Wohlstands-HipHop: The Great Rap Swindle
Im Münchner Nobelvorort Grünwald wurde eine neue HipHop-Form entwickelt: der Wohlstandsrap. Oder sollte alles nur erfunden sein?
BERLIN taz Aus dem Radio tönt es grell.
"Hey, kleiner Mann, deine Armut kotzt mich an."
Aber
"Hast du keinen Vater, keine Mutter, die was kann?"
Doch.
"Bist du nicht im Münchner Süden, wie die Schönen und die Reichen?"
Nein. Im Osten.
"Sag mal, kriegst du Bafög?"
Nein.
"Ich rappe mitten aus dem Herzen der Dekadenz. Scheiß auf normale Rapper wie Doktor Renz."
Was?
"Für dich ist Polo nur ein Auto. Für mich ist es Sport."
Stimmt.
Drei Tage später liegt eine E-Mail im Postfach. Absender: Management Aggro Grünwald, Betreff: "RE: Sie haben ein Feedback". Ein Gregor Franke schreibt, es sei möglich, mit den "Stehkrägen" ein Interview zu führen. Mit der Band also, die der Denkfabrik Aggro Grünwald entstammt, von der man annehmen kann, aber nicht muss, dass es sie wirklich gibt, so opulent ist ihr Internetauftritt (aggro-gruenwald.de) gestaltet. Ein Interview mit diesem erlauchten Kreis, am besten "Donnerstag um 20 Uhr, das wäre toll", meint Gregor. Schließlich sei es "immer schwer, die alle unter einen Hut zu bringen", die Stehkrägen, die schwerbeschäftigten. Und: "Grüße aus München". Meinen die das ernst?
Nochmal drei Tage später. Munichs calling. Das Aufnahmegerät surrt, die Telefonleitung knackt. Interview mit zwei Vertretern eines Phantoms. Rapper Yachtmeister, 28, und Rapper Goldmann X., 26. Klarnamen spielen keine Rolle, sagen sie freundlich. Erster Eindruck: höfliche Berufssöhne.
taz: Liebe Stehkrägen, bei eurem Bandnamen liegt ein semantischer Fehler vor. Eigentlich müsstet ihr doch "hochgeklappte Hemdkrägen" heißen?
Yachtmeister: Bei uns in der Szene sagt man dazu Stehkrägen. Für uns sind sie ein internationales Zeichen von Wohlstand. Also ein durchaus passender Bandname.
Goldmann X.: In den Kreisen, in denen wir uns bewegen, ist so ein hochgeklappter Kragen einfach ein modisches Accessoire. Eine bestimmte Art von Chic. Wenn du in München in die Maxsuite oder ins P1 gehst, hat die Hälfte der Leute die Krägen hochgestellt, weil sie einen bestimmten Lifestyle zum Ausdruck bringen wollen. Nicht jeder davon muss massig Kohle haben, aber den Leuten geht es einfach um Stil.
Yachtmeister: Vielen geht es um die Symbolik: Die nach oben zeigenden Spitzen des Kragens, das hat was von Fortschritt, da gehts aufwärts. Da wir das mit Erfolg koppeln, ist das für uns eine sehr schöne Kombination.
Ihr persönlich klappt die Krägen natürlich 24 Stunden am Tag hoch
Goldmann X.: Bei meinem Pyjama lasse ich das sein.
Kann man sich in der Hiphop-Szene mit solchen Posen Glaubwürdigkeit verschaffen, die vielgepriesene "street credibility"?
Goldmann X.: Wofür brauchen wir "credibility"? Es ist doch bei der Umgebung, aus der wir kommen, klar, dass wir Leistungsträger sind. Da frage ich zurück: Wo ist denn bei Leuten wie Sido, Bushido oder Tony D die "credibility"? Für mich sind das nur Leute, die mit ihrem prätentiösen Gangsta-Style ein Bild von sich transportieren wollen, das größer ist als sie selbst.
Aber ihr seid doch selbst hochprätentiös. Und eure Songs sind, sofern sie ernst gemeint ist, für gewisse Leute, zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger, der pure Hohn. Wie ihr mit eurem nicht selbst verdienten Geld prahlt!
Goldmann X.: Als Hiphop-Künstler muss man sich nicht für die Art und Weise rechtfertigen, wie man sich ausdrückt. Ghetto-Rapper fragt auch keiner, warum sie so respektlos über Frauen und gewisse sexuelle Praktiken rappen.
Praktiziert ihr diesen Lifestyle seit Geburt oder erst, seit ihr festgestellt habt, dass man mit hochgeklappten Hemdkragen mehr Frauen abkriegt?
Goldmann X.: Darum gehts ja nun wirklich nicht. Der Lifestyle, wie du das nennst, ist für uns etwas Natürliches. Wir haben es von unseren Eltern gelernt, die von ihren Eltern und so weiter.
Und all die polierten Lebensläufe auf eurer Website, die sind wohl echt?
Yachtmeister: Warum sollten sie das nicht sein?
Sie lesen sich sehr konstruiert. Auf eurer Website kann man auch eine achtseitige Titelgeschichte des Hiphop-Magazins Rhymez lesen. Leider gibt es dieses Magazin gar nicht. Wie erklärt ihr euch das?
Goldmann X.: Wie sollen wir das sagen? Es ist wohl ein sehr geschickter Marketing-Schachzug. Fakt ist, dass du den Artikel gelesen hast. Ob es die Rhymez nun gibt oder nicht, ist dann ja egal.
Das real existierende Oberschichten-Hochglanz-Magazin Vanity Fair hat euch auch schon als Oberschicht-Hiphop entdeckt und rät zum Kauf eurer Single "Eure Armut kotzt uns an". Sind die auf euch reingefallen?
Yachtmeister: Wie? Reingefallen?
Dass die Redaktion von Vanity Fair eure Strategie nicht durchschaut hat
Yachtmeister: Die haben einfach ein gutes Produkt gesehen: uns. Und die Redaktion weiß hoffentlich, was für ihre Leser gut ist.
Ihr hattet eben eure Kollegen vom Berliner Hiphop-Label "Aggro Berlin" angesprochen: Sido und Tony D. Deren Zielgruppe ist doch viel größer als eure. Wie wollt ihr Geld verdienen?
Goldmann X.: Es mag sein, dass die Zielgruppe der Berliner größer ist. Aber unsere hat mehr Geld. Die Kaufkraft unserer Fans übertrifft die der Aggro Berlin-Fans mit Sicherheit um ein Zehnfaches. Es ist aber doch auch was Schönes, Hiphop-Kultur mal vom anderen Ende der Werteskala aus zu machen. Warum immer dieses Aggressive von unten mit der Ansage: "Wir schaffen das nie!" Warum nicht mal sagen: "Man kann es auch von oben schaffen!"? Aggro Grünwald steht ja auch für etwas anderes als Aggro Berlin.
Was denn?
Goldmann X.: Aktien, Geld, Grundbesitz, Rendite, Opulenz. Das ist doch eine sehr schöne Sache.
Wie viel Geld gebt ihr denn jedes Wochenende aus, wenn ihr ausgeht?
Goldmann X.: Keine Ahnung. Wenn du noch ein paar Freunde einlädst, verlierst du schon schnell den Überblick.
Vor allem, wenn man mit Papas Platinum-Kreditkarte zahlt.
Yachtmeister: Dann erst recht, richtig. Ich müsste auf die Abrechnung gucken, um dir zu sagen, wie viel ich ausgebe.
In welchem Münchner Club fühlt ihr euch am wohlsten?
Goldmann X.: Ich gehe sehr gerne in die Maxsuite. Da ist man unter sich und hat nicht das Gefühl, einer nutzt einen aus, wenn man ihn einlädt. Yachtmeister: Ich mag das Stüberl, das P1.
Der Klassiker also. Angeblich tragen nun aber schon ganz normale Menschen in ganz normalen Clubs ihre Kragen hochgestellt. Ist das das Ende eures Lifestyles?
Goldmann X.: Nein. Dass sich dieser Style durch alle Bevölkerungsschichten ausdehnt, unsere Moralvorstellungen, unser Leistungsgedanke, das ist doch schön! Und besser als vor einer Jugendvollzugsanstalt zu tanzen und zu rufen: "Lasst uns rein, wir haben jemanden umgebracht." Wenn das die Werte von Sido, Bushido und Tony D sind, dann gute Nacht.
Gute Nacht auch, Interview. Alles, was die beiden Rapper danach sagten, war das Tonband nicht wert, auf das es gesprochen wurde. Schwer erträgliches Geschwätz zweier Menschen, die offensichtlich nie mit Geld umzugehen gelernt haben - außer zu wissen, wie man es möglichst schnell ausgibt. Aber sollte man ihnen nicht, trotz aller Antipathie, glauben? Kann es nicht sein, dass verwöhnte Vorstadtburschen, der Blick vom vielen Moët-Trinken eingetrübt, die Werteskala von ihrer Seite aufrollen wollen, ironischerweise mit den Ausdrucksformen der Nachfahren der Sklaven? Hält die Entertainmentindustrie nicht jedem Spinner - siehe Dieter Bohlen, siehe Florian Silbereisen - seine Nische frei? Das Geld, sich zu verwirklich, haben die "Stehkrägen" ja auf dem Konto ihrer Eltern liegen. Grünwald war schließlich im vergangenen Jahr die Kommune in Deutschland mit der höchsten Kaufkraft pro Einwohner: 43.577 Euro standen jedem Einwohner der Gemeinde südlich von München pro Jahr im Schnitt zur Verfügung.
Und doch muss man sagen: Nein, das kann doch gar nicht sein. Etwas ähnlich Dreistes hat es schon lange nicht mehr gegeben. Natürlich, Bands sind unter "falschem Namen", Pseudonymen aufgetreten. So wurden aus den Toten Hosen etwa die Roten Rosen. Na ja. Kürzlich kam ein Film über professionelle Hochstapler in die Kinos. Und die Geschichte vom angeblichen Stricherjungen JT LeRoy, der mal eben so in der Literaturwelt auftaucht und sie durcheinanderwirbelt, hielt sich immerhin zehn Jahre lang, ehe herauskam, dass die Bücher nicht von einem schwulen Jüngling, sondern einer San Franciscoer Alt-Punkerin geschrieben worden waren. Aber als es dann raus war, tat jeder so, als wäre eh immer alles klar gewesen.
Wer wohl nun hinter den "Stehkrägen" stecken mag? Die Junge Union bei ihrem verzweifelten Versuch, endlich cool zu werden? Die A-Jugend des FC Bayern München? Die bayerische Linkspartei? Die Website von Aggro Grünwald hilft naturgemäß in dieser Frage nicht weiter. Aber sie gibt Hinweise, kleine Puzzlestücke für das große Ganze. Den großen Schwindel? "Website best viewed with a resolution of 1680 x 1050 and gucci glasses", steht am Fuße der Website. Das heißt: Wer lesen will, was da geschrieben steht, sollte mindestens eine Gucci-Brille tragen. Wer indes auf den Button "Schwarze Karte" drückt, gelangt auf die gleichnamige Website, ein angebliches Freundesnetz wie StudiVZ, Lokalisten oder openBC - mit dem feinen Unterschied, dass dort kein Klicken irgendetwas bewirkt. Web 0.0.? Der große Bluff? Ein weiteres Indiz?
Renommierte Medien wie das Investigativmagazin "Taff" (Pro7) und die Style-Polizei von Vanity Fair haben schon Witterung aufgenommen und sind dem Leim auf der Spur. Vielleicht sollten sie den Kopfsprung in die Internetforen wagen. Dort wird die Diskussion, ob Aggro Grünwald und die Stehkrägen nun more real, genauso real oder weniger real als Aggro Berlin sind, ohne Bandagen ausgefochten. So rät der User ohrenstoepsel unter dem Video zur Single auf YouTube: "Schaut mal auf aggro-gruenwald Punkt de, dann seht ihr, dass die Deppen das ernst meinen. Mal ganz ehrlich, die sollten mal so was von abgezogen werden".
Schneller zum Punkt kommt El Bernito im Forum des Münchner Radiosenders M94,5 der die erste Single der Stehkrägen rauf und runter dudelt: "Vieviel zum geier hat aggro fucking grünwald euch gezahlt dass ihr ständig diese scheiße spielt? RAUS DAMIT, SAGE ICH!!!!!!!!!! an sowas geht hip hop kaputt verdammtnochmal!!!"
An was gleich nochmal?
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