Wolfsburgs neuer Trainer Dieter Hecking: „Wir werden keinen vom Hof jagen“
Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking über seine neue Herausforderung, Erwartungshaltungen, die Anforderungen des Trainerberufs und Pep Guardiola.
taz: Herr Hecking, gibt es in der Wolfsburger Arena beim Spiel gegen den VfB Stuttgart einen Familienblock Hecking? Frau und Kinder hätten es ja nicht so weit, weil ihr Heim nur eine knappe Autostunde in Bad Nenndorf entfernt ist.
Dieter Hecking: Die Familie wird heute nicht komplett anwesend sein, weil drei meiner erwachsenen Kinder ihr eigenes Leben führen. Aber sie werden mir alle die Daumen drücken – bis auf die Kleinste, und das kann ich ja erzählen, die hat mir kürzlich am Frühstückstisch einen kleinen Zettel hingelegt mit dem Wortlaut: „Papa, auch wenn das für dich eine große Chance ist, bleibe ich FCN-Fan.“ Das liegt wohl daran, dass sie mit ihren elf Jahren viele Praktikumsstunden auf der Nürnberger Pressestelle abgeleistet hat.
Sie haben mit Nürnberg aus wenig ziemlich viel gemacht. Der VfL Wolfsburg hat aus viel zuletzt wenig gemacht. Wie wollen Sie diesen Widerspruch aufheben?
Ich glaube, dass es viel schwieriger ist, aus viel auch viel zu machen. Wenn viel eingesetzt wird, soll auch viel herauskommen; da ist die Erwartungshaltung gleich eine andere. Dabei wird man schneller kritischer beobachtet als bei Klubs mit weniger Möglichkeiten. Für mich ist das keine leichte, aber eine interessante Aufgabe.
In der neuen Saison lässt sich Josep Guardiola auf eine noch größere Herausforderung ein. Was sagen Sie dazu, dass der FC Bayern solch einen Kollegen verpflichtet hat?
Ich bin sehr gespannt darauf, wenn einer der besten Trainer der Welt hier arbeitet. Die Bayern haben einen guten Job gemacht, wenn solch ein Mann nicht nach England, sondern nach Deutschland geht. Es wird für uns als Kollegen spannend, mal nach München zu schauen, wie dort künftig gearbeitet wird. Dieser Farbtupfer tut der Bundesliga enorm gut.
48, absolvierte als Spieler 36 Bundesliga- und über 200 Zweitligaspiele. Als Trainer stieg Hecking 2006 mit Aachen in die Bundesliga auf und trainierte anschließend Hannover 96 und den 1. FC Nürnberg. Von dort verpflichtete ihn der VfL Wolfsburg vor der Winterpause.
Und die sprachliche Hürden?
Ich glaube, dass Pep Guardiola die Zeit nun nutzen wird, um Deutsch zu lernen. Ich trainiere ja selbst einige Spanisch sprechende Spieler, ich glaube es gibt im Fußball immer Möglichkeiten der Kommunikation. Da sehe ich eigentlich kein Problem.
Wieviel bei einem Trainer ist heute Überzeugungskraft, Menschenführung, Begeisterungsfähigkeit? Es verstärkt sich der Eindruck, dass das taktische Rüstzeug durch die vermehrt gut ausgebildeten Spieler sich immer mehr ähnelt, aber diese Komponente eines Trainers immer wichtiger wird.
Das unterstütze ich zum Teil. Schon in der B- oder A-Jugend-Bundesliga sind qualifizierte Trainer am Werk, also ist die Vorausbildung besser als vor zehn oder 15 Jahren. Die Kommunikation ist sicherlich wichtiger als früher, heute will fast jeder mitreden und es auch gleich erklärt bekommen. Die Aufgabe des Cheftrainers werden immer vielfältiger und umfassender – ich möchte beispielsweise in Wolfsburg zusammen mit Klaus Allofs diesem Verein ein Gesicht geben und davon die Öffentlichkeit überzeugen.
Wie gehen sie Ihre neue Aufgabe an?
Ich betrachte das als schönes Neuland. Ich habe mit Manager Klaus Allofs und Co-Trainer Andries Jonker Leute an der Seite, die bei Bremen und Bayern erfolgreich gearbeitet haben. Ich wäre doch bescheuert, wenn ich diese Erfahrung nicht nutzen würde.
Und wie sehen Sie ihre Mannschaft? Sie steht nur knapp vor dem Relegationsplatz.
Natürlich sind wir sensibilisiert, aber die Mannschaft wirkt lebendig und hält zusammen, das habe ich gar nicht so erwartet. Wenn die Vorbereitungsspiele zählen würden, hätten wir schon neun Punkte mehr (lacht). Ich versuche natürlich für diese Rückrunde auch ein Stück Aufbruchsstimmung zu vermitteln, ich kenne aber noch nicht jeden Angestellten mit Namen. Am Dienstagmorgen war ich um halb neun in meinem Trainerbüro und noch ein bisschen schläfrig, als auf einmal fünf Mann bei mir standen und etwas von mir wollten. Da habe ich sie zwar zuerst alle wieder rausgeschickt. Anschließend haben wir die Themen, die sie auf dem Herzen hatten, dann besprochen.
Haben Sie nicht vor allem viel zu viele Spieler?
Wir werden keinen vom Hof jagen. Sie haben Verträge bei uns, die erfüllt werden, aber es stimmt, es werden heute mehr als 20 Profis beim Anpfiff nicht zum Einsatz kommen. Da wird sich der eine oder andere automatisch Gedanken machen.
Was sollte sich ein Spieler bei Ihnen besser nicht erlauben?
Wenn einer nur sich selbst sieht. Fußball ist ein Mannschaftsport, und wir brauchen auch Individualisten, aber sie sind nichts ohne die Mannschaft. Das habe ich immer so gehandhabt. Ich habe in Aachen mit Erik Meijer oder Jan Schlaudraff schon Individualisten gehabt, solche Spieler müssen eingebunden werden.
Ihr Star Diego soll angeblich ein Fixgehalt von 8,2 Millionen Euro beziehen. Der Spiegel berichtete, Mittelfeldspieler Christian Träsch würde noch 2,8 Millionen oder Ersatzspieler Srdjan Lakic 2,6 Millionen im Jahr verdienen. Hätten Sie gedacht, dass dank der Unterstützung des ortsansässigen Autobauers Gehälter in dieser Größenordnung möglich sind?
Ich nehme anderes Zahlenwerk als gegeben hin: 19 Punkte oder Tabellenplatz 15. Man muss sich auch die Kader anderer Mannschaft anschauen, anderswo wird auch gutes Geld verdient. Ein Franck Ribéry in München zum Beispiel. In Wolfsburg wird das wohl immer wieder ein Thema sein, damit werden wir leben müssen.
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