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Aus taz FUTURZWEI

Wirtschaft statt Adorno Es geht voran!

Ernst machen mit Zukunft bedeutet Schluss machen mit unserer geliebten Protest-, Dissidenz- und Kritikkultur. Bitte anschnallen.

Klima-Protestaktion. Aus der Arbeit „Tag X“ von Sibylle Fendt und Paula Winkler Foto: Sibylle Fendt/Ostkreuz

Von PETER UNFRIED

Warum, so lautet die Frage, tut sich gerade unsereins mit dem Machen von Zukunft so schwer, während er das Reden darüber super drauf hat? Einige Teilantworten: Wir sind kulturell gehandicapt. Wir haben nicht die richtige Methode. Wir sind traditionell lieber am Kritisieren und Dagegensein. Wir scheuen die Unreinheit, Gebrochenheit und Verantwortung des Machens. Wir haben uns mit Adornos Trümmerspruch, dass es kein richtiges Leben im Falschen geben könne, selbst den Persilschein ausgestellt dafür, weil Machen ja angeblich in diesem System eh nichts bringt.

Nun muss man gleich mal einschränkend sagen, dass »unsereins« ein unscharfer Begriff ist, der im weitesten Sinne einen Teil der bundesdeutschen Gesellschaft meint, den man unter »linksliberal« und »progressiv« summiert, wobei das Problem damit anfängt, dass es »linksliberal« und »progressiv« nicht oder nicht mehr gibt als Positionierung oder gar Methode für die Krisen des 21. Jahrhunderts. Zum Beispiel nennen die Kreuzberger Grünen sich krampfhaft »progressiv«, was meint, dass sie ihre liebgewonnenen Traditionen aus dem letzten Jahrhundert bewahren wollen. Auch »links« taugt nicht, um sich zu diesen Krisen zu verhalten. »Links« kann man vielleicht noch agitproppen (globale »Klimagerechtigkeit« fordern, »postkolonialistische Außenpolitik« geißeln oder »Superreiche« beschimpfen) und ein bisserl antikapitalistische und antiamerikanische Folklore gehört ja häufig auch noch dazu, aber als politische Methode für eine erfolgreiche Transformation der Wirtschaft ist das untauglich – und nichts anderes ist zentral für die Linderung der Klimakrise.

»Die Linke«, die publizistische Veteranen immer noch gern beschwören, ist ein Phantasma. Das »progressive« oder im Sound der 80er-Jahre »alternative« WIR ist eine Mumie, als gesellschaftliche Formation aufgelöst, was man spätestens sehen musste, als auch scheinbar Progressive in der Gesundheitspolitik der Regierung während der Corona-Pandemie eine Staats- und Sonst-was-Verschwörung entdeckt haben wollten und sich bei den Reaktionären einreihten. Eine fortschreitende Wirtschaftstransformation wird weitere neue Formationen entstehen lassen, und zwar dafür und auch dagegen – letztere werden sich »links« oder gar »progressiv« nennen.

Auch in der Frage einer ernsthaften Verteidigungspolitik bildet sich gerade ein neues WIR heraus, dito sind in anderen Bereichen die festen Links-Rechts-Konstellationen nicht mehr gegeben.

Ein weiteres und zentrales Phantasma, das man abräumen kann, ist die seit den Aufbruchsbewegungen der 1960er grassierende Woodstock-Romantik, also die durchaus schöne Vorstellung, man könne die Welt mit Rock 'n' Roll und Protest besser machen. In Teilen ja, aber auch das ist keine Methode für eine weitreichende Transformation, wie wir nach 50 Jahren langsam mal einsehen könnten.

»Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran« Fehlfarben Foto: Universal Music GmbH

Abschied von Illusionen

Das zentrale Hindernis für Zukunftsgestaltung besteht in der liebevoll gehüteten Annahme, „progressive“ Kultur sei der Dagegen-Modus. Wie es in einem vergessenen Popsong heißt: »Hallo, worum geht’s, ich bin dagegen. Gegen alles, gegen jeden, ich bin absolut dagegen.«

Gern redet unsereins auch über weniger Fleisch, Heizung runterdrehen, und manche waren sogar wirklich schon mal mit dem Nachtzug unterwegs. Allerdings scheitern die meisten derweil real in Sachen Lebenswandel: Bekanntlich verursachen okay verdienende Ökobürger immer noch viel mehr Emissionen als die Durchschnittsrentnerin. Das Bewusstsein bestimmt gerade bei unsereins nur zu einem sehr geringen Teil das Sein.

Die neue Kultur braucht zum einen eine Kopplung von Bewusstsein mit – zumindest mal – Wärmepumpe und Eigenstromproduktion. Zum anderen neuen Respekt für jene, die häufig in gesellschaftspolitischen Fragen anders drauf sind, aber das mit der praktischen Energiewende besser können: Ökoprogressive, die mit E-Auto, Wallbox, Solaranlage und Heizpumpe auf dem Land leben, beispielsweise, und womöglich CSU wählen.

Ein selbständiger Lebenstil, ökologisch orientiert und auch sonst, ist als kulturelle Grundlage wichtig, aber als Methode für eine globale Transformation unzureichend, wie speziell auch das gepflegte Mantra vom Schrumpfen und vom »Weniger ist mehr«. Mal abgesehen davon, dass es illusorisch ist, die aufstrebenden Mittelschichten jenseits des Westens von Degrowth, Verzicht, kleinen Wohnungen, Regionalurlauben und »Weniger ist mehr«-Poesiealbum-Sprüchen zu überzeugen (das haben oder hatten die ja alles), ist das erste Problem doch, dass wir uns selbst davon nicht wirklich überzeugen könnten. Unsereins strebt traditionell nach immer mehr Weltreichweite, wie der Soziologe Hartmut Rosa das nennt, weil wir darin den Sinn unseres einzigartigen Lebens suchen. Und weil das Leben ja wirklich sehr stressig ist mit den Kindern, dem Partner, den Eltern, der Karriere und überhaupt, brauchen wir einfach auch den Skiurlaub, die Wellness-Wochenenden und ein, zwei interkontinentale Erlebnisreisen im Jahr.

Und, äh, wie geht das zusammen mit unseren Überzeugungen? Glänzend. Seit wir die Religionen überwunden haben, predigen wir selbst, aber hauptsächlich zu den anderen. Wie früher in der Kirche geht es bei uns selbst zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Das betrifft sogar den apokalyptischen Duktus, den der harte Kern der Protestrandgruppierung Letzte Generation anschlägt. Weltuntergang. Das sagen wir doch schon lange. Yeah! Schlimm.

Will sagen: Wenn unsereins Ernst machen will, dann muss man sich erst mal selbst ernst nehmen in diesem Anspruch. Ernst machen bedeutet, sich von seinen eigenen Illusionen zu verabschieden. Jedenfalls dann, wenn man im Nirvana des Lebens in der Mittelschichtsgesellschaft voll mit sich selbst beschäftigt war und alles strukturell Unangenehme jenseits von emanzipatorischen Defiziten ignorierte, nicht nur Klima, sondern auch militärische Verteidigungsfähigkeit, zerfallendes Renten- und Gesundheitssystem, Bedrohung der liberalen Demokratien.

Wir sind faktisch Hedonisten

Oh, ja, es wurde viel über Trump, Orban und manchmal Putin geschimpft und geheult, aber nicht ernsthaft besprochen, was das für UNS bedeutet und wie wir uns verteidigen, wenn wir angegriffen werden, um auch ohne den Ami geschützt zu sein, frei zu sein und außerdem wohlhabend zu bleiben. Wieso wohlhabend? Wir müssen doch abgeben lernen! Auch so ein Spruch.

Ernst nehmen heißt auch nicht, ein Weltuntergangsszenario beschwören und mit Berufung auf eine höhere Instanz (sich selbst), Rechtsbrüche als notwendiges Mittel im Widerstand gegen Staat, Polizei und dumme Mehrheitsgesellschaft zu propagieren. Überhaupt benutzt unsereins ja gern das Wort »kämpfen«. Im falschen Zusammenhang. Man muss gegen einen Aggressor kämpfen, wenn er einen überfällt, aber man kann nicht gegen Klimakrise, gegen Rassismus, gegen Armut »kämpfen«. Das alles sind komplexe Zusammenhänge, die man nicht mit Demos, nicht mit Plakaten und auch nicht mit simplen Anklagen loswird, sondern wo man etwa Produktives hinkriegen muss, damit es besser wird.

Will sagen: Die tradierte DAGEGEN-Kultur von unsereins ist für eine Transformation nicht geeignet. Auch wenn man sie gegen große Unternehmen und deren Lobbys durchsetzen muss. Grundsätzlich muss man eine Mehrheit FÜR die Transformation der Wirtschaft und der Industriegesellschaft gewinnen.

Dies ist nicht mehr die Zeit von »Schöner wär's, wenn's schöner wär«-Seufzern. Weshalb man sich Calvinisten-Sound, wohlfeilen Antikapitalismus oder Staatswirtschafts-Fantasien einfach mal sparen kann und dafür »Marktwirtschaft« und »Unternehmertum« als geile Worte etablieren.

Wir sind faktisch Hedonisten und wir machen es, indem wir wachsen, aber innerhalb der planetarischen Grenzen, also mit postfossiler Marktwirtschaft.

Statt im Rosamunde-Pilcher-Sound »Profitgier« und »Konsumwahn« (der anderen) zu geißeln oder gar den populistischen Ressentimentbegriff »Elite« für die Bösen in Anschlag zu bringen, bedeutet Ernst machen, zu sagen: Wir sind nicht die Opfer von anderen, wir sind die, die machen. Aber als Mehrheitsprojekt und in Kompromissen mit den anderen zusammen. Im Gemeinderat, in der Energiegenossenschaft, mit dem Mittelstand zusammen.

Das klimapolitische Wir muss sich als Mehrheit denken können

Das ist auch so ein Missverständnis, dass noch in unserer Rock 'n' Roll-Protest-Kultur drinsteckt: Wir sind nicht die Minderheit im Kampf gegen das Böse. Wir sind die Mehrheit. Auch wenn das mit der derzeitigen Bundesregierung und der Klimapolitik-fernen SPD und FDP ein verwegener Gedanke zu sein scheint: Das klimapolitische Wir muss sich als Mehrheit denken können und entsprechend aufstellen.

Wir blockieren und kleben nicht, wir sind die, die die Transformation aktiv voranbringen – gegen blockierende Minderheiten, die sich an der Gegenwart festkleben wollen, obwohl das nicht geht. Damit meine ich nicht die Klima-Aktivisten, ich meine die Proteste der Anti-Klima-Aktivisten, die demnächst auf den Straßen sein werden, wenn das Tempo der Transformation wirklich zunimmt.

Das neue Wir bekämpft die anderen nicht, es muss die Konstellation ausbalancieren und das Ding trotzdem voranbringen (leicht gesagt, ich weiß). Jedenfalls kommen zu dem neuen Zukunfts-Wir Leute hinzu, die man bisher eher im Konservativen verortete. Es werden aber auch manche, die man bisher zu unsereins rechnete, nicht mitmachen, sondern im alten Dagegen bleiben.

Der ganze und wohlfeile Kulturpessimismus von unsereins bündelte sich in dem legendären Fehlfarben-Song Es geht voran aus dem Reagan-Jahrzehnt: »Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran.« Ironisch, selbstverständlich, wird hier die Moderne als Rückwärtsbewegung verstanden. Das Motto war: Es geht mitnichten voran, alles schlimm, und »Schuld hat der Präsident«.

Ja, das waren schöne Zeiten.

Nun, da diejenigen nicht mehr glauben, dass es vorangeht, die früher dafür brav Union und SPD wählten, da ist es ja praktisch die dissidentische Pflicht von unsereins, das Gegenteil hinzubekommen, die Fortsetzung einer liberaldemokratisch-marktwirtschaftlichen Erfolgsgeschichte auf postfossiler Grundlage. Mit den für strukturellen Fortschritt zur Verfügung stehenden Mitteln. Diese Mittel sind zuvorderst Politik und Marktwirtschaft. Wenn wir also Ernst machen wollen mit Zukunft, dann müssen wir unser Engagement dahingehend bündeln, dass wir uns als demokratische Mehrheit in der unheilen Welt die Hände schmutzig machen und entsprechende Politik und entsprechende Wirtschaft besorgen und selbst machen.

Dieser Beitrag ist im März 2023 in taz FUTURZWEI N°24 erschienen.