: Wundermittel gegen Rezession
Japans neue Regierung stellt heute ihr Wirtschaftsprogramm vor / Rezession und Exportboom setzen Premier Hosokawa unter Druck/ ■ Aus Tokio Georg Blume
Für den neuen japanischen Premierminister Morihiro Hosokawa beginnt heute der Ernst des Regierens. Mit der Auflage eines neuen Konjunkturprogrammes und der Verkündung eines komplizierten Reformwerks von Deregulierungsmaßnahmen für den japanischen Binnenmarkt will Hosokawa den Kampf gegen die anhaltende Wirtschaftsrezession im Land aufnehmen und den Kritikern im Ausland zeigen, daß Japan bereit ist, seine Märkte zu öffnen.
Die Zeit drängt. Düsterer denn je ist die Wirtschaftslage. Von April bis Juni sank die Produktion um einen halben Prozentpunkt, im Jahresdurchschnitt um zwei Prozent. Gleichzeitig schnellte der Außenhandelsüberschuß, die für Japan politisch wichtigste Wirtschaftsziffer, im August auf die Rekordhöhe von 12,2 Milliarden Mark, ein Anstieg um 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Beide Trends, den Wachstumsrückgang im Inland und den fortdauernden Exportboom, muß die Regierung von Premierminister Hosokawa unter Kontrolle bringen, wenn sie ihre bereits heute angezweifelte wirtschaftspolitische Kompetenz nach 38 Jahren Herrschaft der Liberaldemokratischen Partei für den Wähler unter Beweis stellen will.
Dabei hängt der Erfolg Hosokawas an so kniffligen Problemen, wie den Öffnungszeiten für Supermärkte, der zugelassenen Größe von Bierbrauereien oder der Höhe der Taxigebühren. Das sind nur drei Beispiele für Branchen, in denen die neue Regierung heute ihr Jahrhundertwerk zur Liberalisierung der japanischen Märkte in Gang setzt. Nun also sollen Supermärkte ihre Tore auch nach sieben Uhr abends geöffnet halten können. Ab sofort werden kleine Bierbrauereien von den Behörden zugelassen, welche die bisher einmalige Konzentration auf dem von nur vier Firmen beherrschten drittgrößten Biermarkt der Welt aufbrechen sollen. Derweil können Taxiunternehmen nunmehr ihre Tarife selbst bestimmen.
Insgesamt 60 solche Maßnahmen, von der Einführung des bisher nur im Ausland üblichen Haltbarkeitskennzeichen für Lebensmittel bis zur Freigabe der Markts für Satellitentelephone, plant die Regierung in den nächsten Wochen auszuführen. Gleichzeitig hat Hosokawa einen hochrangigen Wirtschaftsrat unter Leitung des Arbeitgeberpräsidenten Gaishi Hiraiwa eingesetzt, um bis Weihnachten weitere grundlegende Marktreformen zu formulieren, die dann bis März nächsten Jahres umgesetzt werden sollen.
Da diese Reformen in ihren Auswirkungen auf das Wirtschaftsgeschehen jedoch keinesfalls garantierte Ergebnisse versprechen und viele Kritiker befürchten, Japans einflußreiche Bürokraten könnten den Plänen noch zahlreiche Steine in den Weg legen, setzt die Regierung ihre Hoffnungen gleichzeitig auf ein traditionelles Konjunkturprogramm. Zusätzliche öffentliche Gelder in Höhe von 60 Milliarden Mark sollen über einen Nachtragshaushalt bis zum Ende des japanischen Bilanzjahres im März 1994 in die Wirtschaft gepumpt werden. Dabei will die Regierung ihren Kurswechsel mit neuen sozialen und kulturellen Projekten unterstreichen: „Die Konjunkturspritzen sollen in Zukunft den Verbrauchern und nicht den Herstellern zugute kommen“, hat Premier Hosokawa versprochen. Für zwölf Milliarden Mark sollen deshalb Fußwege für Behinderte ausgebaut werden, veraltete Museen restauriert und die Altenpflege gefördert werden. Weitere zwölf Milliarden Mark sollen in den sozialen Wohnungsbau fließen. Darüber hinaus können kleine und mittlere Unternehmen mit Steuererleichterungen rechnen, während eine allgemeine Einkommensteuersenkung, sollte es heute keine Überraschung geben, erneut vertagt wird.
Wie jedoch die beiden Konjunkturprogramme der letzten liberaldemokratischen Regierung vom September 1992 und April 1993 beweisen, sind auch solche Programme kein Heilmittel für Nippons chronischen Außenbilanzüberschuß, der die Handelspartner in Amerika und Europa langsam, aber sicher zum Verzweifeln bringt. Seit eineinhalb Jahren steigt gerade der Überschuß mit den USA Monat für Monat auf unerreichte Höhen. Entgegen allen Berichten von der Krise der japanischen High-Tech-Industrien boomen die Exporte dieser Branchen. Allein im August legten die Ausfuhren der japanischen Chip- und Elektronikhersteller um 29,6 Prozent zu. Was also tun, um am kommenden Montag den offenen Zusammenstoß mit Bill Clinton während des ersten US–japanischen Gipfels nach dem Machtwechsel in Tokio zu vermeiden?
„Es ist möglich, daß wir eine Quote des Bruttosozialprodukts für den Handelsüberschuß festlegen“, schlug der japanische Außenminister Tsutomu Hata vor wenigen Tagen vor. Erstmals gab die japanische Regierung damit dem Drängen der Amerikaner nach festen numerischen Zielen im Handelsaustausch nach. Denkbar ist, daß sich Japaner und Amerikaner auf das Ziel einigen, Nippons Handelsüberschuß innerhalb von drei bis vier Jahren von heute annähernd vier auf zwei Prozent des japanischen Bruttosozialprodukts zu kürzen. Auch darüber aber entscheidet letztlich der Führungswille von Hosokawas noch unerfahrener Regierungsmannschaft. Bürokraten des Tokioter Finanzministeriums haben die Regierung für ihre Kompromißbereitschaft gegenüber Washington und für die geplanten Steuersenkungen während der letzten Tage scharf kritisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen