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Wohnungsnot verschärft Wirtschaftskrise

Wenn Arbeitskräfte keine Wohnungen finden, können sie nicht zu neuen Jobs ziehen

In Westdeutschland fehlen nach Schätzung des Pestel-Instituts mittlerweile 1,2 Millionen Wohnungen. Der Wohnungsmangel zieht nach einer neuen Studie des Instituts die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in Mitleidenschaft, weil dieser den Arbeitskräftemangel verschärft. Ohne grundlegenden Kurswechsel hin zu einer umfassenden staatlichen Förderung des Wohnungsbaus erwarten sowohl das Institut als auch die Bauindustrie kein Ende der Wohnungsbaumisere. Bauministerin Verena Hubertz (SPD) hingegen verbreitete bei der Münchner Immobilienmesse Expo Real Zuversicht.

„Die Erstarrung der Wohnungsmärkte führt natürlich auch zur Erstarrung der Arbeitsmärkte, weil die Leute nicht mehr umziehen können, um Arbeitsplätze in anderen Regionen anzunehmen“, sagte Pestel-Chefökonom Matthias Günther. „Die Lösung der Wohnungsfrage ist Voraussetzung der wirtschaftlichen Entwicklung.“

Die Zahl von 1,2 Millionen fehlenden Wohnungen allein in den alten Ländern ist erheblich höher als bisherige Schätzungen. Das Institut hat dabei alle Wohnungen herausgerechnet, die länger als ein Jahr leer stehen. „Was zwölf Monate und länger leer steht, wird offensichtlich dem Markt gar nicht mehr angeboten“, erläuterte Günther. Auftraggeber der Studie war die Münchner Messegesellschaft.

Die Leerstandsquote – also der Anteil der nicht bewohnten oder vermieteten Wohnungen – beläuft sich laut Studie in vielen deutschen Landkreisen auf über fünf Prozent. Eine der Ursachen: „Viele ältere Menschen haben Angst vor dem Mieter.“ Günther hält deswegen eine Lockerung des Mieterschutzes für sinnvoll, damit Eigentümer Mietnomaden oder andere „auffällige Mieter“ leichter vor die Tür setzen können. Abgesehen davon leben demnach viele Alleinstehende in Wohnungen, die für einen Menschen allein eigentlich zu groß sind: „Zwei Millionen Single-Haushalte haben mehr als hundert Quadratmeter Wohnfläche“, sagte der Ökonom.

Bauministerin Hubertz hingegen betonte, der geplante „Bau-Turbo“ solle kommende Woche im Bundesrat beschlossen werden. „Dann kann es auch losgehen“, sagte die SPD-Politikerin. Der „Bau-Turbo“ ist kein Förderprogramm, sondern soll die Bürokratie bei der Bauplanung reduzieren. „Wir drehen den Spieß um, wir geben den Kommunen die Brechstange an die Hand“, sagte Hubertz.

Abgesehen davon verwies sie auf die geplante große Erhöhung der Fördermittel: „23,5 Milliarden für den sozialen Wohnungsbau, 11 Milliarden im Sondervermögen. Das ist eine Planbarkeit, die hatte die Baubranche noch nie“, sagte Hubertz.

„Viele ältere Menschen haben Angst vor dem Mieter“

Matthias Günther, Chefökonom Pestel-Institut

Was den Bau-Turbo betrifft, sind neben dem Pestel-Institut auch Baufirmen und -funktionäre skeptisch, dass dieser zum Befreiungsschlag wird. „Da habe ich so meine Zweifel“, sagte Peter Hübner, der Präsident des Bauindustrie-Verbands. In den kommunalen Baubehörden sei die Angst groß, bei Anträgen einen Fehler zu machen – „und dann womöglich für diesen Fehler an die Wand gestellt zu werden“, kommentierte Eva Weiß, Chefin des zum Vonovia-Konzern gehörenden Bauunternehmens Buwog.

Pestel-Chefökonom Günther wies darauf hin, dass der leichte Anstieg der Baugenehmigungszahlen in diesem Jahr noch nicht bedeute, dass die Baukrise überwunden wäre: „In einer Baugenehmigung hat noch nie jemand gewohnt.“ (dpa)

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