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Wo „Mannschaft“ absteigt

Morgen werden die Gruppengegner für die Fußball-EM 2000 ausgelost. Im edlen Schloss Vaalsbroek wird der deutsche Tross Quartier beziehen. Eine Besichtigung    ■ Von Bernd Müllender

Wer zum ersten Mal hierher kommt, wundert sich. Automatisch, reflexartig: Das soll Holland sein? Dieses sonst so pfannkuchenflache Land, in dem schon Dünen wie Gebirge wirken?

Hier aber ist Holland anders.

Hier sind wir in einer pittoresken Hügellandschaft mit Fachwerkgehöften, saftigen Wiesen und Wirtshäusern, die „Café Edelweiß“ heißen oder „Alpensicht“. Unweit liegt das Dreiländereck mit Hollands wuchtigster Erhebung: 322,5 Meter. „Holländische Schweiz“ sagen die Menschen stolz zu diesem Landstrich nächst Aachen. Lieblich schön alles.

Auch Lex Nijenhuis (38) wundert sich, dass sich so viele Menschen plötzlich für seine edle Herberge interessieren. „Es ist doch nur Fußball, irgendwie alles überbewertet“, sagt der Manager von „Kasteel Vaalsbroek“. Dass da so viel Aufhebens drum gemacht wird, kommt ihm komisch vor.Auf seinem Schreibtisch liegen die Visitenkarten diverser deutscher Journalisten.

In Schloss Vaalsbroek wird die deutsche Nationalmannschaft residieren. 50 bis 80 Zimmer sind vorgebucht. „Natürlich sind wir überglücklich“, sagt Nijenhuis. Die Entscheidung fiel, als Erich Ribbeck sich die Schlossanlage im November persönlich besah. Der Teamchef sei sehr angetan gewesen von der Ruhe, dem Ambiente „und der Möglichkeit, alles gut abriegeln zu können“. Wahrscheinlich hat ihm auch der Golfplatz gleich gegenüber gefallen. Gebucht wurde bis zum Finaltag.

Das Schloss im altenglischen Stil liegt gerade mal einen Kilometer Luftlinie entfernt von Deutschland, am Rande des Städtchens Vaals. Es ist dies die deutscheste Gemeinde Hollands: 30 Prozent der Einwohner sind Deutsche. Vaalsbroek wurde 1761 von einem Aachener Lakenfabrikanten erbaut. Hier wohnte schon der deutsche Kaiser, heute hat hier der Aachener Lions-Club „Urbs Aquensis“ sein Domizil. Im Hotel sprechen alle Deutsch. „Wir sind eben sehr deutschorientiert“, sagt Nijenhuis. Und wenn DFB-Chef Egidius Braun zum Trösten kommen muss, ist er vom Aachener Privatdomizil gleich vor Ort. Aber: Warum eigentlich nicht gleich daheim wohnen, etwa im Quellenhof in Aachen, dem „Adlon des Westens“? Um die Gastgeber nicht zu verprellen? „Geht nicht“, sagt DFB-Pressechef Wolfgang Niersbach, „die Uefa-Richtlinien verpflichten uns, im Gastgeberland zu wohnen.“ Ein Bedauern lässt sich unterstellen, der Stimme aber nicht entnehmen.

Rundgang. Im Foyer ist die Amsterdamer Effektenbeurs online angeschlossen: ein Service, den Börsenfreaks wie Kahn oder Bierhoff schätzen werden. Im ersten Stock, wo die alten Dielen wichtig knarren, liegt die Diskussiekamer, wo Erich Ribbeck seinen Spielern neue taktische Finessen einbimsen kann. Im Schlosspark unter Riesenbuchen und Monsterkiefern, die auch schon Kaiser Wilhelm Schatten spendeten, lässt man lustwandelnd den Blick über sattgrüne Weiden bis zum Gipfel schweifen, ein hochsymbolischer und motivierender Blick für einen Titelaspiranten. Das Ziel im Auge! Den Bayern-Spielern werden die Eifelausläufer landschaftlich bei der Akklimatisierung helfen. Und wenn die Spieler am Elektrozaun das lustige Wort Schrikdraat lesen, werden sie fröhlich lachen.

Das Restaurant watermolen“ (Wassermühle) mit Blick auf einen anmutigen Weiher bietet „regionale Spezialitäten“ und Köstlichkeiten des hoteleigenen Weinkellers. Ja, holländische Weine (Über das Ergebnis der Verkostung schweigen wir höflich)! In den Fluren des Hoteltrakts hängen fußballtorhohe Bilder aus der Jahrhundertwende: Sich verlustierende Gäste in Vaalsbroek, die ersten Autos vor der Schlossallee, sportiv umherlaufende Jungmänner. Vor Zimmer 201 ist eine durchsichtig verhüllte weibliche Schönheit im Gegenlicht zu sehen. Sehr apart, aber das Richtige für hoch konzentrierte Kicker im Einsatz fürs Vaterland? „Na ja“, sagt Lex Nijenhuis, „ich glaube, das lasse ich noch zuhängen.“ Doppelzimmer seien für die Spieler vorgesehen. Der Manager wundert sich: „Sind doch erwachsene Männer. Warum das so ist, verstehe ich auch nicht.“

Auch „die guten Trainingsmöglichkeiten“, so der DFB, hätten bei der Herbergswahl eine Rolle gespielt. „Gleich schräg gegenüber, nur ein paar hundert Meter entfernt“, erläutert DFB-Sprecher Niersbach, seien „drei sehr brauchbare Rasenplätze.“

Was Niersbach meint, ist die Anlage des SV Lemiersia. Was Niersbach allerdings nicht weiß: Dieser Platz wird seit Jahren regelmäßig von der Bunten Liga Aachen genutzt. Und die haben Plätze vertraglich gemietet, quer durch die Woche, an dutzenden Terminen. „Der Ribbeck soll bloß nicht meinen, dass wir wegen dieser Nationalelf auf unsere Spiele verzichten“, mahnt ein Spieler von Partisan Eifelstraße schon an. Was glauben die denn, wer sie sind! Sollen die doch in den Wald gehen und sich ne Wiese suchen!“

Die letzten beiden Sätze sind wortwörtlich auf DFB-Chef Egidius Braun gemünzt. Der hatte, als Papst Wojtyla 1992 die Ehrenmitgliedschaft der Aachener Alternativ-Liga annahm und die bizarre Liaison durch alle Medien ging, schwer empört an eine „Verarschung des Papstes“ geglaubt und die Liga öffentlich mit ebenjenen Worten beschimpft. Der Partisane sagt jetzt: „Man trifft sich im Leben halt immer zweimal. Mal sehen, wie es ausgeht.“

In Vaals gibt es Vorbehalte, aber nur wenn man genau hinguckt. Sicher, die Schulkinder freuen sich auf Autogramme und Starnähe. Doch schon die Schlagzeile der Tageszeitung De Limburger offenbarte die allgegenwärtigen Vorurteile gegen uns Moffen: „Mannschaft in Limburg“ stand da über die Hotelwahl. Nicht von den „Duitsen“ ist die Rede, sondern von „Mannschaft“. Auf Deutsch. Ein stehender Begriff: spöttisch gemeint und ironisch, fast schon ein Synonym fürs Böse von nebenan. Wie Engländer von den „krauts schreiben oder Italiener von den „Panzern“. Nur eleganter, feiner.

Und da ist noch eine kleine Episode, eine von 1988. Als Holland die „Mannschaft“ bei der EM 1988 in Hamburg mit 2:1 rausgekegelt hatte, hing am nächsten Tag im Schaukasten der Vaalser Polizei eine Kondolenzanzeige. Sinngemäß: „Wir trauern um die arrogante deutsche Mannschaft, die gestern plötzlich und unerwartet verschied. Friede sei mit ihr.“ Und alles mit Trauerrand.

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