: Wolfsfrauen im TÜV
Die Suche nach feministischen Modellen führte unter anderem in eine angeblich von Frauen dominierte Frühgeschichte. Und in esoterische Mystik, wie eine ehemalige Matriarchatsforscherin kritisiert
von ARIANE RÜDIGER
Manche Bücher erzeugen wegen ihrer Vorgeschichte und der Querelen um ihre Veröffentlichung nahezu genauso viel Wirbel wie wegen ihres Inhalts – oder sogar mehr. Zu einem Beispiel dafür könnte sich „Die Wolfsfrau im Schafspelz“ entwickeln. Das Werk, geschrieben von der Germanistin Martina Schäfer, setzt sich mit einer Lieblingsvorstellung lesbischer und frauenbewegter Frauen auseinander: dem Matriarchat. Die Frauenbewegung war Ende der Siebzigerjahre, nachdem sie sich partiell vom Emanzipationsdiskurs der etablierten Politik gelöst hatte, auf der Suche nach neuen Modellen. Fündig wurden die Frauen in der Vergangenheit: Vor allem im Neolithikum, so eine Reihe von AutorInnen, hatte es von Frauen geprägte, wenn nicht beherrschte Gesellschaften gegeben.
Eine rückwärts gewandte Utopie also. Sie ersetzte das männlich dominierte Gottesbild durch Göttinnen der Vorzeit aus allen Weltgegenden, Weihnachten und Ostern durch germanische, keltische und andere Jahreszeitenrituale und die Kirchenliturgie durch selbst entwickelte Rituale. Einfache Volkstänze wurden zu rituellen Kreistänzen umfunktioniert und mit allerlei matriarchisch-mythischen Inhalten unterfüttert. Frau war verständlicherweise froh, endlich ein Wertesystem außerhalb des patriarchalen entdeckt oder entwickelt zu haben, das diesem wirkungsvoll entgegengesetzt werden konnte.
Und so gibt es kaum eine Lesbe, die noch nie an Kreistanzritualen teilgenommen, die noch nie die Sonnenwende oder Lichtmess gefeiert oder an Walpurgis demonstrierend durch die Innenstädte gezogen ist. Manches von alldem, etwa die Walpurgis-Demonstrationen, transportiert gegenwartsbezogene politische Forderungen wie die, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit frei auf den Straßen bewegen zu können, sexuelle Gewalt gegen Frauen endlich zu beseitigen et cetera. Vieles versackt aber in esoterischer Selbstbespiegelung statt in politischen Taten. Kritik an diesem Hang zum Übersinnlichen, zum Orakel und Ritual statt zu Analyse und Tat, gab es – zumindest aus den eigenen Reihen – bisher relativ wenig. Konnte man sich doch auf anerkannte Forscherinnen wie Heide Göttner-Abendroth, Marie König und Marija Gimbutas berufen.
Martina Schäfer gehörte bis weit in die Neunzigerjahre selbst zu den Protagonistinnen, die sie heute scharf kritisiert. Schäfer schrieb Anfang der Achtzigerjahre eine Doktorarbeit über feministische Utopien und kam so in Kontakt zu dem Thema, das sie seitdem beschäftigt. Hierbei lernte sie in München Heide Göttner-Abendroth kennen, deren damals beim Verlag Frauenoffensive veröffentlichte Bücher „Die Göttin und ihr Heros“ und „Die tanzende Göttin“ zu einer Art Bibel für viele Matriarchatsgläubige wurden.
Gemeinsam mit Göttner-Abendroth und einigen Mitstreiterinnen gründete Schäfer auf dem niederbayerischen Weghof, der Göttner-Abendroth gehörte, das Projekt Hagia, eine Art matriarchale Privatuniversität, wo Forschung und Lehre zum Thema Matriarchat vorangetrieben werden sollten. Doch bald gab es Zoff im Projekt. Woran sich die Streitigkeiten entzündeten, darüber gehen die Aussagen weit auseinander. Fachliche Gründe hätten unter anderem darin bestanden, sagt Martina Schäfer heute, dass Göttner-Abendroth sich weigerte, Belege zu ihren Thesen zu liefern, insbesondere historische Vorgänge zu datieren, deren Stattfinden sie behauptete.
Schäfer selbst hat inzwischen Ur- und Frühgeschichte in Köln studiert und dort gängige naturwissenschaftliche Datierungsmethoden kennen gelernt. So hat das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Kölner Uni ein eigenes C14-Labor, in dem anhand der in einer Probe noch vorhandenen Menge des radioaktiven Kohlenstoffisotops C14 relativ genau auf das Alter einer Probe geschlossen werden kann. Die Dendrochronologie wiederum ermittelt das Alter von Funden, indem sie Baumringe analysiert.
Außer Marija Gimbutas, so Martina Schäfer, habe keine der Matriarchatskoryphäen jemals ihre Erkenntnisse anhand solcher naturwissenschaftlichen Methoden zu verifizieren versucht. Aber auch Gimbutas’ Werk entspricht nicht in allem wissenschaftlichen Standards. So interpretiert sie zum Beispiel bestimmte Zeichen, etwa Zickzacklinien, immer gleich – egal woher und aus welcher Zeit sie stammen – und berücksichtigt meist weder Herstellungsgeschichte noch Zweck bei der Bedeutungszuschreibung. Auch ihre Zeichnungen von Fundorten halten sich nicht an die üblichen Methoden und erschweren daher Vergleiche mit Aufzeichnungen anderer Fundstätten und Rekonstruktionen.
Vor dem Hintergrund solcher methodischer Mängel relativieren sich die Theorien zum Matriarchat: Sie sind inspiriert von Mythen, deren Wahrheitsgehalt nebulös ist, und stehen in der Tradition von zweifelhaften Vordenkern wie dem Erfinder des modernen Rassismus, Comte de Gobineau oder Joseph Campbell, einem ziemlich reaktionären Mythologen. Die ersten weiblichen Vertreter der Matriarchatstheorie waren unter anderem Sir Galahad (bürgerlich: Bertha Eckstein-Diener), Josefine Schreier und Elizabeth Gould-Davis. Deren Denken, so Schäfer, beruhe weitgehend auf den Vorstellungen der rassistischen Vorväter oder sei selbst – wie bei Josefine Schreier – von Nazismen und Rassismen geprägt.
Neuere Matriarchatsautorinnen wie Göttner-Abendroth, Christa Mulack und Carola Meier-Seethaler hätten sich nicht wirklich von diesen geistigen Strömungen distanziert, sondern sie allenfalls modifiziert oder für ihre Zwecke ausgeweidet. Am intensivsten geht Schäfer mit Göttner-Abendroth ins Gericht, was nahe liegt, da sie den tiefsten Einblick in ihre Arbeitsweise hat. So wirft sie Göttner-Abendroth unter anderem vor, ihre wichtigste Quelle, Joseph Campbell, nicht zu zitieren. „Ein Buchtitel von Campbell, ‚Der Heros in tausend Gestalten‘, ist bei Göttner-Abendroth eine Gedichtzeile, im Weghof gehörte er selbstverständlich in die Bibliothek, und alle haben ihn sich gegenseitig empfohlen“, so Schäfer. „In Göttner-Abendroths Bibliografie aber taucht er nicht auf.“ Dazu käme eine weitreichende Unkenntnis der Epochengliederung vorgeschichtlicher Zeiträume und viele andere methodologische Fehler.
Bei ihren eigenen Reisen zu Kultplätzen, die Schäfer mit anderen Frauen im Projekt „nebenan“ anbietet, verzichtet sie nun auf die Matriarchatstheorie. „Wir gehen heute nicht mehr an die Fundstellen und fragen: Was sehen wir hier vom Matriarchat? Sondern wir schauen, was ist da eigentlich, überlegen, aus welchen Funden man irgendwelche Schlüsse über das Leben der Menschen und schließlich über das Leben der Frauen ziehen kann. Weil oft sehr wenig gefunden wird, ist das meist nicht sehr viel.“
In ihrem Buch geht Martina Schäfer noch weiter, indem sie die Strukturen der Akademie Hagia anhand sektenkritischer Ansätze interpretiert. Tatsächlich stößt man bei der Recherche auf seltsame Reaktionen. In München will sich kaum eine Frau zitieren lassen, wenn es um den Weghof, Göttner-Abendroth und das Buch von Martina Schäfer geht. Schäfer sei nicht zu trauen, es handele sich um einen persönlichen Racheakt der Buchautorin, das Buch emotionalisiere die Debatte, heißt es – alles anonym freilich.
Die Diskussion zu versachlichen, hat aber augenscheinlich niemand so recht Interesse: Auf das Angebot des Hugendubel Verlags, eine Podiumsdiskussion zwischen Matriarchatsvertreterinnen und ihren Kritikerinnen zu organisieren, gingen weder Heide Göttner-Abendroth ein noch die Edition Amalia, ihr derzeitiger Verlag.
Versuche, über die Hagia-Akademie eine Stellungnahme der Matriarchatsforscherin zu Schäfers Buch zu erhalten, versanden im Nichts. Wenn man Göttner-Abendroths Werke kenne, wird einem durch eine Bürokraft beschieden, wisse man ja, was von Schäfers Buch zu halten sei.
Auch bei ihren Vorträgen gibt sich Göttner-Abendroth wenig aufgeschlossen. „Ich wollte etwas fragen, aber da war sie plötzlich weg, weil sie angeblich zum Zug musste“, berichtet etwa die Journalistin Irene Gronegger, die einen Vortrag im Münchner Projekt Kofra besuchte. Dabei kommen zu Göttner-Abendroths Veranstaltungen „wirklich an der Sache interessierte Frauen, die etwas wissen wollen“, wie Anita Heiliger betont, eine der Kofra-Vorstandsfrauen. Ansonsten, konstatiert sie, gebe es tatsächlich einen bedauerlichen Drang vieler Frauen, von ihrer Eigenverantwortung für ihr Leben irgendwie entlastet zu werden.
Von diesem Wunsch profitieren moderne Botschafterinnen magischer Welten in und um uns, wie Luisa Francia, Angelika Aliti oder Clarissa Pinkola Estés, deren Bestseller „Die Wolfsfrau“ Schäfers Titel Pate stand. Was Schäfer von derlei hält, belegt ein Zitat aus „Wolfsfrau im Schafspelz“: „Nicht ‚Magie‘ verändert die Welt, nicht ein ‚wilder Blick‘, sondern Wissen, klares Durchschauen der Machenschaften anderer, Solidarität und gemeinsames Vorgehen. Doch in all diesen ‚Bauchnabelbüchern‘ findet sich kein Gedanke, der den Frauen heute bei diesen längst nicht abgeschlossenen Kämpfen hilft.“
Eine telefonische Umfrage bei Frauenbuchläden in der ganzen Republik ergab, dass kein einziger Schäfers Buch boykottiert. Manche Betreiberinnen äußerten sich ausgesprochen positiv. So ist man im Tübinger Frauenbuchladen froh über das Erscheinen der Streitschrift: „Es ist gut, dass es das Buch gibt! Es muss gestattet sein, kritisch zu fragen, was an den Entwicklungen der zurückliegenden zwanzig Jahre gut und was schlecht war“, meint Hanne Häusler, eine der Betreiberinnen. Beim Nachdenken darüber ist „Die Wolfsfrau im Schafspelz“ hilfreich – selbst wenn man nicht mit jeder Argumentation der Autorin übereinstimmt.
Martina Schäfer: „Die Wolfsfrau im Schafspelz“. Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen und München 2001, 255 Seiten, 19,90 EuroARIANE RÜDIGER, 43, lebt als freie Autorin in München. Am 25. April liest sie in der Münchener Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b, aus ihrem Roman „Frau sucht Frau, nur für das eine!“
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