereinbar. Heute bekommen die Menschen viel zu oft Koalitionen, die inhaltlich nicht mehr das vertreten, was die WählerInnen mit ihrer Stimme bezwecken wollten. Das ist Betrug an den Wählenden. Es schafft Politikverdrossenheit.
Aus Sicht der SPD ist die große Koalition grundsätzlich falsch?
Ja. Eine große Koalition ist meistens ein großer Kompromiss und lähmt die Demokratie.
Sie haben sich für die Zusammenarbeit mit der Linken entschieden und wurden daraufhin von den Medien und Ihrer Partei abgestraft. Ist dies grundsätzlich das Risiko einer Politikerin, die mit der Linken flirtet?
Für den grenzwertigen Umgang mit mir gibt es jedenfalls kein geschichtliches Beispiel. Eine linke Frau hat es schwer in Deutschland. Wenn mein Name Andreas Ypsilanti gewesen wäre, wäre manche Debatte sicher anders geführt worden.
Also kann eine Frau das SPD-Tabu Rot-Rot-Grün nicht brechen - sondern dafür braucht die SPD einen Mann?
So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, jeder Politiker hätte es schwer, der mit einem dezidiert linken, gemeinwohlorientierten Programm antritt. Aber unabhängig vom Geschlecht braucht jemand dafür vor allem Mut.
Der selbstverordnete und öffentlich auch so bezeichnete Linksruck der SPD funktioniert also in der Praxis gar nicht?
Ich sehe keinen Linksruck in der SPD. Die Basis der SPD erwartet eine linkere Politik, als sie ihr durch Gerhard Schröder aufgezwungen wurde. Wie sich das programmatisch untermauert, werden wir sehen.
Sie haben das Institut für Solidarische Moderne gegründet - ein Zusammenschluss von Politikern aus SPD, Grünen und Linken, dazu Wissenschaftler und Gewerkschafter. Muss die Politik die Systemfrage stellen?
Wir wollen einen zielgerichteten Programmdialog. Die Bildungsfrage muss neu aufgerollt werden. Auch die Wirtschaftskrise zeigt das Scheitern eines Systems. Dazu haben wir eine Klima- und eine Vertrauenskrise in der Politik. Zu diesen Fragen arbeitet das Institut. Diese Probleme müssen als Ganzes angegangen werden. Es ist ein Problem der linken Politik, dass nur noch an Stellschrauben gedreht wird - als sei das System in Ordnung. Das Gesamte hat keiner mehr im Blick.
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