Wir lassen lesen: Kirschbier in Kreuzberg
■ Der Hool wird zum Bildungsbürger – mit kurios kulturgespickten Fußballbüchern
Als Kroatiens Sukerman Superman die deutsche Fußballseele gedemütigt hatte, folgte große Tristesse: Etwa im Münchener Polyglott-Verlag, weil deren Reise- und Sprachführer zur WM eingestampft werden mußte. Es war ein Buch wie eine Bananenflanke: Fanverführer statt Fanführer, getragen vom pädagogischen Geist, den gemeinen Frankreichreisenden über seine Fußballpassion an die schöne Welt des Bildungsbürgertums heranzuführen.
Vorbei. Vorbei? Nein, es gibt ja noch den heimischen Balltritt. Und so ist jetzt, in Kooperation mit der Deutsche Bundesliga Marketing GmbH, der polyglotte „Reiseführer Bundesliga“ erschienen. Wie im WM-Buch finden wir auf je sechs bis zehn Seiten, bebildert mit einer Melange aus Städtehistorie, Fanbildchen und den Antlitzen der Ballbeweger, die Liga-Städte vorgestellt. Aber wie! Wesentliches ward raffiniert weggelassen: Stadtpläne mit winzigen Pfeilen, wo Stadion und Bahnhof sein könnten. Überblick? Unnötig. Hotels, Kneipen, Attraktion? Gezielte Beliebigkeit.
Beispiel Berlin: Kreuzbergs wichtigste Kneipe ist die, wo es belgisches Kirschbier vom Faß gibt. Hamburg? „Ist nicht nur die Reeperbahn.“ Gern sind Erkenntnisse grundsätzlich: Berlin etwa ist „einen Umweg wert“. In Rostock gerät man „in den Bann der großen Historie“. Nur das arme Gelsenkirchen hat als einzige Stadt gemeinerweise nichts zu bieten aus der Rubrik „sehr sehenswert“. Freiburg freut sich über „den Hausberg Schauinsland“. Warum? „Zum Ins-Land-Schauen“. Ansonsten Kulturklassik: Stadt für Stadt werden Kirchen, Klöster, Schlösser, Kathedralen, Museen und Ziesterzienserinnen- Irgendwas bejubelt wie ein Siegtreffer in letzter Minute.
Fußball als Appendix der Hochkultur: Nie mehr werden Oberstudienräte und Pensionäre allein sein in all den postgotischen Barockbasiliken und Protzpalästen der zwischenbyzantinischen Neoepochenwelt. Auch der Hool ist jetzt polyglotter Bildungsbürger. Alles ist besonders. Besonders die Menschen: „Das Publikum wie das Musikprogramm sind bunt gemischt.“ Fotos und Bildunterschriften sind Realsatire, daß der Fan immer was zu lachen hat. Sehr bunt gemischt. Beispiel: Von einem blauweiß beschalten Knappen erfährt man: „Schalke hat sehr treue Fans.“ In Duisburgs Delta-Musikpark „öffnen sich Musikbereiche, die für jeden etwas bieten“, Frankfurt ist eine „Großstadt zum Anfassen“. Nix wie hin.
Sollte man sagen, hier sind in den altbekannt altbackenen Verlagswerken ein paar Halbseiten freigeschlagen worden und linkisch recycelt um ein paar platte Fußballinfos? Und Sprachhilfen um putzige Fachfragen ergänzt? Im Frankreich- Buch hatte der Schiedsrichter statt deutscher Tomaten frankophile saucisson auf den Augen. Aus Nürnberg erfahren wir nun, daß „Rostbratwürste in Dosen beliebtes Mitbringsel“ sind. Und freuen uns auf die WM 2002. Jugend-Japanisch und Klassizistisch-Koreanisch für Hools und Hoolinnen wird sicher ein Genuß. Sprachlich, kulinarisch, kulturellisch. Bernd Müllender
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