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Wirtschaftspolitik in der TürkeiErdoğan wird oberster Zentralbanker

Ein gefügiger Nachfolger ersetzte den bisherigen Chef der türkischen Zentralbank. Seine geplante Zinssenkung könnte die Wirtschaftskrise verschärfen.

Könnte bald noch deutlich mehr an Wert verlieren: die türkische Lira Foto: reuters

Istanbul taz | Mit dem Rauswurf des bisherigen Zentralbankchefs Murat Cetinkaya und der Neubesetzung des Postens mit einem gefügigen Gefolgsmann will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nun auch die Führung der Zentralbank übernehmen.

„Die Zentralbank ist das wichtigste Element in der Finanzsäule der Wirtschaft“, sagte er in einem Interview mit der Zeitung Habertürk, „sie muss die Politik der Regierung unterstützen“. Erdoğan lag seit Längerem mit Zentralbankchef Cetinkaya im Clinch, weil dieser nicht die Zinsen senken wollte. Während der Präsident billiges Geld haben will, um die kriselnde Wirtschaft anzukurbeln, hatte die Zentralbank im letzten Jahr die Leitzinsen auf 24 Prozent erhöht, um die extrem hohe Inflation von damals 25 Prozent wieder etwas zu drücken.

Weil die Inflation mittlerweile auf gut 15 Prozent zurückgegangen ist und Cetinkaya sich offenbar immer noch weigerte, die Zinsen zu senken, hat Erdoğan ihn am letzten Wochenende per Präsidentendekret gefeuert. „Wir waren überzeugt, dass diese Person, die nicht den Anweisungen gefolgt ist, ausgewechselt werden musste“, sagte er nun im Interview.

Dabei hatte Cetinkaya die Zinsen aus gutem Grund hochgehalten. Nur so gelang es, den Kurs der türkischen Lira, die im Sommer 2018 mehr als 30 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar und Euro verloren hatte, bis heute einigermaßen zu stabilisieren. Cetinkaya wollte auch ein Zeichen für ausländische Investoren setzen, auf die die türkische Wirtschaft dringend angewiesen ist, um ihr permanentes Handelsbilanzdefizit auszugleichen. Hohe Zinsen und eine unabhängige Zentralbank gelten als Voraussetzung, um ausländische Direktinvestitionen zu generieren.

Erdoğan macht, was er will

Erdoğan geht jetzt frontal auf einen gegenteiligen Kurs. Der neue Zentralbankchef Murat Uysal gilt als ergebener Erfüllungsgehilfe des Präsidenten und deshalb in der internationalen Finanzcommunity als unglaubwürdig. Es wird erwartet, dass Uysal bei der nächsten Sitzung des Zentralbankrates Ende dieses Monats die Zinsen senkt.

Fadi Hakura, ­Türkei-Experte des Londoner Think Tank Chat­ham-­House, sieht daher schwarz für die türkische Wirtschaft. ­Gegenüber der New York Times sagte er: „Die Regierung ist so ­fixiert darauf, die Wirtschaft und den Konsum mit billigem Geld aufzupeppen, dass dies am Ende zu einem ökonomischen Zusammenbruch führen kann“.

Der neue Zentral-bankchef Uysal gilt als Erfüllungsgehilfe des türkischen Präsidenten

Denn ein weiterer Kursverlust der Lira würde dazu führen, dass immer mehr türkische Firmen ihre Dollarkredite nicht mehr bedienen können und letztlich pleitegehen. Viele Unternehmen haben in der amerikanischen Nullzins-Phase Dollarkredite aufgenommen, die sie jetzt in Bedrängnis bringen – zumindest die, die überwiegend auf dem heimischen Markt ihr Geld in Lira verdienen, die gegenüber dem Dollar immer weniger wert ist.

Die Regierung verspricht, solchen Firmen mit öffentlichem Geld zu helfen, doch dafür wird in Ankara dann die Gelddruckpresse angeworfen, was die Inflation wieder in die Höhe treibt. So könnte die Ökonomie in eine kaum zu stoppende Abwärtsspirale geraten. Dazu kommt noch ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Erdoğan hat bei Putin das modernste russische Raketenabwehrsystem S-400 gekauft, das dieser Tage in die Türkei geliefert wird. Die USA drohen deshalb mit schweren Sanktionen.

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Erdogan der Wirtschaft befehlen kann, massiv anzuspringen.



    Alleine die Aussage, man sei bald in der Lage auch Touristen zu verhaften, hat nicht gerade der Tourismus-Industrie genutzt. Ähnlich durchgebrannt dürfte dies hier enden: Die Türkei stellt zu wenige qualitativ-hochwertige Produkte her. Schlimmer noch, die türkische Wirtschaft entwickelt sich eigentlich entlang von Krediten und makro-politischen Rahmenbedingungen, weniger durch innovativer und technisch-versierte Unternehmer oder besonder qualifizierte Arbeitnehmer.



    Dazu kommen verschuldete Privathaushalte und eine landesweite Spaltung in Osten und Westen - viele Gebiete im Osten sind unterentwickelt und verzeichnen eine Abwanderung - praktisch seit den 1950er Jahren. Damit bleibt ein großer Teil des Landes immer auf einem niedrigem Niveau, jetzt mir Aufflamen des Kurden-Aufstandes dürfte es sich verschlechtern und selbst die Landwirtschaft ist dort ein Problemfall.



    Sollte Erdogan an seiner Politik festhalten, dass er glaubt quasi per Beschluss, die Wirtschaft lenken zu können, wird er finanzielle Probleme bekommen. Die Kredite und internationalen Anleger werden ihm die Hölle heiß machen. Und Russland oder Katar sind keine echten Alternativen zum Westen. Sollte die Türkei Privilegien bei den USA und der EU verlieren, würde sich das massiv rächen. Aber vielleicht ist dies ja Teil des Abschlussvorhang auf Erdogan und seiner islamistischen Vision einer Neuen Türkei. Was danach kommt, könnte allerdings auch krisenanfällig und schwach sein.

  • Wenn er die Mißwirtschaft schnell genug anderen zuschreiben kann, den Kurden, Regimegegner oder dem Westen, hat er doch noch eine Chance, seine Diktatur weiter zu festigen.