Wissenschaftskommunikation im Wandel: Infos oder PR in eigener Sache

Der „Informationsdienst Wissenschaft“ (idw) steht 20 Jahre nach seiner Gründung vor neuen Herausforderungen. Social-Media-Kanäle werden zu wenig genutzt.

Forscher wenden sich zunehmend direkt an die Öffentlichkeit: Messlabor für elektromagnetische Wellen in Magdeburg. Bild: dpa

BERLIN taz | Wer wissen will, was in den deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten passiert, der greift auf den „Informationsdienst Wissenschaft“ (idw) zu: ein kostenloses Nachrichtenportal im Internet, das die Pressemitteilungen der deutschen Wissenschaftseinrichtungen bündelt und inzwischen über 33.000 Abonnenten erreicht.

Diese Woche feierte der idw in Berlin mit einer Konferenz sein 20-jähriges Bestehen. „Der idw hat eine echte Erfolgsstory geschrieben“, stellt Josef König, als Pressesprecher der Uni Bochum einer der Urheber des Informationsdienstes, fest. „Ein solches Jubiläum hätten wir uns vor 20 Jahren, als wir den idw gründeten, nicht träumen lassen.“

Es war in der Frühphase des Internets, 1995, als die drei Pressesprecher der Universitäten Bayreuth, Bochum und der TU Clausthal auf die Idee kamen, den neuen elektronischen Verbreitungskanal für ein neues Informationsangebot für Journalisten zu nutzen. Ausgangspunkt war ein „Expertenmakler“ nach Vorbild von „ProfNet“, einem Vermittlungsdienst der New York University.

„Es war ein Instrument, mit dem Journalisten ihre Fragen und die Suche nach geeigneten Experten nur ein einziges Mal stellen mussten, weil diese automatisch an die Pressestellen der angeschlossenen Hochschulen weitergeleitet wurden“, erinnert sich Josef König.

Zugleich sollte ein Mittel gegen den damals so genannten „Wassermann-Effekt“ gefunden werden. „Es gab damals einen Toxikologen in Kiel“, erläutert idw-Team-Chef König, „der grundsätzlich kontaktiert wurde, wenn es mal wieder irgendwo irgendeine Vergiftung gab“.

Zentrale Anlaufstelle für Journalisten

Das Ziel: Indem Journalisten gleich mehrere Experten vermittelt wurden, konnten weitere bekannt werden. Diese konnten die „Stimmen“ vervielfachen und somit ein Spektrum der Informationen liefern. „Dadurch mussten Journalisten nicht mehr bei 10 oder mehr Pressestellen anrufen und hoffen, dass sie mit einem dieser vielen Anrufe erfolgreich waren und den richtigen Experten fanden.“

Zweites Standbein des idw wurde per Mailing-Liste der Versand von Pressemitteilungen, was heute das Kerngeschäft ist. Am Start waren es 32 Hochschulen, die 20 Wissenschaftsjournalisten ihre Meldungen zuschickten. Heute ist die Zahl der Versender auf 109 Universitäten, 132 Fachhochschulen, 29 Uni-Kliniken, 42 Fraunhofer-Einrichtungen und 36 Max-Planck-Institute gewachsen.

Auch 18 Wirtschaftsunternehmen mit eigenen Forschungsabteilungen zählen zu den insgesamt 929 Mitgliedern im idw-Verein. Täglich werden mitunter bis zu 100 Pressemitteilungen via Internet verbreitet, von kleinen Personalmeldungen bis zu großen Forschungsdurchbrüchen – querbeet durch die Wissenschaft. Im Volltext-Archiv kann auf mehr als 280.000 Presseinformationen aus zwei Jahrzehnten zugegriffen werden.

Informationen über die Kollegen

Zu den regelmäßigen Beziehern zählen auch rund 7.300 Journalisten, aber die ursprüngliche Kern-Zielgruppe ist unter den 33.000 regelmäßigen Nutzern in die Minderheit geraten. „Andere Zielgruppen, die wir zunächst nicht im Blick hatten, sind uns wie von selbst zugeflogen“, bemerkt Josef König. Vor allem die internen Zielgruppen aus der Wissenschaft selbst.

„Indem der idw offen war für alle anderen Menschen, haben sich immer mehr Mitarbeiter aus den Verwaltungen der Unis die Presseinfos abonniert, um zu erfahren sie, was anderswo läuft, etwa welche neuen Studiengänge an anderen Hochschulen entstehen.“ Und auch die Forscher entdeckten den Nutzwert der direkten Kommunikation.

König berichtet vom Kollegen einer anderen Pressestelle, der zunächst dem idw gegenüber skeptisch eingestellt war. „Nachdem er eine Info über Forschungsergebnisse eines Professors seiner Uni über den idw verbreitet hatte, rief dieser ihn wenige Tage später ganz begeistert an, dass er durch diese Info eine ganze Reihe von Kooperationsangeboten aus der Wissenschaft, aber auch aus der Wirtschaft gewonnen hatte.“

Finanziert durch Mitgliedsbeiträge

Bemerkenswert ist der „Graswurzelcharakter“ des idw, eine Selbstorganisation, die von unten entstand. Bis auf eine kleine Zwischenphase von drei Jahren, in der das Bundesforschungsministerium einen Betrag von 1,8 Millionen Euro zuschoss, ist der idw immer eigenfinanziert gewesen. Anfangs aus Bordmitteln der Hochschulen, seit 2001 in Form eines Vereins, in den jedes Mitglied 600 Euro im Jahr einzahlt. Mit dem Jahresbudget von 480.000 Euro kann der idw sechs Stellen finanzieren, die sich neun Personen teilen.

Allerdings: Nach 20 Jahren, in einer veränderten Medienwelt, stellte sich der idw auf seiner Berliner Konferenz auch die Frage, ob er in dieser Form „noch zeitgemäß“ ist. Vor allem die unterentwickelte Nutzung der Social-Media-Kanäle wird von einer jüngeren Gruppe von Wissenschaftskommunikatoren als Veränderungsbedarf artikuliert.

Rainer Korbmann, früherer Chefredakteur von Bild der Wissenschaft, sieht in einer stärker journalistischen Ausrichtung die nächste Etappe des idw. Seine Kritik verpackte Korbmann in einem Geburtstagsglückwunsch an den Jubilar: „Ein journalistischer Impetus fehlt, keine eigene Formulierung, keine Selektion, keine Hervorhebung, kein anregendes Bild – nichts, was es ermöglicht, Wichtiges von Unwichtigem, Interessantes von weniger Interessantem zu unterscheiden.“

Eurekalert, ein Vorbild

orbild könnte hier die Aufmachung des Wissenschaftsportals „Eurekalert“ des amerikanischen Wissenschafts-Dachverbandes AAAS sein. Korbmann: „Das Verteilen von Informationen allein genügt nicht mehr, um als zentrales Nachrichtenportal der Wissenschaft wahrgenommen und genutzt zu werden.“

Auch aus dem „Science Media Center“, das von journalistischer Seite durch die „Wissenschafts-Pressekonferenz“ (WPK) derzeit in Deutschland aufgebaut wird, könnte dem idw mittelfristig Konkurrenz entstehen.

Welche andere Zukunft der Wissenschaftspublizität womöglich auch ins Haus steht, ließ sich bei der Verleihung des jährlichen idw-Preises am Mittwochabend in der Berliner Zentrale der Leibniz-Gemeinschaft erahnen. Nachdem Leibniz-Präsident Matthias Kleiner die Notwendigkeit eines „kritischen Qualitäts-Wissenschaftsjournalismus, der die Wissenschaft begleiten muss“, betonte hatte, erhielt die schwedische Universität Göteburg die Auszeichnung für die beste Pressemitteilung, die der idw im Jahr 2014 veröffentlicht hatte: eine Nachricht über die problemlose Geburt eines Babys nach Transplantation der Gebärmutter.

Krister Svahn, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Universität Göteburg, stellte dar, wie in seinem Land heute solche Meldungen auf neuen Wegen die Gesellschaft erreichen müssen: „In Schweden gibt es keinen Wissenschaftsjournalismus mehr und nur noch ganz wenige Medizinjournalisten.“

Alle großen Zeitungen des Landes haben ihre Wissenschaftsseiten dichtgemacht. Was die Gesellschaft über Wissenschaft erfährt, liegt in Schweden nun zu großen Teilen in den Händen der Wissenschaftsakteure. Ein Modell für Deutschland? Beim idw gab es zumindest einen Kommunikationspreis dafür.

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