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Wucht der BilderMit Kreuzen und Grablichtern gegen politisches Comeback

Anne Spiegel war während der Ahrtal-Katastrophe Umweltministerin. Nun will sie Sozialdezernentin der Region Hannover werden. Es gibt Protest.

Die Wucht des Bildes: 135 Kreuze und rote Grablichter drapierten Demonstranten auf dem Platz vor der Oper in Hannover Foto: Stefan Rampfel/dpa
Nadine Conti

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Nadine Conti aus Hannover

Rein zahlenmäßig war die Demonstration gar nicht groß: Ungefähr 50 Leute sollen sich da auf dem Opernplatz in Hannover versammelt haben. Doch die Wucht des Bildes, das sie produzierten, hatte es in sich: 135 Kreuze und rote Grablichter drapierten sie auf dem Pflaster.

Als Symbol für die Toten der Flutkatastrophe im Ahrtal, die nun zwar schon vier Jahre her ist – für viele aber unvergessen – und wohl auch unverzeihlich. Jedenfalls finden es die Organisatoren der kleinen Trauerkundgebung unmöglich, dass sich Anne Spiegel – damals Umweltministerin in Rheinland-Pfalz – nun in Hannover auf den Posten der Sozialdezernentin bewirbt.

Sie habe damit echte Bauchschmerzen, sagt Anika Lilienthal im Gespräch mit der taz. Sie sitzt für die FDP im Rat der Stadt Burgdorf in der Region Hannover, aber diese Demo hat sie als Privatperson angemeldet, betont sie.

Die Katastrophe im Ahrtal ging ihr nahe, weil sie damals in engem Kontakt mit Landwirten stand, die zum Teil selbst betroffen waren, zum Teil zum Helfen in das Krisengebiet fuhren. Sie selbst habe leider nicht mitfahren können, aber im Hintergrund versucht, von Hannover aus alles möglichen Dinge zu organisieren, von Treckerreifen bis zu Unterkünften.

„Wir kannten uns von den Bauerndemos und Protesten gegen das Wolfsmanagement“, erläutert sie. Das waren allerdings auch Zusammenhänge, in denen Grüne ganz generell nicht sonderlich gut gelitten waren. Aber damit, versichert sie, habe das hier nichts zu tun. „Wir haben die Kundgebung bewusst so gestaltet, dass sie nicht durch andere politische Botschaften gekapert werden kann. Wir wollten ein würdevolles Gedenken der Opfer.“

Statue der 22-jährigen Johanna Orth

Dazu diente auch die Statue der 22-jährigen Johanna Orth, die – wie auch die Kreuze – von einem Künstler aus dem Ahrtal zur Verfügung gestellt wurde. Die 22-Jährige starb, weil sie den falschen Warnmeldungen glaubte und sich im Erdgeschoss schlafen legte, wo sie keine Chance hatte, der Flutwelle zu entkommen. Seither kämpfen ihre Eltern für eine juristische Aufarbeitung.

Es ist allerdings fraglich, ob die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) dafür die richtige Adressatin ist. Ihr wird und wurde vor allem ihr kommunikatives Fehlverhalten während und nach der Katastrophe vorgeworfen. So soll sie in der Flutnacht und am Morgen nach der Katastrophe nicht erreichbar gewesen sein.

Im Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtages kamen außerdem interne Chats mit ihrem Pressesprecher zur Sprache, die klingen, als wäre ihre erste Sorge das eigene Image und die eigene Karriere gewesen und weniger die Situation der Opfer. Berühmt wurden Äußerungen wie „das blame-game könnte sofort losgehen“, „wir brauchen ein wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben“.

Anne Spiegel ist zu jung für die Flucht in den Ruhestand: Für das Amt der Sozialdezernentin haben sie die Grünen vorgeschlagen Foto: Annette Riedl/dpa

Zehn Tage nach der Flut fuhr Spiegel zudem mit ihrer Familie in einen vierwöchigen Frankreichurlaub – was sie später in einer denkwürdig desaströsen Pressekonferenz mit den familiären Belastungen durch eine schlimme Erkrankung ihres Mannes und Corona mit vier kleinen Kindern zu begründen versuchte.

Was der Untersuchungsausschuss allerdings auch festhielt: Die Hauptverantwortung lag nicht in ihrem Haus, dem Umweltministerium, das Spiegel zu diesem Zeitpunkt seit gerade einmal zwei Monaten führte.

Fehlen von Meldeketten im Katastrophenschutz

Viel katastrophaler wirkte sich das Fehlen von Meldeketten, Notfall- und Evakuierungsplänen im Katastrophenschutz aus – hier hatten vor allem Landkreis und Landrat versagt, mittelbar auch das übergeordnet zuständige Innenministerium.

Auch hier traten die Verantwortlichen nur zögerlich zurück. Innenminister Roger Lewentz (SPD) ein halbes Jahr nach Spiegel, er ist heute einfacher Landtagsabgeordneter. Landrat Jürgen Pföhler (CDU) meldete sich erst einmal krank und ließ sich dann in den Ruhestand versetzen. Ein strafrechtliches Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, ein disziplinarrechtliches Verfahren zur Aberkennung seiner Pension läuft immer noch.

Anne Spiegel ist mit ihren 44 Jahren wohl zu jung für die Flucht in den Ruhestand. Für das Amt der Sozialdezernentin haben sie die Grünen vorgeschlagen. Zu den Protesten schweigen sie aber lieber betreten.

Auch die anderen Parteien halten sich mit allzu deutlicher Kritik an der Personalie zurück. Der Vorsitzende der CDU-Regionsfraktion Bernward Schlossarek sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), Spiegel habe eine Chance verdient und „wir sollten sie ihr geben“. Man könne für gescheiterte Politiker ja kein Berufsverbot verhängen.

Funktionierender Parteienproporz

Bei der Wahl, die für Dienstagnachmittag, den 11. November, angesetzt ist, setzen die Grünen möglicherweise auf den funktionierenden Parteienproporz. Denn gewählt werden soll zunächst der SPD-Kandidat Torben Klant für das Amt des Ordnungsdezernenten, dann die Grünen-Kandidatin Anne Spiegel als Sozialdezernentin und abschließend die CDU-Kandidatin Isabella Gifhorn als Baudezernentin. Wenn die CDU also nicht wie verabredet für Spiegel stimmt, könnten sich die Grünen beim nächsten Wahlgang rächen.

Bevor es überhaupt zur Wahl kommt, muss Anne Spiegel aber wohl noch einmal Spießrutenlaufen. Die Protestierenden wollen sich auf dem Bürgersteig vor dem Regionshaus postieren – mit weniger Kreuzen, weil nicht so viel Platz ist, aber auch mit der Statue von Johanna.

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