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■ Youngster in SPD und bei den Grünen spielen noch mal das alte Generationenspiel. Aber macht der alte Jugendkult noch Sinn?Das Ende der ödipalen Schlachtrufe

Jugend ist der Schneewittchenspiegel der bürgerlichen Gesellschaft. Sagen wir lieber, er war es. Der Spiegel ist stumpf, wenn nicht bereits zersprungen. Dennoch versuchen in einer Zeit allergrößter politischer Erschöpfung „Youngster“ in der SPD und Hyperrealos bei den Grünen ihre Auftritte ausgerechnet im Namen der Jugend. Zwei schwach gewordene Figuren aus den Aufführungen weltlicher Heilsversprechen werden von ihnen noch einmal aufgerufen: die große programmatische Geste und die Hoffnung auf die „junge Generation“. Jeder, auch die Autoren dieser selten schludrigen Papiere, spürt, wie gefälscht diese Inszenierungen sind. Um so schärfer stellt sich die Frage, woher sonst wir das Generieren von Neuem erwarten dürfen?

Der Generationenkrieg jedenfalls, nach dem Regimenter von Alterskohorten auf symbolische Schlachtfelder zogen, hat offenbar seine letzte, die ironische Phase erreicht. Damit wird auch der alte Generationenbegriff obsolet. Er wird an die Computerindustrie abgetreten, die alle paar Monate ihre allerneueste Hardware hervorbringt. Aber auch bei den Computerleuten zieht Ironie ein, kürzlich flaggte eine Firma am Frankfurter Flughafen: „Geräte aller Länder vereinigt Euch!“ Die großen Parolen taugen nur noch für die Werbung und auch dort nur, wenn sie wenigstens einmal gefaltet sind.

Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, den etwas anderen Generationenbegriff zu diskutieren, den der Sozialwissenschaftler Heinz Bude vorgeschlagen hat. Er sprach hoffnungsvoll von der „Generation Berlin“ und fügte gleich hinzu, sie sei keine Altersgruppe, schon gar keine neue Jugendbewegung. „Generation Berlin steht für eine Einstellung, die sich nicht mehr vor allem durch Kritik definiert. Sie steht für eine riskantere Praxis.“ Es geht ihm um eine „nachkritische Haltung“.

Diese Generation, die keine Altersgeneration mehr ist, auch keine Partei sein will, die eher verborgen mit anderen Modi der Wahrnehmung experimentiert und an einer anderen Grammatik des Handels arbeitet, sie ruft nicht: Platz da, hier sind wir! Sie tritt nicht mehr mit ödipalen Schlachtrufen auf. In ihrem Namen kann niemand mehr behaupten, wir sind die neue Welt.

Es geht vielmehr darum, Erneuerung, auch die eigene, überhaupt erst zu wagen. Ein großes Projekt: Experimente mit der Welt und an sich selbst. Sie zielten nicht aufs Ende der Geschichte, kein letztes Gefecht. Abschied von der großen Lösung, erst recht von jeder Erlösung. Ein Vorhaben wird angekündigt, das so unverschämt ist, nicht mehr zu wollen, als mitten reinzugehen in eine unübersichtliche Welt und dort wirksam zu werden. Eine Politik der radikalen Mitte.

Nicht mehr vom sicheren Hochsitz die Kritik an der Welt zelebrieren, um dann die mutig rezensierte Wirklichkeit für unzureichend zu befinden, zu verurteilen, nach Schuldigen zu suchen und selbst unschuldig von einer ganz anderen Welt zu träumen. Nein, herabsteigen, sich einmischen, auch sich selbst aufs Spiel setzen, jedenfalls mitspielen – und, das versteht sich, jede Menge Fehler machen dürfen.

So könnte Politik jenseits der erloschenen Politikerpolitik in ihrem Nerv erneuert werden. Eine Politik nicht mehr des Entweder-Oder, des eindeutigen „richtig“ oder „falsch“, sondern eher eine „Polytik“ der vielen Möglichkeiten.

„Alles ist politisch“, das war ja bereits ein Bekenntnis der 68er, die dann das eben entdeckte Politische sogleich wieder verengten, flugs alten Reinheitsvorstellungen erlagen, oft dogmatisch verklumpten oder die Welt grollend privatisierten. Ein Teil der 68er, und das sind nicht wenige, bekam allerdings die Kurve, kreuzte Utopie mit Pragmatismus und brachte neue Mischungen hervor.

1989 schließlich ging das große Schisma dieses Jahrhunderts zu Ende. Der Glaube, Gutes und Böses hätte einen eindeutigen Ort, hüben oder drüben, diese Religion zerbrach. Reinheitsvorstellungen sind endgültig sektiererisch geworden, und Erlösungsphantasmen machen sich nur noch lächerlich. Dazu gehört die mißglückte Generation-Kreation der sogenannten 89er, eine Kopfgeburt als Gegenentwurf zu den 68ern.

Budes Generation Berlin hingegen, gewiß eher noch Ahnung und Wunsch als bereits dominant, wird nicht mehr durch das Geburtsdatum bestimmt, sondern durch die radikal irdische Entscheidung, immer wieder neu auf die Welt zu kommen: Nicht mehr „Himmel auf Erden“, was dann die Erde regelmäßig zur Hölle machte, sondern endlich Erde auf Erden, wie es der Philosoph Odo Marquard vorschlägt, der sich mit diesem Satz, obgleich er seinen 70. Geburtstag längst gefeiert hat, zum Mitglied der, nennen wir sie also so, „Generation Berlin“ qualifiziert hat.

Jede Erneuerung beginnt mit Unterscheidungen, zunächst mit Abgrenzungen. Die Generation Berlin versucht von Reinheitsvorstellungen und von jeder bornierten Kritik Abschied zu nehmen. Dem Kritikmodell des Denkens lag ja ein einfaches Schema zugrunde. Man hatte eine fast transzendentale Vorstellung von dem, was richtig ist. Insofern war keine prinzipiell unbekannte Zukunft zu entwickeln und die Welt auch nicht wirklich zu erneuern. Die Welt war, wenn doch das Richtige bekannt ist, nur noch ins Lot zu bringen. So oder so ähnlich klingt die Metaphorik der großen Kritik: vom Kopf auf die Füße stellen, Re/volution. Wiederherstellen, was schon war oder wie es sein müßte. Zukunft ist in diesem Denken bereits ideell verwirklicht, nur noch nicht erlöst, insofern ist sie Vergangenheit. Wenn man selbst das Richtige sein oder dessen Standpunkt einnehmen kann, entsteht jene herablassende Pose von Kritik: „Das ist ja nur Reformismus ... Das macht er ja nur, weil ihm nichts Besseres einfällt ...“

Der Generation Berlin geht es darum, sich experimentell der Wirklichkeit zu nähern, auszuprobieren, was man machen kann, und sich mit vorläufigen Lösungen fürs erste zu begnügen, aber nur fürs erste.

Wir können überall beobachten, wie sich der Blick von seiner vertikalen Fixierung löst. Sei es die Auflösung von Hierarchien in Unternehmen oder das Einebnen erhobener politischer Bühnen. Auch die herkömmliche Generationenchoreographie war vertikal ausgerichtet. Man blickte auf, wenn auch im Zeichen des Jugendwahns die Älteren anfingen, sich nach den Jüngeren auszurichten. Nun beginnt der Blick sich horizontal zu orientieren, sucht den Helden gewissermaßen im Nachbarn, nicht mehr oben, und verzichtet darauf, sich auf die da unten herabblickend zu sanieren. Überall eine ähnliche Skepsis gegenüber allen Formen von Hierarchie, Autorität und Heldentum. „Politik bringt nicht mehr zum Ausdruck, was in der Gesellschaft passiert“, sagt Bude. Die Gesellschaft sei in ihren Eigenregulationen weiter als die Regulationsvorstellungen, die von der Politik angeboten würden.

In ihrem Blabla unterscheiden sich die jüngsten Politikpapiere kaum. Nach der Lektüre sowohl der Seiten von den SPD-Youngstern, der Berninger Gang von den Grünen oder auch des Schröder/Blair-Elaborats ist kein Wort so leer und unbrauchbar wie das dort am häufigsten gebrauchte: „modern“. Erkennbare Differenzen sind gering. Kann fern einer experimentellen Praxis, die nur handelnd herausfindet, was möglich ist, überhaupt noch politisch gedacht werden? Wo wären dann die Orte für die Neuerfindung des Politischen?

Überall dort, wo das Experiment mit sich selbst und mit der Welt erstritten worden ist. Nötig und möglich wird nun eine Art subversiver Konstruktivismus. Sich ins Gelingen verlieben, nicht mehr ins Rechthaben, und zu wissen, daß Gelingen vor allem von einem abhängt: Man muß Fehler machen dürfen, ohne von anderen dazu verurteilt zu werden, selbst falsch zu sein. Fehlerfreundlichkeit ist geboten. Man kommt immer wieder auf diesen mentalen Lackmustest: Sage mir, wie du's mit dem Fehler hältst, und ich sage dir, wer du bist. Die Entdeckung des Fehlers ist die des Mutationspotentials. Der Fehler ist nicht bloß eine Abweichung, die wieder auf Linie zu bringen ist, der Fehler wird zum produktiven Strudel einer neuen „radikalen Mitte“.

Es kommt also darauf an, kleine und große Institutionen zu Kreißsälen der Zukunft umzubauen. Verbreitet allerdings sind die Masken bewährter Routinen. Lähmend wirkt vor allem die deutsche Vorliebe, Opfer sein zu wollen, aus lauter Angst davor, Täter werden zu können. Wer handelt, ist fehlbar. Nur als Opfer kann man sich einbilden, rein und unschuldig zu sein. Reinhard Kahl

Der Generationenkrieg hat offenbar seine letzte, die ironische Phase erreichtFehler machen zu dürfen – das ist der Lackmustest jeder neuen Politik

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