piwik no script img

Wirtschaft versus StadtentwicklungDie „abgeschottete Kolonie“

Rot-Grün lobt die Entwicklung der Überseestadt, die Linke sieht noch nichts Positives, Stadtentwickler fürchten, dass hier nur Platz für Besserverdienende ist.

Wer heute hier in der Überseestadt lebt, verdient auch gut. Bild: DPA

Die Überseestadt hat in den vergangenen Jahren eine „überaus positive Entwicklung“ genommen. Das findet jedenfalls der rot-grüne Senat. Er hat dazu soeben eine lange Antwort auf eine Anfrage des Fraktionen von SPD und Grünen veröffentlicht. Claudia Bernhard von der Linkspartei sagt dagegen: „Zur Überseestadt fällt mir nichts Positives ein.“

Dort fehle es immer noch an bezahlbaren Wohnungen und an Grün, an Nahversorgung und an Nahverkehr, an Kindergartenplätzen und an Angeboten für Familien, so Bernhard. Die Landesregierung indes lobt, dass die von ihr jüngst beschlossene Sozialwohnungsquote von 25 Prozent nun auch in der Überseestadt gilt: Überall dort, wo ehemals städtische Grundstücke mit mindestens 20 Geschosswohnungen oder 50 Einfamilienhäuser bebaut werden, sollen zu einem Viertel Sozialwohnungen entstehen. An der Marcuskaje, wo 130 Wohnungen gebaut werden sollen, liege die Quote gar bei 45 Prozent, auch beim Grundstück am „Schuppen 3“, das gerade ausgeschrieben wird, soll das neue Quorum von 25 Prozent erfüllt werden. „Das ist auf einem guten Weg“, heißt es dazu aus der Fraktion, zumal auch noch ein Studentenwohnheim mit 34 Wohnungen dazukommen soll. „Das kann man in der Pfeife rauchen“, sagt Bernhard – bisher sei das alles nur Planung.

Auch Oliver Hasemann vom Autonomen Architekturatelier (AAA) sagt: Bislang seien in der Überseestadt Neubauten „nur für eine Klientel“ entstanden. Hasemann hat seit 2008 sein Büro in der Überseestadt und die Entwicklungen selbst miterlebt. Er plädiert dafür, dass hier nicht nur eine „abgeschottete Kolonie“ für Besserverdienende entsteht. Von insgesamt 215 Hektar verfügbarer Fläche sind ohnedies nur etwa acht Prozent überhaupt für das Wohnen freigegeben. „Das ist ergreifend wenig“, sagt Bernhard. Selbst dagegen hat sich die alteingesessene Hafenwirtschaft lange erfolgreich gewehrt. Ende 2012 gab es hier 375 Bewohner, der Senat träumt „perspektivisch“ von 3.000.

Für Hasemann besteht der „Charme“ der Überseestadt vor allem aus dem Neben- und Miteinander verschiedenster Nutzungen und NutzerInnen. Doch gerade da gibt es immer wieder Konflikte. So stieß jüngst der unkommerzielle Verein „Zuckerwerk“ mit Ansiedlungs-Plänen auf massiven Widerstand der Industriebetriebe. Hasemann findet deren Ängste zwar prinzipiell „verständlich“. Doch die bisherige Entwicklung des Quartiers habe den örtlichen Firmen „kaum geschadet“.

Die Überseestadt in Zahlen

Alles in allem ist die Überseestadt 288 Hektar groß.

Als "erhaltungswürdiger Bestand" gelten davon 117 Hektar. Diese Fläche ist zu knapp drei Vierteln industriell genutzt.

Es arbeiten hier gegenwärtig rund 11.500 Menschen. Bis 2030 soll es Prognosen zufolge zwischen 14.000 und 17.000 sein.

Zwar gibt es keine Schule in der Überseestadt, allerdings eine Kinderhortgruppe mit 20 Plätzen sowie 52 Plätze für unter Dreijährige.

Der Einzelhandel besteht aus einem Aldi-Markt, mehreren Möbelgeschäften und kleinteiligem Fachhandel.

Für den Nahverkehr sind derzeit zwei Buslinien geplant. Eine Straßenbahnanbindung ist nicht in Sicht.

Die ansässigen Betriebe sollten „nicht verdrängt“ werden, schreibt der Senat. In der Praxis, so der grüne Stadtentwicklungspolitiker Carsten Werner, führe das aber mitunter dazu, dass die Unternehmen vorhandene Flächen selbst nicht nutzten, eine andere Nutzung jedoch verhinderten – mit dem Argument, sie würden sie vielleicht mal nutzen wollen. „Das kann so nicht weitergehen.“ Werner hofft, dass ein neuer Bebauungsplan die Konflikte entschärfen und die Vetomacht der Hafenwirtschaft etwas zurückdrängen kann. Schließlich sei es eine „politische Aufgabe“, zu entscheiden, was mit dem Quartier passiere. Und Bremen gibt hier viel Geld aus: 209 Millionen Euro allein zwischen 2008 und 2013 – bei nur 180 Millionen Euro Einnahmen.

Doch bislang siegen die Interessen der Wirtschaft über jene der Stadtentwicklung. Das AAA hofft etwa immer noch auf eine Zwischennutzung des ehemaligen Kaffee HAG-Geländes, das zum Teil immer noch leer steht. Sechs Jahre ist es her, dass das AAA da ein Konzept geschrieben hat, so Hasemann. Passiert sei seither wenig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Sprecher für Stadtentwicklung bei den Grünen ist Carsten Werner. Vom Regieassistenten beim Bremer Theater -in jungen Jahren- zum GF des Theaters Schwankhalle.

     

    Bremer Intern-Politik macht es möglich.

    Immer unter Beachtung von Eignung, Befähigung, Leistung.

     

    Und zur Sache selbst :

     

    Ein Besuch eines Entscheidungsträgers, oder Ideensuchers der alten Docks von Glouchester -Westküste England/Inland- würde helfen, eine Anregung dafür zu, wie eine neue Lebhaftigkeit gestaltet werden kann.

     

    Denn das was Bremen als Projekt ' Überseestadt' hochhält ist -sorry- provinziell gestaltet.

    Ein seelenloses Emsemble von leerem Zeitgeist.

     

    Menschen die dort wohnen sagen offen:

    Danke fürs Kennenlernen, aber jetzt auch gerne wieder mal wo anders.

  • Welcher Teufel hat denn nun schon wieder die Hobbystadtentwickler der rot-grünen Chaostruppe geritten?

     

    Ich dachte immer, dass Stadtentwicklung in die Hände qualifizierter Fachleute und nicht an Inhaber einer Meinung oder eines Parteibuchs gegeben werden sollte...

     

    Sämtliche seriösen demografischen Prognosen sagen für Bremen keinen relevanten Anstieg der Bevölkerung bis 2030 voraus.

    Im Gegenteil: Die Gruppe der "hippsten Hippsterlinge mit ohne Kindern und doppeltem Einkommen" wird bis 2030 von derzeit 18,3 auf 17,7% sinken.

     

    Woher soll der Zuwachs von 1.000% auf diesen 288 Hektar asphaltierter Brache denn kommen?

     

    Belebende Subkulturen wie alternative Projekte, Zwischennutzungen und Rotlichtmilieu wurden ja sehr erfolgreich abgewehrt und so ist dort ein seelenloses Nebeneinander von Glas und Metall, Leere und Mangel an urbaner Grünfläche entstanden, welches auch durch die braune Sauce am Hafenrand beim besten Willen keinen maritimen Charakter gewinnen will.

     

    Um dort schön Wohnen zu können, fehlen nur noch ein Reifenhandel und ein Klettergerüst für Kinder mit Hundekotabwurffläche (Sandkasten)...

     

    Hier ist mit viel Geld wenig gewollt und noch weniger gekonnt.

     

    Eigentlich könnte es uns "Normalbremern" egal sein, wenn sich die selbstangesagten Doppelhippster für viel Geld gegenseitig behöllen wollen, solange sie nur ihr eigenes Geld für Glas, Metall, Beton und Penthouse oder Loft hinauswerfen wollen.

     

    Leider werfen die rot-grünen Dilettanten auch hier wieder zig Millionen von Steuergeldern in der Tradition wüster Spacepark-Illusionen oder Musicaltheaterträumen ins Wasser und haben als Strafe maximal die Beförderung in den vorzeitigen hochbezahlten Ruhestand zu "befürchten".

     

    Traurig, was die BremerInnen die letzten Jahre ohne Revolte hinzunehmen bereit sind.

  • Jan Zier , Autor des Artikels,

    Der Artikel steht unter taz.nord in der Rubrik "Bremen" - deswegen spielt er naheliegenderweise auch in Bremen.

  • Artikel gut, kann als Berliner nicht finden um welche Stadt es sich handelt..., die Überseestadt wird ja ein Stadtteil von einer größeren Stadt sein, aber welcher...?

    steht nicht der Überschrift, nicht unter dem Foto und im Artikel finde ich die Stadt auch nicht...,

     

    liebe taz und Maria hilf