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Wirkungsorientiertes HaushaltenEine Demokratie, die liefert

Gastkommentar von Arne Treves und Tobias Hans

Es ist möglich, den Staat durch wirkungsorientiertes Haushalten vom Kopf auf die Füße stellen. Das gilt auch jenseits der Bauernproteste.

Verstand kann auch anders verstanden werden: Eine Werbung vor dem Finanzministerium

H aushaltsfragen, so scheint es, sind demokratische Schicksalsfragen, das zeigt sich auch auf den Straßen. Derzeit sind es die Bauern, die die großen Städte des Landes lahmlegen. Aber muss das so sein? Muss es diese Konfrontationen geben, die am Ende schädlich sind für alle? Oder gibt es einen anderen Weg, übers Haushalten zu reden und die Verteilung von Geld – demokratische Kernaufgabe – zu praktizieren?

Wir wollen hier einen ganz anderen Ansatz vorstellen, der nicht nur ein neues Verständnis von Haushalten bedeutet, sondern eine Weiterentwicklung der Demokratie für das 21. Jahrhundert – einer Demokratie, die flexibler ist, offener, weniger ideologisch, weniger konfrontativ, sehr viel mehr interessiert an Ergebnissen, pragmatisch und funktional. Einer Demokratie, die liefert.

Zuerst würde debattiert, welche Ziele erreicht werden sollen – und danach würden die Ausgaben festgelegt

Momentan wird die Debatte ausgefochten zwischen denen, die mehr, und denen, die weniger sparen wollen – meist entlang eingeübter parteipolitischer Selbsterzählungen. Wenn die Politik aber übers Sparen debattiert, geht es vor allem um Zahlen – und viel zu wenig um Ziele und Wirkung oder darum, was wir als Gesellschaft mit dem Geld erreichen wollen. Die Debatte steckt in einer staatspsychologischen Sackgasse, bevor sie richtig angefangen hat.

Um die Verteidigungshaltung von Ämtern, Ministerien und Interessengruppen zu überwinden, gibt es jenseits des Sparens oder Nichtsparens eine dritte Möglichkeit, die im Grunde den bisherigen Haushaltsprozess umkehrt: zuerst und zentral darüber zu debattieren, was mit dem Geld erreicht werden soll. Erst danach würden die Ausgaben festgelegt.

Das würde bedeuten, dass die Regierung sich auf gemeinsame Wirkungsziele im jeweiligen Koali­tions­vertrag einigte und in einem verbindlichen Format wie beispielsweise einem Haushaltsgesetz festlegte. Als Folge würden zuerst Wirkungsziele und nicht bestehende Ressort­interessen gegeneinander abgewogen und prio­ri­siert – also Klimaschutz und Verkehrswende statt Umweltamt und Straßenverkehrsamt.

Die einzelnen Ressorts, Ministerien und Ämter würden dann auf ihrer jeweiligen Ebene in einen Wettbewerb treten, wer das wirkungsvollste Programm zur Zielerreichung hat. Umweltamt und Straßenverkehrsamt wären gezwungen, in gemeinsamen Programmen und Prozessen zu denken – denn nur so können übergreifende Ziele bestmöglich erreicht werden. Erst danach werden die Gelder auf die Programme und Projekte verteilt.

Auf allen Ebenen

Ähnliche Ansätze gibt es nicht nur in Österreich und Finnland, sondern bereits in kleineren Kommunen in Deutschland. Hier führen begrenzte Ressourcen und schlankere Verwaltungsorganisationen zu zielorientierten und pragmatischen Haushaltsaufstellungen über parteiideologische Befindlichkeiten hinweg. Es werden klare Prioritäten gesetzt – eine autofreie Innenstadt oder ein großflächiger Ausbau von Windkraft zur eigenen Bedarfsdeckung – und ämterübergreifend umgesetzt.

Gleiches sollte auch für größere Kommunen, Städte und Landkreise gelten. Zuerst sollte durch den Gemeinde- oder Stadtrat festgelegt werden, auf welche Wirkungsziele sich die jeweilige Gemeinde fokussiert. Will man zuerst die Verkehrswende vorantreiben oder die Energieversorgung umstellen? Die Ämter müssten Programme entwerfen und Umsetzungspfade vorschlagen – die Gelder würden also an die Ziele und nicht an die Ämter gekoppelt.

Auch auf Landes- und Bundesebene hätte eine wirkungsorientierte Haushaltsstruktur transformativen Charakter. Hier sollte statt der berüchtigten Haushaltswoche im Bundestag zuerst eine Ziel- oder Wirkungswoche abgehalten werden. Die Gelder würden nicht in unflexible Einzelpläne gegossen, aus denen sie kaum mehr zu befreien sind. Das bedeutete, dass die Diskussion sich nicht um den Abbau von Subventionen oder Sozialleistungen dreht, sondern darum, welche Vorhaben, Förderprogramme und Subventionen die gemeinsamen Ziele erreichen. Die Diskussion über die Dieselsubventionen in der Landwirtschaft würde gezwungenermaßen vom Ziel her geführt werden. Auseinandersetzungen finden immer noch statt, aber fokussiert auf die Frage, wie etwa die Ziele der Ernährungssicherung Deutschlands, der fairen Bezahlung der Land­wir­t:in­nen und der Reduktion der Treibhausgase erreicht werden könnten. Erst danach würde bewertet, ob die Subvention von Diesel im Agrarsektor der wirksamste Weg ist.

Zur Rechenschaft verpflichtet

Gleichzeitig muss gelten: Wer sich Ziele setzt, muss daran auch gemessen werden. Es braucht einen Haushaltsausschuss, der nicht nur beschließt und anschließend seine Budgets vergisst, sondern die Werkzeuge dazu hat, die Regierung zu begleiten und zu prüfen, wie die Gelder ausgegeben werden. Damit würde auch die Macht des Parlaments gegenüber der Regierung oder Exekutive gestärkt – ein weiterer Demokratisierungseffekt. Gleichzeitig sollten sowohl die Kämmerer als auch der Bundesrechnungshof in den Kompetenzen und Methodiken befähigt und ermächtigt werden, Evaluationen und Kosten-Wirkung-Analysen durchzuführen, und Letzterer zu einem Bundeswirkungshof aufgewertet werden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Nachtragshaushalt von 2021 für verfassungswidrig erklärte, eröffnet damit die Debatte und auch eine große Chance, um das Haushaltssystem, also die Logik der Staatsausgaben, endlich den Anforderungen unserer Zeit anzupassen. Die Grundsätzlichkeit, mit der gerade breit diskutiert wird, hat das Möglichkeitsfenster weit aufgestoßen. Jetzt sollten wir es nutzen.

Die Entscheidungstragenden sollten sich jetzt an einem anderen, mittlerweile zwei Jahre alten Urteil des Bundesverfassungsgerichts orientieren und das Wohl der zukünftigen Generationen im Blick haben. Um dieses zu sichern, braucht es ein Haushaltssystem, das die Wirkung ins Zen­trum rückt.

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6 Kommentare

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  • „… führen begrenzte Ressourcen…zu zielorientierten und pragmatischen Haushaltsaufstellungen über parteiideologische Befindlichkeiten hinweg.“.



    Damit haben die Autoren es auf den Punkt gebracht.

  • Das die "Energiewende", oder die "Verkehrswende", oder die "Heizungswände", oder gar "Co2 Neutralität", nie so richtig vom Endresultat her durchgeplant werden, kann nur im Verfehlen der Ziele enden.

    Fast wie in den Emiraten. Den Glimagipfel abhalten, Co2 Neutralität versprechen und dann aber gleichzeitig zu planen das Öl bis zum letzten Tropfen zu fördern.

    Natürlich habe ich bei der D Regierung immerhin noch die Hoffnung, dass diese die Ziele auch wirklich erreichen will. Leider weis keiner so richtig "WIE". So wie ich das beobachte hapert es bereits bei der Theorie, von der Umsetzung mal ganz zu schweigen.

    Wo ist der Plan wie viele Windräder in D. in den nächsten Jahren benötigt werden.

    Es werden Ziele für den Ausbau gesteckt, schön und gut. Aber was sind die Prognosen für den Bedarf und wann dieser zu welchen Teilen gedeckt?

    Das gleiche bei der Digitalisierung.

    Was sind die Ziele, wie können diese erreicht werden.

    Mal ein Gegenbeispiel:

    Die Estländerinnen haben seit 15 Jahren online Wahlen.

    Da wird ein Kind geboren und die Eltern bekommen automatisch eine Benachrichtigung "Glückwunsch zur Geburt, wo soll das Kindergeld hin überwiesen werden?"

  • Klingt theoretisch sehr plausibel, vielleicht auch dauerhaft realistisch für künftige Generationen, die einiges auszubaden haben werden, weshalb sich frühzeitige haushalterische Kooperation noch auszahlen wird.



    Beim Klimaschutz hatte ich nach der BT-Wahl die annoncierten Bemühungen der Ampel vielleicht zu optimistisch bereits in den Kategorien des Artikels angesiedelt sehen wollen.



    Bei neuralgischen Themen wie Verteidigung und Atomkraft beispielsweise ist schon in der Definition der Ziele der Dissens deutlich größer. Übrigens kam die Idee, "die Dinge vom Ende her zu betrachten", was den Gedanken des Textes nicht ganz unähnlich ist, auch früher aus der Ecke der Wissenschaft, war aber nicht unumstritten als Kopie im politischen Alltag.



    Es braucht viel Expertise und adäquate Moderation für derartige Schaltstellen der neuen transparenten Weiterentwicklung der Demokratie. Vielleicht ist der Ansatz, auch Parteilose in Ämter zu berufen, eine Möglichkeit für die zeitnahe Etablierung wirkungsvollen Haushaltens. Allein mit externen BeraterInnen wird es sicherlich nicht funktionieren.



    /



    taz.de/Staatsbuergerschaft/!5145869/

    • @Martin Rees:

      * ... hatte ich nach der BT-Wahl die annoncierten Bemühungen der Ampel vielleicht zu optimistisch bereits in den Kategorien des Artikels angesiedelt sehen wollen.*

      Beim neuen Bürgergeld kam mir ein ähnlicher Gedanke. Denn das neue Bürgergeld scheint? mir tatsächlich ein vom Ziel her gedachtes Projekt, welches ENTSPRECHEND zu konzipieren und umzusetzen war: Nachhaltige Vermittlung in Arbeit durch „Exploration“ der individuellen Talente und Ziele der Einzelpersonen, nun ausgestattet mit mehr „Augenhöhe“ gegenüber den administrativen Vorgaben (Sanktionen) und dann deren „Anschluss“ an geeignete Weiterbildungsmaßnahmen. Ein hoch ambitioniertes Ziel (aber begründet vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels). Es ging um´s Geld. Aber: Wie kann das gegebene Ziel mit welchen Mitteln möglichst erfolgreich erreicht werden? Bzw. „umgekehrt“: Wie kann bei gegebenem Mitteleinsatz das erwünschte Ziel möglichst „optimal“ erreicht werden?

      Die Einflussnahme der Opposition (ihr prinzipielles Recht) richtete sich jedoch aus meiner Sicht kaum auf das kritische Hinterfragen des „Wirkungsziels“, sondern geschah eher aus seiner prinzipiellen Ablehnung heraus:

      Der Idee nach MUSS das Sanktionsregime gelockert werden. Ohne die Mitwirkung der Erwerbslosen ist deren Motivation nicht zu haben, die, sich stützend auf die eigenen Talente, für Weiterbildung gewonnen werden sollen.

      Ein unrealistisches Wagnis für die Opposition (Fachleute sehen das anders), die aber weniger sachlich das in den Mittelpunkt ihrer Kritik stellte, sondern der eigenen Wählerklientel folgend ganz auf die Verschärfung der Sanktionen zielte. Aber ohne inhaltliche Bezüge zum Ziel! Die parlamentarische u. die öffentliche Debatte gingen desaströs an den Inhalten der Reform vorbei. Sie bedienten aber „populär“ die Meinungen jeweiliger Wählerklientel. Die Reform geht überhaupt schon beschädigt an den Start. Bei zweifelhaften rein politisch-rhetorischen Gewinnen für beide pol. Seiten. Immerhin etwas? Aber für we

  • Nein, solange die CDU die stärkste Partei in Deutschland ist, ist so etwas NICHT möglich!

  • Viel zu viel "würde", "sollte", "könnte"