Wolfgang Müller über Vulkanausbrüche in Island: "Der Vulkan galt als Eingang zur Hölle"

Einmal mehr beeinflusst ein Vulkanausbruch in Island das Leben in Norddeutschland. Der Island-Experte und Künstler Wolfgang Müller über Sagen, Mythen und das Island-Bild der Deutschen.

Nicht zu kontrollieren: Der Vulkan Grimsvötn spuckt Asche. Bild: dpa

taz: Herr Müller, ein Vulkanausbruch auf Island beeinflusst den Alltag in Zentraleuropa. Wenn Sie absehen von dem vergleichbaren Ereignis letztes Jahr: Gab es das schon mal?

Wolfgang Müller: Es gibt Theorien, dass ein Vulkanausbruch die Hungersnot verursachte, die zur Französischen Revolution führte. 1783 gab es eine Eruption, die 200-mal stärker gewesen sein soll als die, die wir beim Eyjafjallajökull erlebt haben. In der Folge soll es zwei dunkle Winter in Europa gegeben haben und Hungersnöte.

Sind die Menschen in Island Vulkanausbrüche gewohnt?

Island ist das vulkanisch aktivste Land der Erde. Das merkt man auch in den Sagen und Mythen. Da ist es schon ein Teil des Denkens, dass man weiß, dass man bestimmte Sachen nicht kontrollieren kann. Das ist ein Bewusstsein, das es im Rest von Europa nicht so stark gibt.

Wie hoch hängen die Isländer einen Vulkanausbruch wie den, den wir gerade erleben?

Das wird da entspannter gesehen. Die kennen das über Jahrhunderte. Die fühlen sich davon nicht irritiert. Aber sie merken das Interesse vom Ausland, und das interessiert sie, wenn sich die Leute aus dem Ausland für das Land interessieren. Weil sich ja normalerweise der Fokus nicht so auf Island richtet.

Obwohl es in der Geschichte des Landes nicht immer einfach war.

Ja. Von der dänischen Kolonialherrschaft wurde erwägt, die Isländer zu evakuieren nach Jütland. Weil die Auswirkungen der Vulkanausbrüche so verheerend waren. Da ist ein Drittel der Bevölkerung verhungert. Weil die Bauern waren und keine Fischer. Die konnten die Felder nicht mehr bewirtschaften und sind gestorben.

Auf welche Weise tauchen Vulkane in den örtlichen Mythen und Sagen auf?

Es gibt zum Beispiel Trolle, die gelten als gewalttätig. In Island sind das große Frauen. Und die Vulkane dort haben auch weibliche Namen. Die katholische Kirche hat lange Zeit versucht, Island als Eingang zur Hölle zu lokalisieren. Der Vulkan Hekla galt als offizieller Eingang zur Hölle.

Und haben sich die Leute davon beeindrucken lassen?

WOLFGANG MüLLER 53, geboren in Wolfsburg, lebt als Künstler, Musiker und Autor in Berlin-Kreuzberg und Reykjavík. Sein Buch "Neues von der Elfenfront - Die Wahrheit über Island" ist in der Edition Suhrkamp erschienen. Auch seine Bände "Die Elfe im Schlafsack" und "Neue Nordwelt" handeln von Island. Ansonsten spielt Müller in der Band Die Tödliche Doris und macht die Laute ausgestorbener Vogelarten wieder hörbar.

Die Aschewolke des isländischen Vulkans Grimsvötn hat am Mittwoch den Flugverkehr in Deutschland durcheinandergewirbelt. Der Flugverkehr in Hamburg, Bremen und Lübeck wurde für mehrere Stunden eingestellt.

Am Hamburger Flughafen gab es 231 gestrichene Starts und Landungen mit etwa 20.000 Passagieren. Der Betrieb in der Hansestadt war nach dem nächtlichen Flugverbot von 24 bis 6 Uhr am Morgen zunächst gar nicht erst aufgenommen worden.

In Bremen fielen bis Mittag 21 Abflüge und 19 Ankünfte aus.

Die Sperrung des Luftraums wurde schrittweise wieder aufgehoben: Über Bremen war der Luftraum ab 11 Uhr wieder frei, in Hamburg ab 12 Uhr, in Lübeck ab 14.30 Uhr.

Nicht betroffen von Sperrungen war gestern der Flughafen Hannover. Dennoch fielen einzelne Flüge aus - sowohl in den Norden Europas als auch beispielsweise nach Paris.

Die Isländer dort haben sich immer gewehrt dagegen, dass sie nun ausgerechnet am Eingang zur Hölle wohnen sollen. Das war ein ganz harter Kampf. Die Kirche hat versucht den Leuten Angst zu machen mit der Hitze der Hölle, aber das hat nicht funktioniert, weil es da immer so kalt war. Das war ganz positiv. Dann hat die Kirche brennende Eisschollen erfunden. Brennende Eisschollen! Das kann man auf alten Stichen sehen.

Gelten Vulkane heute noch als Bedrohung?

Ich glaube für die Isländer ist die Wirtschaftskrise von 2007 eine größere Bedrohung. Ich war 2007 kurz vor dem Crash in Island. Kurz zuvor hat die Bild-Zeitung noch Werbung für den Finanzplatz gemacht. Und ich habe mich gewundert, wie viel Geld ich für meine Euros gekriegt habe. Ich war da auf einmal reich. Und dann agierten in Island Leute, die das Image hatten, sie würden vernünftig Politik machen, und dann riskante Geschäfte gemacht haben, die völlig grotesk waren. Aber das war ja nicht nur in Island so.

Verändern die Vulkanausbrüche das Island-Bild der Deutschen?

Nein. Nach dem Bankencrash-Kollaps 2007 und der Abwertung der isländischen Währung gab es zwei Erklärungen. Die Leute sagten: Die Isländer sind ein Naturvolk, also unschuldig irgendwie. Oder sie bezeichneten sie als wagemutige Draufgänger. Beides ist natürlich Quatsch. Aber was war nochmal die Frage?

Ob sich das Island-Bild der Deutschen durch die Vulkanausbrüche verändert.

Nein, das glaube ich nicht. Die Wirtschaftskrise ist für das Island-Bild der Deutschen entscheidender, weil die Wirtschaftskrise die Leute hier mehr betrifft, als wenn sie mal eine Woche nicht Flugzeug fliegen dürfen.

Könnte Island für die Deutschen nicht trotzdem vom Land der Trolle und Elfen zum Land der Vulkane werden?

Ich glaube, dass das Vulkanische die Leute fasziniert, aber das fanden sie immer schon interessant an Island. Dass da irgendwas unter der Erdoberfläche in Bewegung ist. Etwas Unkontrollierbares.

Habe Sie selbst schon mal einen Vulkanausbruch auf Island erlebt?

Ja. Da saß ich in einem Café an einem künstlichen Warmwasserstrand. Da haben die in einem Fjord ein Warmwasserbecken gebaut mit dem alten Heizungswasser aus Reykjavík. Da kann man quasi im Meer baden.

Und dann brach ein Vulkan aus?

Es war die Eröffnung des Bades und ich saß in dem Café und plötzlich ruckelt es an meinem Stuhl. Ich habe mich gerade unterhalten mit einem alten Ehepaar, das 1960 evakuiert worden war mitsamt einer Fischereiflotte, 5.000 Leute. Die hatten auf einer Insel gelebt, die nur fünf Kilometer Durchmesser hatte. Da ist ein zwei Kilometer langer Spalt auf der Insel aufgegangen, ein Krater mitten auf der Insel. Die beiden erzählten mir gerade, wie sie da als Kinder evakuiert worden sind. Plötzlich ruckelts und ich habe gedacht: Jemand ruckelt an meinem Stuhl. Das war dann ein Erdbeben Stärke 6,2 oder so.

Klingt heikel.

Aber es hatte nicht die Wirkung, die es anderswo gehabt hätte. Die Häuser in Island sind erdbebensicher gebaut und das Land ist dünn besiedelt. Ich glaube, es hat sich damals nur einer das Schlüsselbein gebrochen, weil er vor Schreck vom Pferd gefallen ist.

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