Wissen, Wandel etc.: Sind so kleine Platinen
■ Bildungsminister Rüttgers denkt in die Zukunft
Gut zu wissen. Im Dienstwagen des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers, stecken 53 Mikroprozessoren. Das ist ein ganzer Haufen Technologie, der mutmaßlich aus Stuttgart-Sindelfingen kommt, oder besser, dort eingebaut worden ist. Den Minister versetzt das Starten seines Dienstautos immer wieder aufs neue ins Staunen. Die 53 Mikroprozessoren „und das in ihnen gebündelte Wissen sind mehr wert als der ganze Stahl“, sagte er erst kürzlich in einem Interview mit der Woche.
Diese Erkenntnis verblüfft ein wenig, weiß doch der durchschnittliche Autofahrer, wie schwierig es geworden ist, einen ordentlichen Blechschaden zu fabrizieren, weil immer mehr Autos aus Vollplastik unterwegs sind. Schon möglich, daß Minister Rüttgers „53 Mikroprozessoren“ gesagt hat, aber etwas ganz anderes meinte. Als Zukunftsminister hat er sich ja schon aus Berufsgründen mit gesellschaftlichem Wandel zu beschäftigen. Und da kamen ihm die Mikroprozessoren in den Sinn. Sie versinnbildlichen das gesellschaftliche Wissen nämlich besser als ein Klumpen Stahl. Faszinierend, was alles auf einer kleinen Platine Platz hat und was sie alles anrichten kann. Das hat wohl auch den Zukunftsminister bei seinen Gedankenspielen bewegt. „Mich brauchen Sie nicht zu bekehren“, hat er gesagt. „Ich weiß um den tiefgreifenden Wandel, den wir erleben, weil wir auf dem Weg von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft sind.“ Heureka! Der Minister fügte hinzu: „Die alten Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit werden durch den neuen Produktionsfaktor Wissen ergänzt und teilweise auch abgelöst.“
Noch ist freilich nicht ganz klar, wie die voll entwickelte Wissensgesellschaft einmal aussehen wird, ob in ihr alle das gleiche oder jeder etwas anderes wissen wird. Viel hängt davon ab, wie das viele Wissen sortiert wird und von wem. Aber wahrscheinlich hat der Minister recht: Die Wissensgesellschaft könnte eine ganz gute Sache werden. Schon deshalb sollte den Funktionseliten nicht länger das Recht auf einen eigenen Dienstwagen bestritten werden. Es besteht nämlich Anlaß zu der Vermutung, daß Rüttgers seine weitreichenden Gedanken auf der Rückbank seines bequemen Gefährts hatte, vielleicht darüber sinnierend, wie schön es dereinst war, ein Dreirad zu lenken. Harry Nutt
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