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Wo Odins Legion marschiert

Rechte im Dorf? Der Bürgermeister hat wirklich andere Probleme. Die Schulleiterin meint, das Mobil der Evangelischen Jugendarbeit sei eine Provokation

aus Kittlitz HEIKE KLEFFNER

Der kommissarische Bürgermeister von Kittlitz ist froh, dass „die Jungs vom Jugendclub Glossen sich selbst organisiert haben und Initiative zeigen“. Schließlich ist kein Geld für Jugendarbeit da. Sicherlich, sagt Sven David, manchmal frage die Polizei aus der nahe liegenden Stadt Löbau oder die Sonderkommission des Landes in Sachen „rechts“, die SoKo Rex, nach, was die Jungs in dem grau verputzten Flachdachgebäude mit den verrammelten Fenstern so treiben. „Aber wir haben kein Problem damit.“ Die Begriffe „rechtsextremer Treffpunkt“ oder „Odins Legion“, wie sich ein Großteil der Clubbesucher auch nennt, kommen dem 27-jährigen Verwaltungsfachmann nicht über die Lippen.

Davon reden nur die anderen, außerhalb der 3.000-Seelen-Gemeinde in der Oberlausitz. Zum Beispiel die Regionalpresse, wenn mal wieder nichtrechte Jugendliche zusammengeschlagen wurden. Oder das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), das in dem Jugendclub Glossen „einen Treffpunkt rechtsextremer Jugendlicher mit enger NPD-Anbindung“ sieht, „der für ein derartig kleines Dorf schon bemerkenswert ist und Jugendliche aus der gesamten Gegend anzieht“, wie LfV-Präsident Reinhard Boos sagt.

„Jeder hat halt seine eigenen Ansichten“, sagt der Bürgermeister und spricht lieber von „nationalistisch“, wenn er die Besucher des JC Glossen beschreiben soll, und dass „ein bisschen Nationalstolz schon richtig“ sei. Um zu zeigen, „dass man mit denen ordentlich sprechen kann“, begleitet er auswärtige Besucher auch zum Clubhaus.

Sven David weiß nicht, dass im vergangenen Herbst ein Fernsehteam, das im Auftrag des MDR über die Kittlitzer Jugend drehte, mitsamt Polizeibegleitung von den Clubbesuchern verjagt wurde. Schließlich fiel der Vorfall noch in die Amtszeit seines Vorgängers, und der hatte dem Verein Jugendclub Glossen e. V. zur Gründung 1996 eine Starthilfe von 300 Mark gegeben. Warum auch nicht? Laut Satzung ist der Zweck des Vereins „die Förderung der Jugendarbeit mit dem Ziel der sinnvollen Freizeitbeschäftigung“.

Vor dem Gebäude, das die regionale Nachfolgegesellschaft der Treuhand dem JC Glossen zur Verfügung gestellt hat, weht keine Reichskriegsflagge. Daniel Walter, Führungsmitglied des JC Glossen, den die jüngeren Bewohner von Kittlitz schon mal „Sturmführer“ nennen, trägt ein klein kariertes Hemd, Brille und halblange Locken. Journalisten möchte der 24-Jährige die Räume hinter dem Schild „geschlossene Veranstaltung“ nicht zeigen, aber der Bürgermeister dürfe sie „selbstverständlich“ besichtigen. Sven David sagt anschließend erleichtert, er habe keinerlei verfassungsfeindliche Symbole gesehen. „Nur eine schwarzweißrote Fahne, und die ist ja nicht verboten.“ Er verabschiedet sich mit dem Tipp, vor der nächsten Veranstaltung doch mit den Nachbarn zu reden, „damit es keine Beschwerden wegen Lärmbelästigung gibt“.

Ihre Namen wollen sie nicht nennen, die 15 jungen Männer und Frauen zwischen vierzehn und Mitte zwanzig, die sich im Laufe des Abends an der Feuerstelle vor dem Clubhaus niederlassen. Auch Fotografieren ist tabu. Aber das Bedürfnis, „den Lügen, die über uns verbreitet werden“, die eigene Sicht entgegenzustellen, siegt schließlich. Daniel Walter spricht von „Umweltschutz“, „der Liebe zur Heimat und zur Familie“, von „Kameradschaft“ und „den Linken und der PDS, die uns das Leben schwer machen“. Nationalsozialistisch sei man keineswegs, „nur nationalistisch“.

Und „Odins Legion“? Das sei keine Organisation, sondern nur eine Gruppe von Leuten, die mit entsprechenden Aufklebern auf ihren Autos durch die Gegend fahren. „Vielleicht gibt es Doppelmitgliedschaften zwischen Odins Legion und dem Jugendclub Glossen“, sagt Daniel Walter unter dem Gelächter der anderen. Zwei Autos fahren vor. Die jungen Männer – Glatzen, zwei von ihnen tragen die weiße Runenaufschrift „Odins Legion“ auf ihren schwarzen T-Shirts – werden lautstark begrüßt. Neben Daniel Walter steht einer, der das T-Shirt der rechtsextremen Blood-&-Honour-Band Skrewdriver trägt. „Der Sänger von Skrewdriver ist mein Vorbild, der hat für Deutschland gekämpft.“ Sein Nachbar hat auch ein Vorbild: „Rudolf Heß, ist doch klar.“

Der Zorn auf den demokratischen Staat, der angeblich alles verbietet, was ihnen Spaß macht, – „unsere Konzerte, unsere Aufmärsche und Rudolf Heß zu ehren“ – löst die Zungen. Wo eben noch von „Freizeitangeboten für alle Jugendlichen in Kittlitz“ die Rede war, wird nun über die „Auschwitzlüge“ und den indizierten „Leuchter-Report“ gesprochen. Über das „Europa der Völker“ und die „Rettung des deutschen Erbes“, über Moscheen, die überall gebaut würden, und dass man sich deshalb in Deutschland nicht mehr zu Hause fühle. Der Einwurf, dass in Kittlitz nach Auskunft des Bürgermeisters keine Ausländer leben, wird mit ungläubigem Gelächter quittiert.

Ein offenes Bekenntnis zur NPD würde Daniel Walter vor Journalisten nie über die Lippen kommen. Auch wenn im Mai in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme ein langes Interview mit „Odins Legion“ veröffentlicht wurde. Auch wenn Walter gemeinsam mit anderen Clubmitgliedern seit Jahren bei NPD-Aufmärschen – zuletzt am 1. Mai in Dresden – hinter dem Transparent „Nationaler Widerstand Oberlausitz“ läuft und auch schon mal Ordnerbinden trägt. Dazu, dass in seinem Club der Hamburger Neonazikader Christian Worch und der rechtsextreme Liedermacher Frank Rennicke aufgetreten sind, sagt er nur: „Wir vermieten den Club für Veranstaltungen, und was dann passiert, ist Privatsache der Veranstalter.“

Privatsache, wie die NPD-Mobilisierung gegen das Grenzcamp von „Kein Mensch ist illegal“ in Zittau im vergangenen Jahr? Privatsache, wie die gewaltsamen Übergriffe auf nichtrechte Jugendliche in Kittlitz und Umgebung und der Brandanschlag auf das Tee-Mobil der mobilen Evangelischen Jugendarbeit im vergangenen Jahr? „Das war niemand von uns, das sollen die uns erst mal nachweisen“, sagen Daniel Walters Freunde und gucken sich an.

Tina W. kann es ihnen nachweisen. Die 18-Jährige wurde im vergangenen September beim Stadtfest in Löbau von Rechten zusammengetreten und mit einer Schusswaffe bedroht. Mit dabei: Tobias F. und Silvio K., die laut Polizei „zu den führenden Köpfen von Odins Legion“ gehörten. Fast ein Jahr danach sind die Brüche an Jochbein, Kiefer und Nase verheilt; demnächst soll die Stahlplatte unter Tinas rechtem Auge entfernt werden. Tobias F. und Silvio K. wurden inzwischen wegen Körperverletzung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Ihre Freunde vom alternativen Jugendtreff „Klinik“ in Löbau besucht die Abiturientin nicht mehr, auf der Straße zieht sie sich „so unauffällig wie möglich“ an. „Am schlimmsten war die Erniedrigung, als Zeckenschlampe beschimpft zu werden und hilflos und blutig vor ihren Stiefeln zu liegen“, sagt sie.

Nachdem im vergangenen Herbst Rechte viermal Treffen von Jugendlichen überfallen haben, initiierten Eltern der Betroffenen eine Aussprache an der Mittelschule Kittlitz. „Die Opfer wurden als Nestbeschmutzer beschimpft, sie hätten die Rechten provoziert, und die Direktorin erklärte, dass die NPD eine legale Partei sei“, sagt Bernd Sauermann, Gründungsmitglied des Neuen Forums. In den Wochen danach wurden mehrere Eltern telefonisch und persönlich bedroht.

Seither liegt bei manchem Kritiker von „Odins Legion“ die Rufnummer der SoKo Rex neben dem Telefon. „Doch die ist weit weg, wenn die Rechten vor meiner Haustür stehen“, sagt ein Sozialarbeiter aus dem Landkreis und begründet so, warum er seinen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. Fassungslos macht ihn, dass die Mittelschule Kittlitz ein Angebot zu einer Informationsveranstaltung über Ausländerfeindlichkeit unbeantwortet gelassen hat; das Tee-Mobil hatte die Schulleiterin zuvor schon als „eine Provokation“ bezeichnet. „Die Mitglieder vom Jugendclub Glossen und Odins Legion nutzen die Naivität und Uninformiertheit der politischen Verantwortungsträger aus“, sagt der Sozialarbeiter. „Dass es um eine politische Strategie geht, den Landkreis zur No-go-Area für Nichtrechte zu machen, will hier niemand sehen.“

So können Daniel Walter und andere Führungsmitglieder vom JC Glossen auf einer Weiterbildung des Christlichen Jugenddorfwerks Löbau den Jugendleiterschein machen und lernen, wie freie Vereine staatliche Fördermittel beantragen. Die zuständige Sozialarbeiterin möchte sich „ohne Rücksprache“ mit dem Club dazu nicht äußern.

1999 hatte der JC Glossen vom Landratsamt Zittau noch 6.825 Mark für „Betriebskosten und Einzelprojekte“, darunter ein „nationales Fußballturnier“, erhalten. Seit dem Brandanschlag auf das Tee-Mobil sind die Zuschüsse erst einmal gestrichen. Die Streetworkerin, die seit Anfang des Jahres alle Jugendtreffs betreut, wird nach Auskunft des Landratsamtes „vom Jugendclub Glossen sehr wenig beziehungsweise fast gar nicht in Anspruch genommen“. „Wir können denen doch nicht einfach eine Streetworkerin vor die Nase setzen“, sagt Bürgermeister David. Dann betont er, dass er „wirklich andere Probleme hat“.

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