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WissenschaftDie Zukunft steckt im Wasserstoff

In einem Berliner Mietshaus lässt sich beobachten, was die Forschung von Chemie-Nobelpreisträger Gerhard Ertl praktisch heißt: Zwei seiner Doktoranden arbeiten hier an der Brennstoffzelle der Zukunft.

Nobel: Abbildung räumlicher Strukturen in einem Katalysator-Modell Bild: AP

Manchmal saß er stundenlang vor dem Ultrahochvakuumapparat und hat ganz vorsichtig den Druck verändert, mit dem Kohlenmonoxid auf einen Platinkristall strömte. Auf der Oberfläche des Kristalls reagierte das Kohlenmonoxid mit Sauerstoff zu Kohlendioxid. Sven Jakubith versuchte diese eine Phase zu erwischen, in der die CO2-Produktion schwankte, in der mal viel und mal ganz wenig Kohlendioxid entstand. Was in dieser kurzen Zeit passierte, konnte er unter dem elektronischen Mikroskop beobachten. In Echtzeit. Als Erster. Weltweit. Er sah Spiralen in Schwarz und Weiß, Kreise und Punkte.

Heute hat er ziemlich graue Haare, ist 43 Jahre alt und arbeitet mit seinem Partner in einer Büro-Werkstatt im Souterrain eines Mietshauses in Berlin-Steglitz. Draußen wächst wilder Wein. Drinnen liegen auf Tischen schwarze Klötze, aus manchen ragen Kabel. Es sind Brennstoffzellen. Sie sehen aus wie Briketts und liefern auch Energie. Sie sind so etwas wie wasserstoffbetriebene Batterien. In den Brennstoffzellen spaltet ein Katalysator Wasserstoff. So entsteht Strom. Mit ihrer Firma Staxon entwickeln Jakubith und sein Kollege Prototypen solcher Zellen und verkaufen sie. Das Besondere an der Staxon-Zelle: Sie ist mit Kunstharz abgedichtet. Bisher wurden dafür oft O-Ringe verwendet, die viel mehr Energie entweichen ließen.

Im Labor des Fritz-Haber-Instituts sind seinerzeit die Grundlagen gelegt worden für das, was hier passiert. Jakubiths Doktorvater Gerhard Ertl hat damals bis ins Detail gezeigt, wie solche Katalyse-Prozesse ablaufen. "Das ist sein Lebenswerk", sagt Jakubith, der ein paar Jahre daran mitgearbeitet hat. Der Titel seiner Doktorarbeit hieß: "Abbildung räumlicher Strukturen bei der Oxidation von Kohlenmonoxid auf Pt(110) mit ortsaufgelöster Photoemission." Eingereicht: Oktober 1991. Als in der vergangenen Woche der emeritierte Professor Ertl den Chemie-Nobelpreis erhält, drehte sich auf der Homepage seiner ehemaligen Abteilung "Physikalische Chemie" neben dem Bild des Preisträgers eine goldene Medaille. Oben rechts waren Jakubiths Spiralen zu sehen. Auch noch nach 16 Jahren.

Den Nobelpreis bekam Ertl, weil seine Forschung dazu beigetragen hat, viele industrielle Verfahren besser zu verstehen - wie Kunstdünger hergestellt wird etwa, wie Auto-Katalysatoren oder Brennstoffzellen funktionieren. Ertl hat die jeweils neuesten Methoden geschickt genutzt: etwa Vakuumpumpen, um Versuchsbedingungen konstant zu halten. In Sven Jakubiths Lebenslauf, Kapitel Promotion, tauchen all diese Stichworte auf: Er hat vor 18 Jahren mit einem ziemlich modernen Mikroskop beobachtet, wie eine Platin-Oberfläche, ein Katalysator also, Sauerstoff zerlegt - in einem Vakuum.

Auf einem Tisch im Büro hat der Physiker eine Apparatur aus Schläuchen, Kabeln, kleinen Boxen und Klötzen aufgebaut. Daneben: ein grauer Kasten, so groß wie eine Kühlbox. Darauf: ein Laptop. Durch einen Schlauch fließt Wasserstoff in drei gestapelte Brennstoffzellen, durch einen anderen Luft. In den Zellen befinden sich mit Platin belegte Membranen. Über deren eine Seite bewegt sich nun die Luft, über die andere der Wasserstoff. Das Platin auf der Membran wirkt als Katalysator und spaltet den Wasserstoff. Die Protonen gehen durch die Membran hindurch. Die Elektronen nehmen den Weg darum herum und verrichten dabei die elektrische Arbeit, die den Strom liefert. Nach der Wanderung um die Membran verbinden sich die Elektronen mit den Protonen und der Luft zu Wasser. Aus einem Plastikschlauch tropft es in einen schwarzen Eimer. Der Strom sammelt sich auf einer vergoldeten Kupferplatte am Rand der Zelle. Auf dem Laptop sieht Jakubith, wie viel Energie aus jedem der drei Blöcke kommt. Er steht in Fleece-Jacke und Jeans davor und sagt: "Die eine hat richtig Bumms." Zusammen bringen sie etwa 1000 Watt. Um die Leistung zu erzeugen, die ein Radprofi erstrampelt, bräuchte man rund 600 Watt.

Der Weg, der Stefan Jakubith und seinen Partner Stefan Nettesheim von der Promotion bei Gerhard Ertl zur eigenen Firma geführt hat, war kein gerader. Auch Nettesheim hat zu den Spiralen geforscht, die auf der Instituts-Homepage zu sehen sind. Jakubith beschloss irgendwann, Künstler zu werden, brach mit Ertl, nannte diese ganze Forschung einen unbedeutenden Unfug, malte, programmierte Software in der Schweiz. Später entwickelte er mit Nettesheim Brennstoffzellen für eine ostdeutsche Autofirma. Als das Unternehmen pleite ging, machten sie sich mit einer eigenen Idee selbstständig. Anfangs haben sie ihre Zellen selbst produziert. Mittlerweile werden sie von der hessischen Firma Schunk hergestellt. Die Nachfrage ist groß. Die beiden Partner ernähren mit dem kleinen Unternehmen zwei Familien. Eine davon, Nettesheims, mit fünf Kindern.

Es gibt einen Prospekt für ihre "PEM Fuel Cell Stack" mit einer Zelle vorne darauf. Dahinter funkt und strahlt es. Die Zelle sieht ein bisschen nach Raumschiff aus - und nach Zukunft.

Regenerative Energien sind im Anfangsstadium oft eine Glaubenssache. Und Sven Jakubith glaubt an Wasserstoff. Ihre Zellen könne man überall nutzen, wo es keine Stromnetze gibt, sagt er. Schunk verkauft welche nach Thüringen, wo sie in Wasserstationen im Wald eingesetzt werden. Bisher wurden die mit riesigen Batterieblöcken betrieben, von denen regelmäßig neue herangeschleppt werden mussten. Jetzt wird gelegentlich Wasserstoff geliefert. Auch wenn Jakubith an das H2 glaubt, er kennt die Grenzen: "Es gibt einfach noch keine Infrastruktur." Es fehlen die Tankstellen. In einigen deutschen Städten fahren seit ein paar Jahren einige wenige Busse mit Wasserstoff. Mit Wasserstoff-Autos, sagen Experten, ist vielleicht im Jahr 2020 zu rechnen. Vielleicht. Man könnte allerdings, um ihre Zellen zu nutzen, auch Erdgas verwenden, erklärt Jakubith, und damit Häuser heizen. Das Gas müsste vorher nur behandelt werden.

Im Augenblick entwickelt die Firma Staxon auch Brennstoffzellen, die mit Methanol laufen. Sven Jakubith sagt, dass er in seiner Zeit bei Ertl, als langhaariger Doktorand in weißen Hemden und schwarzen Hosen, nicht nur Grundlagen der Oberflächenphysik gelernt hat, sondern auch die Freude am Entdecken. Und die Zuversicht, auch mit teuren Dingen zu hantieren. Die Anlage, an der Jakubith damals arbeitete, war gut 500.000 Mark wert. Darin steckte das Geld, das Ertl gerade für den renommierten Leibniz-Preis erhalten hatte. Er vertraute dem jungen Physik-Doktoranden und ließ ihn machen. Der weiß seitdem, dass man in wissenschaftliche Ziele investieren muss, auch wenn dabei Sachen kaputt gehen. "In manchen Monaten haben wir während der Arbeit an den Brennstoffzellen Material im Gegenwert eines Kleinwagens zerforscht", sagt er. "Nur dadurch lernt man."

Als Jakubith hörte, dass Ertl den Nobelpreis bekommt, hat er zu seinem Partner gesagt: "Komm, wir fahren dahin." Er stand im Büro seines Doktorvaters hinter dem Wissenschaftssenator von Berlin und der Professor rief: "Ach, Herr Jakubith, haben Sie Ihren Kollegen auch mitgebracht?" Sie haben sich nach dem Bruch wieder versöhnt - als der Schüler seinem Lehrer vor fünf Jahren von der neuen Firma erzählte.

Dass Ertl und der deutsche Physiker Peter Grünberg einen Nobelpreis bekommen haben, werten etliche Politiker als Qualitätssiegel für die deutsche Wissenschaft. Würden sie auch dessen Doktoranden Jakubith und Nettesheim kennen, wäre das für sie vermutlich die Bestätigung, dass sich in deutschen Souterrains auch wissenschaftlich genährter Unternehmergeist entfalten kann - ganz ohne Existenzgründerförderung.

Jakubith, der Physiker-Künstler, und Nettesheim, der Marathonläufer, arbeiten zurzeit an einer neuen Erfindung, an einer ganz anderen. Auf einem Schreibtisch liegt schon ein Stück gelber Kunststoff. Es soll ein Turnschuh werden.

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