Wohnungsmangel und Mietpreisexplosion: Wohngipfel der anderen Art
In Berlin trafen sich Mieteraktivisten zum ersten „Alternativen Wohngipfel“: Dabei waren hohe Expertise und radikaler Realismus.
Bei dem Treffen ging es um eine Bestandsaufnahme der Situation – und darum, eigene Forderungen zu entwickeln. Den Auftakt machte Andrej Holm (Humboldt-Universität) mit einem Turbo-Referat über die Situation auf den Wohnungsmärkten: Noch immer seien die Bestandsmieten mit 6,39 Euro relativ niedrig. Die Neuvermietungsmieten lägen im Schnitt aber schon bei 10,90 Euro.
„Mieter, die in Wohnungen mit Bestandsmieten wohnen, behindern aus Investorensicht den möglichen Ertrag“, sagte Holm. Die Folgen seien Eigenbedarfskündigungen, Mieterhöhungen, Kündigungen wegen Bagatellvergehen wie Stühlen auf dem Balkon oder fiktive Modernisierungsankündigungen.
Diese dienten nur dazu, Mieter zur Kündigung zu veranlassen und dann ihre Wohnung zu Neuvertragsmieten teurer wieder zu vermieten. Auf den Wohnungsmärkten herrsche eine „Ökonomie der Ertragserwartung“: Häuser würden zu Preisen gekauft, die sich nur rentierten, wenn man die Wohnungen deutlich teurer wieder vermiete.
Staatliche Förderung wie das Wohngeld ist explodiert
Im Bundesgebiet fehlten heute 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Aber während die staatliche sogenannte Objektförderung, also die Gelder für den Wohnungsbau, über Jahre hinweg mehr oder weniger unverändert geblieben wäre, sei die staatliche Subjektförderung wie das Wohngeld, geradezu explodiert – auf 17 Milliarden Euro jährlich -, weil der Staat zu den höheren Mieten zuzahlen müsse. „Das geht als Wirtschaftsförderung direkt zu den Eigentümern“, sagte Holm. „Die gleichen Leute beschweren sich über jeden staatlichen Eingriff in den Wohnungsmarkt.“
Von dem Wohngipfel der Bundesregierung erwartet Holm nicht viel. Dies sei eine „Immobilienverwertungskonferenz“, wie schon der Blick auf die Teilnehmerliste zeige: Sieben Immobilienverbände sind geladen, vier Vertreter der Baulobby, dazu zwei Gewerkschaften und der Deutsche Mieterbund (DMB). Noch dazu, so machte DMB-Bundesdirektor Lukas Siebenkotten deutlich, sei die Redezeit des Mietervertreters auf eine Minute begrenzt. Er erwarte, dass der Wohngipfel zur „Farce“ werde. Siebenkotten forderte eine klare Begrenzung der Mieten in laufenden Verträgen. 15 Prozent wie derzeit erlaubt, seien zu viel. Zwei Prozent, also die derzeitige Inflationsrate, müssten genug sein.
Aber sehen das alle Mieteraktivisten- und organisationen so? Wie sehr die Bewegung noch am Anfang steht, machten die anschließenden Foren deutlich, in denen gemeinsame Forderungen gesucht wurden. Im Forum „Mietenpreisexplosion verhindern“ einigte man sich etwa auf einen „Mietenstopp“. Sowohl realpolitischere Forderungen wie die nach einer besseren Mietpreisbremse als auch radikale (etwa die nach der Kontrolle der Mieten durch Mieterräte) fielen durch.
Die Mietenbewegung, die sich jetzt zusammenfindet, hat ein hohes Maß an Expertise und radikalem Realismus. Offen ist, wann sie richtig ins Rollen kommt. Ein Aktivist sprach am Rande der Veranstaltung von einer bundesweiten Demonstration, die vielleicht im Juni stattfinden könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr