piwik no script img

Wunderbare Rätsel

■ ...von Rosemarie Trockel, derzeit in der Kunsthalle und im Neuen Museum Weserburg zu erleben

Es ist eine kühle Kunst, für die die Bremer neuerdings ihr Herz entdeckt haben: Rosemarie Trockel produziert ihre Bilder auf computergesteuerten Strickmaschinen und liebt es, die Spuren künstlerischen Handwerks sorgsam zu tilgen. Letztes Jahr in der Deutschen Bank am Domshof, jetzt schon in der Kunsthalle und gleichzeitig auch noch im Neuen Museum Weserburg — Trockels abweisende Kunststücke haben wohl doch irgendwas Anziehendes.

Trockel gehört zur jüngeren Generation konzeptuell arbeitender Künstler. Ihre Strickbilder, von denen einige jetzt in der Weserburg in der Sammlung Grothe zu sehen sind, wirken oft auf den ersten Blick hermetisch — man ahnt die clevere Methode, die hinter dem schlichten Strickmuster steckt. Und dennoch sind viele ihrer Arbeiten vorgründig recht hübsch und gefällig — vielleicht ist das nicht der geringste Grund für den Erfolg auf dem Kunstmarkt.

Für den Kunstsachverständigen aber sind in die schöne Oberfläche viele köstliche Zitate eingewoben, viele ironische Anmerkungen über die Künstler von einst und jetzt, vor allem aber: viele Widersprüchlich keiten, die sich auch auf den gelehrten zweiten Blick nicht auflösen lassen und dem Betrachter wunderbare Rätsel aufgeben.

Da boten sich die Vexierbilder des Rorschach-Tests der Künstlerin nachgerade an. Die symmetrischen Klecksbilder gelten spätestens seit den Surrealisten quasi als populäre Symbole der Vieldeutigkeit: Wo immer es die Phantasien der Kunstbetrachter anzusprechen galt, holten die Künstler seither die rätselhaften und doch auch formschönen Klecksbilder aus der Schublade. Das funktioniert bei Trockel immer noch ganz ähnlich. Aber von spontan, gar genialisch hingeklecksten Abstraktionen ist hier keine Spur mehr: Die Strickmaschine hat alles schön ordentlich verkettelt und die Tagträume so in geregelte Bahnen gelenkt.

Das freie Assoziieren und die mechanistische Methode, das Subjetive und das Objektive: Beides hebt einander in Trockels Bildern allerdings nicht auf; beides ist möglich und denkbar — und noch vieles mehr. Was allein der Anblick eines Eiszapfens in der Künstlerin bewirken kann, ist nunmehr in der grafischen Sammlung der Kunsthalle einzusehen. Auf Anfrage von Direktor Salzmann spendierte die Deutsche Bank, die schlau sich rechtzeitig mit einem Satz Trockelkunst eingedeckt hatte, der Kunsthalle eine Dauerleihgabe: „White Carrot“, eine Serie von Druckgrafiken, deren phantastische Motive allesamt auf dem erwähnten Eiszapfen beruhen. Wie da die Romantik und der Suprematismus einander durchdringen; wie da kühle Wissenschaft und holdeste Kunst Hand in Hand gehen; wie dann immer wieder die Stereotypen es Weiblichen und des Männlichen ineinanderschmelzen — das ist eben nicht nur klug kalkuliert, sondern auch dem Auge ein Wohlgefallen. Grund für die Kunsthalle, davon demnächst noch mehr zu sammeln. tom

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen