Wissenschaft und Soziale Medien: Mehr Fragen als Antworten

Die Wissenschaftsakademien wollen die Kommunikation verbessern. Welche Rolle können soziale Medien dabei spielen?

Mehre Erdkugel sind in Reihen angeordnet

Seit 2010 ist das jährlich unter der Regie des Bundesforschungsministeriums durchgeführte Wissenschaftsjahr interdisziplinär aufgestellt Foto: dpa

BERLIN taz | Je mehr der Einfluss der Wissenschaft auf die Gesellschaft zunimmt, desto wichtiger wird es den Forschern, sich auch außerwissenschaftlich verständlich zu machen. An dem Dilemma, das Fachchinesisch in Volkes Stimme zu übersetzen, laboriert die Wissenschaftskommunikation seit geraumer Zeit. Die deutschen Wissenschaftsakademien haben daher vor drei Jahren eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt, die überlegen soll, wie die „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ verbessert werden kann.

Derzeit beschäftigt sie sich mit den sozialen Medien. Zu ihren bisherigen Erkenntnissen über die „Bedeutung, Chancen und Risiken“ der neuen Internet-Plattformen für die Wissenschaftskommunikation informierte jetzt ein Workshop in Berlin.

Die Veranstaltung war auch eine Reaktion auf die Kritik im vergangenen Jahr. Damals hatte die WÖM-Gruppe (Wissenschaft, Öffentlichkeitsarbeit, Medien) nach langer interner, von Öffentlichkeit abgeschotteter Beratung ein Empfehlungspapier vorgelegt, das unter Wissenschaftsjournalisten und Praktikern der Wissenschaftskommunikation weithin Kopfschütteln auslöste. Unter anderem wurde ein „Wissenschaftspresserat“ vorgeschlagen, der nach dem Vorbild des Deutschen Presserats Verhaltensrichtlinien für die Medien bei Wissenschaftsthemen erarbeiten und Fehlleistungen rügen sollte. Jetzt sollte mit einer Präsentation von Expertisen mehr Transparenz hergestellt werden, über die vorab in einem Onlineblog diskutiert werden konnte.

Träger der WÖM-AG sind die Akademie für Technikwissenschaften „Acatech“, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der acht Akademien der Wissenschaften in den Bundesländern. Die Gruppe besteht aus 13 Wissenschaftlern und Öffentlichkeitsarbeitern in Hochschulen sowie zwei Wissenschaftsjournalisten.

Wenn Wissenschaftler sich einer Sache annehmen, machen sie ein Forschungsprojekt daraus. So auch hier. Der Computerlinguist Henning Lobin von der Uni Gießen untersuchte künftige technische Rahmenbedingungen der digitalen Medien, Jan-Hinrick Schmidt vom medienwissenschaftlichen Hans-Bredow-Institut der Uni Hamburg äußerte sich zu „sozialen Medien als Intermediäre in der Wissenschaftskommunikation“.

Eine waghalsige These

Die Kommunikationswissenschaftlerin Leyla Dogruel von den FU Berlin stellte die „ökonomischen Perspektiven von Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation“ dar, erstaunlicherweise ohne jede Datentabelle. Die einzige Wirtschaftszahl ihres Vortrages – das 8-Milliarden-Euro- Budget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland – sollte die waghalsige These untermauern, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der ökonomischen Medienkrise und der Krise des Qualitäts- und des Wissenschaftsjournalismus gebe.

Der Wissenschaftsredakteur des Südwestrundfunks und Vorsitzender der Wissenschaftspressekonferenz (WPK), Martin Schneider, entzog der Expertise sogleich die Datengrundlage, indem er klarstellte: „Es gibt sehr große Kürzungen bei den Öffentlich-Rechtlichen.“ Zudem werde die Wissenschaft „immer mehr auf Randsendeplätze abgedrängt“.

So konnte die Expertenanhörung – zu theoretisch und praxisfern – wenig überzeugen und Zweifel nähren, ob am Ende des Jahres wirklich praxistüchtige Social-Media-Empfehlungen vorgelegt werden können. „Wir haben fast mehr offene Fragen als Antworten bekommen“, räumte auch Arbeitsgruppenleiter Peter Weingart in seiner Bilanz ein. „In diesen Fällen gehört sich das aber auch so“. Könnte am Ende aus der WÖM-Gruppe ein Langzeitprojekt der deutschen Akademien werden?

Verpasste Chance

Vor allem war der Workshop eine verpasste Chance, in der Praxis der Kommunikation ein Stück voranzukommen. Denn es gab zwei relevante Inputs, die eine Vertiefung unter den knapp 90 Teilnehmern in der Berliner Leopoldina-Filiale verdient gehabt hätten. Zum einen stellte Axel Bruns von der Queensland University of Technology im australischen Brisbane die dort sehr populäre Internet-Wissenschaftsplattform The Conversation vor.

Finanziert durch ein Konsortium von australischen Universitäten werden von Wissenschaftsjournalisten in den Hochschulen die Forschungsberichte der Wissenschaftler zu Medienstories umformuliert und in einem gemeinsamen Portal veröffentlicht. Bruns: „Ich finde dieses Modell sehr interessant, weil es auch erfolgreich ist.“ Zeitweilig ist The Conversation die dritthäufigst besuchte Internetseite in Australien.

Die Wissenschaft wird immer mehr auf Randsendeplätze abgedrängt

Zuvor hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela de Ridder mit einem Grußwort die Brücke zur Politik geschlagen. Auf ihr Betreiben war im Oktober 2016 die parlamentarische Befassung mit dem Thema zustande gekommen: in Form einer Expertenanhörung zur Wissenschaftskommunikation im Forschungsausschuss des Bundestages. Jetzt, in der umgekehrten Aufstellung, gestand die Politikerin vor den Wissenschaftlern ein, dass sie trotz des damaligen Fachinputs „hier mehr Fragen als Antworten mitgebracht habe“.

Noch sehr in der Überlegungsphase waren die Bemerkungen der SPD-Forschungspolitikerin zur Nutzung der sozialen Medien als Plattformen des Austauschs, etwa zwischen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Mit technischen Mitteln zu einer anderen Kommunikation der Akteure zu gelangen sei für sie „ein crucial point“. Es müsse aber eine „echte Partizipation“ dabei herauskommen, keine nur gespielte.

„Offen für neue Ideen“

„Hier müssen wir noch nachdenken, in welchen Formen und mit welchen Partnern das geschehen kann“, sagte de Ridder und erlaubte sich eine Randbemerkung zum „Ringen mit unserem Koalitionspartner“, der Unionsfraktion. Sie selbst favorisiere „konsultative Verfahren“, die am Ende zu einer Synthese zusammengeführt werden müssten. „Wir sind hier offen für neue Ideen der Kommunikation“ zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, lautete der wohl wichtigste Input der Politikerin an die gelehrte Versammlung.

Sie konkretisierte dies am Beispiel der Wissenschaftsjahre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Es sei bemerkenswert, wie stark dort der Anteil der Wissenschaftskommunikation geworden sei. „Lassen Sie uns das weiterdenken“, lud de Ridder ein und nannte Formate wie Open Science und Citizen Science. „Ich bitte Sie um ganz konkrete Empfehlungen an uns.“ Wenn die Wissenschaftler sich nicht artikulieren, so de Ridder, „dann wird das verhallen, was Sie hier diskutieren“.

Damit kam sie auf das politische Zeitbudget der Regierungskoalition zu sprechen. Zwar dauere die Legislaturperiode bis zur Bundestagswahl im September 2017, doch werde die Phase des Wahlkampfs spätestens im Januar beginnen. Die wirksamen Aktionen für die Wissenschaftskommunikation, wie das Einbringen von Anträgen, müssten vorher passieren. „Der Zeitrahmen ist eng.“ Was in der nachfolgenden Legislaturperiode zu dem Thema möglich sein werde, dazu wage sie keine Prognose. „Seien Sie mutig! Formulieren Sie Angebote!“

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