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YouTube-Tutorial von US-BandSteht die Gitarre kopf?

Dave Longstreth ist Mastermind der US-Band Dirty Projectors und gibt Fans Gitarrenunterricht bei Youtube. Dabei präsentiert er eine neue EP.

Ein Strauß voll Melodien: Dave Longstreth Foto: Jason Frank Rothenberg

„Over, over, over, Overlord.“ Corona ist noch lange nicht over. Der zweite Quarantänemonat hat erst begonnen. Die Arbeit an uns selbst geht weiter im realexperimentellen Postkonsumismus. Zum Glück ist eine Gitarre im Haus. „How can you try not to help me? Help me!“ singt Dave Longstreth von Dirty Projectors und hält uns seine Klampfe vor die Linse. In seinem ersten Live-Gitarren-Tutorial geht es voran. Nach annähernd 20 Minuten sind wir bei der Bridge von „Overlord“, dem Titelsong der neuen EP „Windows Open“ der Dirty Projectors, angelangt.

Stolze 135 Follower haben sich live im Fenster des virtuellen Klassenzimmers auf dem Youtube-Kanal der US-Band eingefunden. „Bring the magic!“ ruft ihm ein Fan in der Kommentarleiste zu. Magie braucht Technik und Technik braucht Vermittlung und alles drei muss man üben, üben, üben.

Gar nicht so einfach für den autodidaktischen Didaktiker Longstreth, das, was die Finger sonst wie von alleine auf dem Griffbrett aufführen, in Worte zu fassen. Alles stockt. Vor allem die Übertragungsqualität der Übungsstunde mit einem der einflussreichsten Komponisten und Musikproduzenten des frühen 21. Jahrhunderts stockt.

„It’s weird that the internet got slower, when the virus came along.“ Kein Satz, kein Akkord unseres Lehrmeisters, der nicht von digitalen Glitches oder einem rotierenden Ladesymbol zerhackstückt wäre. Erschwerend kommt hinzu: Steht die Gitarre Kopf? Longstreth ist Linkshänder.

Langsames Internet

Dirty Projectors

Dirty Projectors: „Windows Open“ (Domino/GoodToGo)

Mit „Windows Open“ hat Longstreth in enger Zusammenarbeit mit Ensemblemitglied Maia Friedmann seine Dirty Projectors wieder zu der Formel zurückgeholt, die er für die Interpretation von Black Flags „Gimme, Gimme, Gimme“ auf dem Album „Rise Above“ (2007) erfand und später für seinen Signatursong „Stillness is the Move“ beim Album „Bitte Orca“ (2009) perfektionierte: Ein gemischtes Quintett tiefenentspannter Indigo-Children (Millennials) singt und spielt trickreiche Arrangements in Geschwindigkeiten und Tonlagen, die alles im Kopf der Hörer:innen auf links drehen und das in einer verliebten Addition aus Hochleistungsakrobatik und Laisser-faire, aus Qual und Erlösung.

Perfekt für den progressiven Produzenten-Pop der Postnullerjahre, denn in Folge standen zunächst Björk und Solange, später Kanye West Schlange und suchten die Kooperation mit dem Yale-Dropout. Dem Internetmagazin Pitchfork hat Longstreth einst verraten, dass sein ästhetisches Schlüsselerlebnis die Lektüre von John Miller Chernoffs „African Rhythm and African Sensibility“ gewesen sei. Das Buch aus dem Jahr 1980 – die Kurzformel scheint zu sein, je besser die Beziehung einer Gruppe, desto schöner ihre Musik – kommt auf meine Corona-Leseliste. An Zeit ist ja gerade kein Mangel, denn frühestens in anderthalb bis zwei Jahren werden wir uns selbst aus der Isolation entlassen dürfen, sagt Bill „Microsoft“ Gates.

Zurück zur Musikstunde. Wie hält Dave es mit dem Picking? „Na ja, wenn ein Akkord danach fragt, in einem Arpeggio aufgelöst zu werden?“ Tapfer sitzt Dave Longstreth an einem Montagvormittag in seinem fensterlosen Heimstudio in Los Angeles und merkt vielleicht gerade, dass er sich noch nie Gedanken über Zupfmuster gemacht hat.

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Overlord

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Youtube ist schon lange meine Musikschule. Meine Lieblingslehrer sind Manish Pingle, ein indischer Slideguitarspieler in Mumbai oder die weißbärtige, von Facebook inzwischen mehrfach geblockte Mucker-Legende Leland Sklar und sein aufregend hässlicher Bass: fünfsaitig mit Fächergriffbrett, auf den er einen fetten „Resist“-Bumpersticker aufgeklebt hat und mit dem er mir zu meiner allergrößten Verzückung den Smashhit „Sussudio“ von Phil Collins vorführt.

Der Architekt und Erfinder Buckminster Fuller prophezeite übrigens 1962 in „Edu­cation Automation“ das gegenwärtige Zeitalter des selbstbestimmten Lernens, Äonen vor allen anderen. Schulen, Akademien, Universitäten, packt mal ein. Roll over, Overlord.

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1 Kommentar

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  • Corona sei Dank sitze ich jeden Abend virtuell bei Brian May zu Hause und lasse mir zeigen, was mir alle Songbücher nie vermitteln konnten!