Wohnraum für Obdachlose: Housing First auf Sparflamme

Endlich startet Housing First in Hamburg. Doch das bedingungslose Wohnen soll gerade mal für 30 Haushalte gelten.

Vier Zelte stehen unter einer Brücke

Mehr als ein Zelt unter der Brücke: Housing First soll obdachlosen Menschen Wohnungen verschaffen Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Erst einmal könnte man sagen: gut, dass endlich Bewegung in das Thema „Housing First“ in Hamburg gekommen ist. Vor einem Jahr im rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschrieben, hat Rot-Grün nun ein Housing-First-Modellprojekt in der Bürgerschaft verabschiedet.

Housing First, das bedeutet, obdachlosen Menschen ohne Vorbedingung eine Wohnung zu geben. Die Idee dahinter ist, dass für sehr viele der eigene Wohnraum Ausgangspunkt dafür ist, andere Probleme wie Sucht oder Arbeitslosigkeit zu lösen – statt dass etwa ein erfolgreicher Alkohol­entzug als Voraussetzung für die eigene Wohnung verlangt wird.

Für bis zu 30 Haushalte sollen bis Anfang nächsten Jahres solche Wohnungen bereit stehen. Für Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Straßenmagazin Hinz&Kunzt ist das einer der wesentlichen Kritikpunkte: „30 Wohnungen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Die kleine Zahl sei ein Indiz dafür, dass die Sozialbehörde nicht wirklich umdenke im Umgang mit Obdachlosigkeit.

Auch die in der Einleitung des Antrags genannte individuelle „Kooperationsbereitschaft“, die – neben der Verfügbarkeit von Wohnungen – „entscheidend“ sei für das Gelingen des Konzepts, sieht Karrenbauer kritisch: „Es ist entscheidend bei Housing First, dass es eben nicht im Vorfeld an Bedingungen geknüpft ist.“

Linke würd sofort starten

Kritik kommt auch von anderer Seite: Für Stephanie Rose, sozialpolitische Sprecherin der Linken, ist nicht nachvollziehbar, warum Housing First in Hamburg nur als Modellprojekt startet. Housing First werde schon seit den späten 90er-Jahren evaluiert – und das positiv. Statt erneut Geld und Energie in eine Evaluierung zu stecken, sei es sinnvoller, das Konzept sofort zu etablieren.

Das weist Mareike Engels, sozialpolitische Sprecherin der Grünen, zurück. Durch den Probecharakter sei es möglich nachzuschärfen: „Wenn es einmal läuft, ist Nachjustieren schwierig“, sagt sie. Die Probezeit soll außerdem dazu dienen, Voraussetzungen für die Akquise von Wohnraum zu schaffen, was auf dem Hamburger Wohnungsmarkt sicherlich kein Selbstgänger sein wird.

Für Engels ist die geforderte Kooperationsbereitschaft von Seiten der obdachlosen Menschen kein Bruch mit den Prinzipien von Housing First, sondern ganz praktisch Voraussetzung für dessen Gelingen. Was ihr eher Bauchschmerzen macht, ist die Tatsache, dass nur Menschen, die Anspruch auf Transferleistungen haben, überhaupt für das Projekt infrage kommen.

Sie müssen also eine Zeit lang in Deutschland gearbeitet und in die Sozialkassen eingezahlt haben. Das bedeutet allerdings nicht, dass Menschen aus Osteuropa ausgeschlossen wären.

An der Stellschraube Transferleistungsempfänger könne man nur auf Bundesebene drehen, sagt Engels. Für Karrenbauer ist das angesichts der kleinen Zahl von Wohnungen ein nachrangiges Problem. Wie viele der Hamburger Obdachlosen Anspruch auf Transferleistungen haben, lasse sich kaum sagen.

Stefan Karrenbauer, „Hinz&Kunzt“

„Es ist entscheidend für Housing First, dass es nicht an Bedingungen geknüpft ist“

Was das Projekt kosten wird, steht nicht im Antrag. Engels geht von einem sechsstelligen Betrag aus. Darin sind vor allem Personalkosten für die Begleitung durch SozialarbeiterInnen enthalten.

In Sachen Wohnraum hat sich übrigens schon eine Initiative zu Wort gemeldet: Das Bündnis „Stadtherz“ schlägt schon lange vor, die Brachflächen im Münzviertel sozial verantwortlich zu nutzen – unter anderem mit Wohnungen für Housing First.

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