Wowereit muss gehen: Flieg langsam - jetzt erst recht
Sechs Gründe und ein Fazit, warum Klaus Wowereit die Verantwortung übernehmen muss
1. Gebrochenes Versprechen
Als am 5. September 2006 der erste Spatenstich für die Baustelleneinrichtung in Schönefeld erfolgte, sagte Klaus Wowereit (SPD): „Der Ausbau des Flughafens Schönefeld ist und bleibt das wichtigste Vorhaben für die deutsche Hauptstadt. Der BBI wird die Wettbewerbsfähigkeit Berlins weiter verbessern, für mehr Touristen, für internationale Flugverbindungen und zusätzliche Jobs sorgen.“ 40.000 Arbeitsplätze für die Region versprach der Regierende Bürgermeister kurz vor der Abgeordnetenhauswahl am 17. September 2006. Im Oktober 2011 sollte der Flughafen an den Start gehen, versprach Wowereit. Das war, knapp zwei Wochen vor dem Urnengang, ein Wahlversprechen. Wowereit hat es gebrochen.
2. BER ist sein Kind
Ursprünglich sollte der Flughafen von einem privaten Konsortium gebaut werden. Im Ausschreibungsverfahren blieben die Bonner Immobilienholding IVG und der Essener Baukonzern Hochtief übrig. 1999 bekam Hochtief den Zuschlag. Allerdings wurde die Vergabe vom Brandenburgischen Oberlandesgericht kassiert. Nachdem die Privatisierung 2003 entdgültig scheiterte, übernahmen der Bund, Berlin und Brandenburg den Flughafenbau. Wowereit übernahm die Federführung und wurde Aufsichtsratschef. Er ist der Hauptverantwortliche. Erst dann kommen Matthias Platzeck und Rainer Bomba, der Staatssekretär von Peter Ramsauer.
3. Priorität Infrastruktur
Bekanntlich kam nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2011 keine rot-grüne Koalition zustande. Oberste Priorität habe die Infrastruktur in der Region, sagte Wowereit damals und kegelte die Grünen aus den Koalitionsverhandlungen. Die wollten nur einen kleinen Teil der A 100 bauen. Nun scheiterte das größte Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands. Ohne die Grünen. Aber mit Klaus Wowereit.
4. Kein Controlling
Zehn Stunden saß Wowereit am Mittwoch im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, danach ging er gegen zwei Uhr mit Platzeck noch ein Bierchen trinken. Am nächsten Morgen wies er jede Schuld von sich, als Aufsichtsratschef versagt zu haben. „Wir sind unserer Verantwortung nachgekommen.“ War das wohl ein Bierchen zuviel? Tatsache ist, dass dem Aufsichtsrat die Verzögerungen im Bauablauf längst bekannt waren. Wowereit verteidigt sich nun, dass ihm von der Geschäftsführung immer versichert worden sei, dass der 3. Juni als Eröffnungstermin zwar ambitioniert, aber zu halten sei. Nun will der Aufsichsrat ein externes Controlling installieren. Warum er das nicht schon nach der ersten Verscheibung gemacht hat, bleibt Wowereits Geheimnis. Jeder private Bauherr ist da sorgsamer. Den Job als oberster Kontolleur sollte er als erstes abgeben.
5. Kostenexplosion
Ursprünglich sollte der Airport Willy Brandt 2,4 Milliarden Euro kosten. Daran sollten sich Berlin, Brandenburg und der Bund mit jeweils 430 Millionen beteiligen. Die Flughafengesellschaft holte sich für den Bau bei den Banken einen Kredit von 2,4 Milliarden Euro, für die zu hundert Prozent die öffentliche Hand bürgt. Inzwischen soll der Kredit bis auf einen Restbetrag von 100 Millionen aufgebraucht sein, denn die Gesamtkosten sind auf nunmehr 2,995 Milliarden gestiegen. Wieviel infolge der neuerlichen Verschiebung hinzukommt, ist ungewiss. Die Grünen schätzen alleine die Summe der Schadensersatzforderungen auf 500 Millionen Euro. Sollte es zum Bürgschaftsfall kommen – für Berlin bedeutete er 880 Millionen –, wäre dies nach dem Krach der Bankgesellschaft das zweite Großdebakel für den Landeshaushalt. An der Bankgesellschaft ist damals eine große Koalition gescheitert.
6. Lame Duck
Berlin kann alles außer Flughafen, Fußball und S-Bahn. Alleine für Hertha ist Wowereit nicht verantwortlich. Spätestens seit dem 8. Mai, an dem Wowereit und Platzeck den Start am 3. Juni platzen ließen, ist klar: Berlins Party ist vorbei. Den Strahlemann wird Wowereit nun nicht mehr geben können. Das aber widerspricht seinem Naturell. Platzeck kann Demut, Berlins Regierende nicht. Ein witzelnder Wowereit, der gleichzeitig eine Spur des Scheiterns hinter sich her zieht, droht für Berlin zum nächsten Imageschaden zu werden. Wowi als lahme Ente – das hätte er sich wohl selbst nicht träumen lassen.
7. Fazit: Keine Notbremse
Sechs Gründe gibt es, weshalb der Regierende Bürgermeister Verantwortung übernehmen sollte. Klaus Wowereit wird sie ignorieren. Kurzfristig wird er damit Erfolg haben. Die CDU, gerade erst wieder im Senat, hat ihm am Freitag bereits den Rücken gestärkt. Doch den Schatten von BER kann er nicht abschütteln. Irgendwann liegen die Zahlen auf dem Tisch. Jede Kita, die wegen der Verzögerung geschlossen werden muss, geht auf seine Kappe. Die Wowi-Dämmerung hat begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus