„Wir werden dringend gebraucht“: Der Arzt
Gerd Schröter ist Intensivmediziner. In der kommenden Woche wird er in Sri Lanka operieren
Gerd Schröter weiß nicht, was ihn erwarten wird. Wie viele Patienten im Krankenhaus in Ampara in Sri Lanka behandelt werden müssen und welche Verletzungen sie haben. Inwieweit die Operationssäle noch funktionstüchtig sind. Wie er und seine Kollegen überhaupt vom Flughafen in Colombo aus in die Stadt im Osten des Landes kommen. Ob die Medikamente ausreichen. „Wir haben keinerlei konkrete Angaben“, sagt der Mediziner. Trotzdem wird er spätestens Ende nächster Woche nach Südasien reisen und die Opfer der Flutkatastrophe behandeln. „Dass wir dringend gebraucht werden, wissen wir sicher.“
Für Gerd Schröter wird es der erste Auslandseinsatz in seinem Leben werden. Die Unternehmung ist lange geplant. Organisiert wird sie von Interplast-Germany, einem Verein, der in Entwicklungsländern Patienten mit Missbildungen kostenlos operiert. Eigentlich sollte auch der Berliner Arzt gemeinsam mit einem zweiten Anästhesisten und zwei plastischen Chirurgen in Sri Lanka Kinder mit angeborenen Fehlbildungen behandeln, ein freiwilliger Einsatz in seiner Urlaubszeit. Dann kam die Flut – und eine ganz neue Situation.
„Wir erwarten sehr viel Leid, massenweise Verletzte, die noch gar nicht oder nicht ausreichend versorgt wurden, und viele Wundinfektionen“, zählt der 45-jährige Mediziner auf. Drei Wochen werden ihm bleiben, um zu helfen. „14 Stunden werden wir sicher jeden Tag arbeiten.“
Als Oberarzt der Intensivstation des Unfallkrankenhauses Berlin hat Gerd Schröter viele Verletzungen gesehen und behandelt, auch schwerster Art. „Die Dimensionen in Südasien sind aber im Moment ganz andere“, sagt er. „So etwas hat noch niemand erlebt.“ Er ist gefasst auf eine Arbeit unter extremen Bedingungen. Daran, dass grausame Bilder in seinem Kopf hängen bleiben könnten, die ihn nicht mehr loslassen, denkt er zwar, aber es hält ihn nicht von der Reise ab. Genauso wenig wie die Angst vor Infektionen. „Wir sind geimpft und schützen uns eben, so gut wir können“, sagt er. Reichlich sterile Handschuhe, Medikamente – vor allem Antibiotika –, Verbandsmaterial, Spritzen und Operationsbestecke, vom Unfallkrankenhaus Berlin gespendet, werden im Gepäck der deutschen Ärzte zu finden sein. Genauso wie „fast das gesamt Equipment eines OP-Saals“: Beatmungsgeräte, Spritzenpumpen, verpackt in überdimensionierte Kisten – mit normalem Reisegepäck hat das wenig zu tun. Nur für Großgeräte ist im Flugzeug kein Platz.
Die Betreuung der Patienten in Südasien wird sich auf die medizinische Versorgung beschränken müssen. „Es wird kaum möglich sein, den Verletzten zu helfen, ihre schweren Schicksalsschläge zu verarbeiten“, so Schröter. In Deutschland ist das ein wichtiger Bestandteil seiner täglichen Arbeit. „Dazu gehört natürlich auch ein gewisser mentaler Abstand, um professionell arbeiten zu können. Den werden wir in Sri Lanka noch mehr brauchen.“
Einen Dolmetscher wird es für die deutschen Helfer nicht geben. „Wir müssen uns auf Englisch verständigen, das muss funktionieren“, so Gerd Schröter. Ursprünglich wollte das Team aus Deutschland am 14. Januar nach Sri Lanka fliegen, jetzt rechnet Gerd Schröter jeden Tag mit der Entscheidung, schon früher aufzubrechen: „Es ist alles organisiert, die Koffer sind gepackt.“ Seine Familie unterstützt ihn. „Wären sie dagegen, dann könnte ich das gar nicht machen.“
JULIANE GRINGER
Der Heilpraktiker
Daniel Alagiyawanna fliegt heute ins Krisengebiet. Der Sri Lanker leitet einen Transport der Charité weiter
Mit der Organisation des Hilfstransports versucht er sich abzulenken. Er will nicht an Einzelschicksale denken. „Sonst würde ich die ganze Zeit nur heulen.“ Daniel Alagiyawanna ist Arzt für Naturheilkunde und stammt aus Sri Lanka, er hat Verwandte und Bekannte in den überschwemmten Dörfern, viele sind tot, noch viel mehr sind vermisst. „Ich muss helfen, ich muss mir selbst ein Bild machen.“
Der 37-Jährige ist in Berlin aufgewachsen, hat hier vier Kinder und arbeitet als Heilpraktiker. Heute fliegt er auf unbestimmte Zeit in seine Heimat, um die Verteilung von Medikamenten und anderen Hilfsgütern zu koordinieren und weiteren Bedarf nach Berlin zu melden. Die Südküste kennt er sehr gut, er hat viel Zeit dort verbracht. In Colombo ausgebildet, hat er dann in Krankenhäusern zwischen Galle und Matera gearbeitet.
„Ich habe Kontakt mit Ärzten vor Ort und mit Ärzten hier. Da ich auch beide Sprachen spreche, kann ich auf beiden Seiten Formalien klären“, erzählt er und schaut nervös auf sein Handy. Das klingelt immer wieder: Ein Kinderarzt aus der Charité will mit ihm die Details für die Lieferung von Medikamenten nach Sri Lanka besprechen. Für drei Tonnen Fracht hat er von den Sri Lankan Airlines den kostenlosen Transport zugesagt bekommen.
Die Kinderärzte der Charité haben Geld gesammelt und über die Hausapotheke Medikamente für das Kinderkrankenhaus Mahamodara gekauft (die taz berichtete). Alagiyawanna wird heute nach Colombo fliegen und im Vorfeld die Formalien mit dem Zoll und dem Gesundheitsministerium regeln. „Ich muss mich vor Ort dafür einsetzen, dass alle Medikamente ins Land gelassen werden.“ Das sei nicht immer der Fall. Er habe erfahren, dass an manche Initiativen ihre Lieferungen zurückgegangen sind. Der Zoll und das Gesundheitsministerium hätten den Transport blockiert. Deshalb seien die Organisation und Absprache mit den Behörden im Land wichtig, damit die Spenden auch wirklich ihr Ziel erreichen. „Wenn ich vor Ort alles geregelt habe, nehme ich den Transport aus Berlin in Empfang und begleite ihn zu den Krankenhäusern“, erklärt Alagiyawanna. In Absprache mit den Ärzten dort will er den Bedarf an Medikamenten an die Charité durchgeben, damit sie direkt darauf reagieren und weiteres Materialien für den nächsten Transport besorgen können.
„Für eine der großen Hilfsorganisationen würde ich nie arbeiten. Die setzen ihre Gelder und Leute nicht effizient genug ein“, meint Alagiyawanna. „Durch ihre Vorschriften blockieren sie schnelle Maßnahmen im Krisengebiet.“ Mit eigenen gesammelten Spenden will er auch Einzelpersonen in Sri Lanka unterstützen.
5.000 Euro hat er in der letzten Woche aus dem Bekanntenkreis erhalten, die er in Dörfern an der Ostküste zur Soforthilfe einsetzen will. „Ich will freiwillige Helfer, Ärzte, Transporteure finanziell unterstützen. Es ist doch absurd, dass Leute nicht helfen dürfen, weil sie den einwöchigen Vorbereitungskurs nicht absolviert haben oder irgendwelche Formalien nicht erfüllen.“
Um für die Spender den Weg des Geldes nachvollziehbar zu machen, nimmt er Traveller Cheques mit und will beim Einlösen die Stellen, an die das Geld geht, eintragen. „Damit keiner denkt, ich nehme auch nur einen Cent davon für mich. Das Ticket sowie alle Kosten, die mich betreffen, trage ich selbst.“
ULRIKE LINZER
Die Psychologin
Anne Dummer leitet das DRK-Kriseninterventionsteam. Am Flughafen Tegel betreut sie Urlauber psychologisch
Sie schenkt den Menschen Zeit. Zum Zuhören oder auch zum gemeinsamen Schweigen. Genügend Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Die Berlinerin Anne Dummer ist Leiterin des Kriseninterventionsteams des DRK, das die aus der Katastrophenregion zurückkehrenden Touristen psychologisch betreut. Am Flughafen Tegel standen seit 28. Dezember die ehrenamtlichen Helfer bereit, immer, wenn ein Flug aus den Unglücksgebieten ankam. Im abgeschirmten Teil des Gebäudes konnten die Rückkehrer entscheiden, ob sie ein Gespräch wünschen. Die Mehrheit wollte so schnell wie möglich nach Hause, aber einige Berliner nehmen das Angebot dankbar an.
Berührt haben Dummer die Schilderungen eines älteren Ehepaars. Die Berliner fahren seit vielen Jahren nach Sri Lanka, haben Land und Leute lieb gewonnen. Nur durch Zufall hielten sie sich nicht im Unglücksgebiet auf. Doch auch was sie gesehen haben, hinterließ tiefe Spuren. Der Mann vergleicht die Bilder mit denen des Zweiten Weltkriegs, den er selbst noch erlebt hat. Überall liegen Tote, die Gebäude sind völlig zerstört, berichtet er. Was ist aus den Freunden geworden? Genau weiß er es nicht. Er zeigt der DRK-Helferin Fotos, die in vorigen Urlauben entstanden. So wird es nie wieder sein. Deshalb wolle er auch nie wieder nach Sri Lanka reisen.
„Das Meideverhalten ist typisch“, sagt die 46-jährige Anne Dummer. In den Gesprächen fallen immer wieder die Wörter grauenvoll und schrecklich. Der Gestank der Leichen hat sich in das Gedächtnis der Urlauber eingegraben. Die Bilder der leblosen Körper tauchen ständig vor ihrem inneren Auge auf. Indem die Touristen darüber mit den psychologisch geschulten Helfern reden, beginnen sie, das Erlebte zu verarbeiten. „Alle sagen, dass die Medien die Schrecklichkeit nicht wiedergeben können“, berichtet die Berlinerin. Zugleich berichten die Touristen beeindruckt von der unglaublichen Hilfsbereitschaft der Einheimischen, die selbst alles verloren haben.
Anne Dummer empfindet es als erfüllende Aufgabe, den Menschen hilfreich zur Seite zu stehen. Seit 15 Jahren ist die zweifache Mutter ebenso wie ihr Mann beim DRK ehrenamtlich tätig. Eigentlich arbeitet sie bei der Bahn, das Engagement von 380 Einsatzstunden jährlich fällt in ihre Freizeit. Bei Bedarf wird sie über einen Alarmempfänger für das Kriseninterventionsteam angefordert. Koordiniert werden die Einsätze vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz Noah genannt (Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe). Von dort erfolgt auch die Logistik. „Das ist für uns wichtig, damit wir uns gleich um die Menschen kümmern können“, sagt Anne Dummer. Sie lobt die gute Vorbereitung am Flughafen Tegel.
Das Kriseninterventionsteam steht so lange zur Verfügung, wie die Betroffenen es wünschen. Manchmal reicht ein Gespräch, manchmal folgen weitere Telefonate. Einige Touristen kommen auch erst Tage später aus der Unglücksregion zurück, weil sie Zeit brauchen, bevor sie sich dem Alltag in Deutschland stellen können. Bei Bedarf haben sie die Möglichkeit, sich rund um die Uhr an die DRK-Servicenummer 85 00 50 zu wenden. „Unsere Arbeit fängt nicht mit dieser Katastrophe an und hört auch nicht mit ihr auf“, sagt die Berlinerin. Sie wünscht sich, dass auch die Beachtung und Unterstützung für die vielen Helfer bleiben, wenn die Flutwelle nicht mehr so präsent ist. SONJA FRANK
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