■ Wir bauen die Hauptstadt: Die lichte Demokratie im Reichstag
Mehr als 20 Jahre nach Gründung des Deutschen Reiches verließ der Reichstag seinen provisorischen Sitz in der Preußischen Porzellanmanufaktur und bezog das Gebäude mit der Stahl-Glas-Kuppel.
Am 9. November 1918, nach Kriegsende und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, rief der Abgeordnete Philipp Scheidemann von einem Balkon des Gebäudes die Weimarer Republik aus. Für den Untergang dieser ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland steht symbolisch der Brand des Reichstags am 27. und 28. Feburar 1933. Damals wurde unter anderem der Plenarsaal zerstört. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs und die Kämpfe um das Berliner Zentrum richteten weitere Schäden am Gebäude an.
Nach dem Krieg wurden Reichstag und Brandenburger Tor bei einem Teil der Bevölkerung zum Symbol für den Willen zur Wiedervereinigung. Ende der 50er Jahre beschloß der Bundestag, den Berliner Reichstag für „parlamentarische Zwecke“ wieder aufzubauen. Nach 1972 waren aufgrund des Viermächteabkommens Sitzungen des Bundestages im Reichstagsgebäude nicht mehr gestattet.
Erst nach der Vereinigung änderte sich das: Am 20. Dezember 1990 fand im Plenarsaal des Reichstags die konstituierende Sitzung des ersten gesamten Bundestages statt. 1991 entschied der Ältestenrat, den Reichstag für Plenarsitzungen des Deutschen Bundestags zu nutzen. Doch bevor die Umbauarbeiten begannen, machten die Künstler Christo und seine Frau Jeanne-Claude das Gebäude mit ihrer Verhüllung im Sommer 1995 weltberühmt. Nach dem Ende der Kunstaktion begann die Umsetzung der architektonischen Entwürfe, wie der viel diskutierten Kuppel. Der Ältestenrat hatte sich bewußt nicht für die historische Konstruktion der Kuppel, sondern für einen neuen Entwurf des Architekten Norman Forster entschieden. Die Kuppel soll Neuanfang und Transparenz der parlamentarischen Arbeit einer modernen Demokratie im Reichstagsgebäude symbolisieren. Am 19. April wird hier die Eröffnungssitzung des Deutschen Bundestages stattfinden, und am 23. Mai wählt die Bundesvollversammlung den Bundespräsidenten.
Georg Pichler, 56 Jahre. Ich arbeite hier seit September als Schreiner und komme aus Kempten im Allgäu. Als wir hierher gekommen sind, das war schon ein Ereignis. Der Bau mit dieser Geschichte von anno dazumal.Man macht sich so seine Gedanken, was das für die Zukunft bedeutet. Aber ich finde es gut, daß Berlin jetzt Hauptstadt ist und auch viel Geld reingesteckt wird. Im Vergleich mit dem Ausland hat Deutschland in seiner Repräsentation noch viel aufzuholen. Der Reichstag soll ja international etwas darstellen. Allein die Technik ist gigantisch. Bei den Jalousien der Fenster beispielsweise muß nicht mehr Hand angelegt werden, sondern sie bewegen sich automatisch. Je nach Wärme und Lichteinfall gehen sie automatisch rauf und runter. Oder bei Rauchentwicklung öffnen sich automatisch bestimmte Fenster. Die Beleuchtung verändert sich ebenfalls, je nach Helligkeit und Dunkelheit. Die Inneneinrichtung ist nicht so mein Geschmack. Plenarsaal und Konferenzsaal sind in verschiedenen Farben lackiert. Ich arbeite an voll lackierten Akkustikplatten. Ich hätte eher Holz natur, vielleicht Buche, für angebracht gehalten. Aber wirklich beurteilen kann man die Wirkung erst, wenn alles fertig ist. Für mich symbolisiert der Reichstag Macht. Durch das vereinte Europa ist es nicht mehr möglich, daß Deutschland eine Gefahr für die Welt darstellt. Ich glaube, daß vom vereinten Deutschland eher der Friede ausgeht. Die aktuelle Diskussion um die Bezeichnung des Reichstages kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Das Gebäude hat eine jahrhundertealte Tradition. Man soll den Reichstag weiter Reichstag nennen. Es ist wunderbar, wie das Tageslicht in den Plenarsaal einfällt. Vielleicht wird das eine lichte Demokratie. Die Politiker sollen schließlich immer hellwach sein. wird fortgesetzt. Annette Rollmann
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