Winfried Kretschmann im Wahlkampf: Große Krisen im kleinen Biberach
Statt sich aggressiver Wahlkampfrhetorik zu bedienen, bilanziert Winfried Kretschmann seine Regierungszeit. Und betet für die Kanzlerin.
Der erste grüne Ministerpräsident steht zur Wiederwahl in Baden-Württemberg. Doch statt über Regionales zu sprechen, macht er die großen Krisen zum Thema. Putin und Seehofer. Flüchtlinge. Das Zugunglück in Bad Aibling. Bei solchen Ereignissen bemerke man, sagt Kretschmann, „dass sich vieles auch relativiert“. Katerstimmung am Ende der Fasnetszeit. 1200 Menschen sind in die Stadthalle von Biberach gekommen, es gibt wenig Bier, Spätzle und viel Applaus für Kretschmanns Ehefrau Gerlinde. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann spricht über „coolen Verkehr“, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindlohr über die Frauenquote der baden-württembergischen CDU die Usbekistan gleiche. Bundespolitiker fehlen in Biberach. Zufall, sagt eine Sprecherin.
Biberach, das ist eine der wenigen Baden-Württembergischen Orte, in denen die CDU bei der vergangenen Landtagswahl Stimmmen gewonnen hat, statt sie zu verlieren. Der Ort ist eine Ansage, die Grünen sticheln im schwarzen Herz des Landes gegen die CDU, seit ein paar Jahren schon. Deshalb begrüßt Kretschmann sein Publikum als „liebe oberschwäbische Landsleute“ - das ist die Grußformel eines früheren Landrats der CDU, dem Macht und Einfluss nachgesagt werden. Biberach, das ist eine oberschwäbische Stadt im Nirgendwo, die nächste Autbahnzufahrt ist 40 Minuten entfernt. Die großen Fragen sind hier zur Zeit die gleichen wie in Berlin. Politiker, sagt Kretschmann, müssten Antworten geben. „Das will ich heute tun.“
Kretschmann arbeitet sich an der Flüchtlingspolitik ab, fordert einen rationalen Humanismus. Was das ist? „Wir haben verschiedene Asylpakete zusammengeschnürrt, so werden wir das auch weiter machen“, sagt Kretschmann. Die Asylrechtsverschärfungen der letzten Monate passen zu Kretschmanns Weltsicht und zur Politik der Bundeskanzlerin, für dessen Gesundheit er manchmal bete. „Jetzt stellen sie sich mal vor, dass die Frau stürzt“, sagt Kretschmann, „welchen Regierungschef sehen sie denn in Europa, der sonst den Laden zusammen hält?“ Zusammenhalten. Das große Thema des grünen Ministerpräsidenten.
Kretschmann gibt keine Antworten
Das bröckelnde Europa sei die „Krise hinter der Krise“. AfD, Pegida, Rechtspopulisten „haben in der Geschichte Unheil über ihre Völker gebracht – und sonst gar nichts“. Doch Kretschmann hält sich fern von den tatsächlichen Antworten: Wie mit der AfD umgehen? Stimmt er zu, wenn Union und SPD weitere Staaten als „sicher“ erklären will? Wie funktioniert Integration für Hundertausende?
Baden-Württemberg ist im Wahlkampf angekommen, Kretschmann nutzt den politischen Aschermittwoch, um Bilanz zu ziehen. Die umstrittene Bildungsrefom: Teuer, aber sinnvoll. Wirtschaft im digitalen Zeitalter: In Baden-Württemberg ganz gut, aber noch lange kein Silicon Valley. Bürgerbeteiligung: S21, der Nationalpark Schwarzwald sind ein Anfang. Überhaupt, der neue Nationalpark: „Vom Herzen her das Schönste meiner Regierungszeit“.
10.000 Hektar, auf denen Natur nicht mehr dem Menschen nützt sondern für sich wächst. Und so ist Kretschmanns gute Nachricht in all den Krisen: ein Ort, von dem der Mensch die Finger lässt. Ein Urwald.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern