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Windstärke auf Sturm

■  Ron Jacobs' Buch über die Weathermen beschreibt die Geschichte eines letztlich verzweifelten Aktionismus der US-amerikanischen Stadtguerilla

„Es war nicht zu erwarten, dass sich das System änderte, wenn man mit moralischen Vorwürfen kam.“

Als Säbelrasseln der Revolution, als des Aufstands Generalprobe sollten die „Tage des Zorns“ den Mächtigen Angst einjagen. Chicago 1969: Unter dem Motto „Bring the war home“ hatten die Weathermen zur Demo gerufen. Statt Transparente hochzuhalten, sollten zehntausende dem Krieg in Vietnam zu einem physisch spürbaren Nachhall verhelfen. Tatsächlich folgten gerade einmal tausend Demonstranten dem Aufruf, und statt den Imperialismus zu erschüttern, wurde mit der Polizei Räuber und Gendarm gespielt.

Ein klarer Fehlschlag? Die Pflicht des Revolutionärs ist es, Berufsoptimist zu sein, und so diente die Pleite dazu, ein Jetzt-erst-recht zu verkünden. An einem Punkt, wo andere umgekehrt wären, beginnt die Geschichte der linksradikalen, bewaffneten Untergrundorganisation der Weathermen, die Ron Jacobs in seinem 1997 in den USA erschienenen Buch schildert: „Woher der Wind weht – Eine Geschichte des Weather Underground“, das jetzt auch in Deutschland erschienen ist, beschreibt Ziele und Stationen einer Studentenorganisation, deren Historie hierzulande in der Tat ziemlich „underground“ geblieben ist. In dieser Abwesenheit von Fakten entstand ein Mythos, der in etwa besagte, dass den Weathermen der oft anvisierte Brückenschlag zwischen Popkultur und radikaler Politik zumindest für einige historische Sekunden gelungen sei: Das verwaschene Bild von LSD-erprobten Langhaarigen mit der Knarre im Kofferraum, Marcuse im Handschuhfach und MC 5 im Radio. Ein Bild, das sich auch als verheißungsvolle Alternative zur ebenso abgehobenen wie rigoristischen RAF lesen ließ, der weder die Hippies, noch die Punks als subkulturelle Reservearmee je so recht entsprechen wollten. Schon mit der Wahl ihres Namens verwiesen die Weathermen auf eine Zeile aus Bob Dylans „Subterranean Homesick Blues“: „You don't need a weatherman to know which way the wind blows“. Und die Windstärke stand auf Sturm, genauer gesagt auf Revolution.

Aber der Reihe nach. Das Jahr 1968 begann revolutionär, als im Januar der Goliath zu wanken schien: In Saigon gelingt nordvietnamesischen Verbänden gegen die weit überlegenen Amerikaner ein kurzzeitiger Überraschungssieg. Während im April auf die Ermordung von Martin Luther King in den von Schwarzen bewohnten Gegenden der USA gewaltsame Aufstände folgten, wird kurz darauf Frankreich durch einen Generalstreik lahmgelegt. Als sich die separatistische Vereinigung der Schwarzen, die Black Panther Party, revolutionär organisiert und bewaffnet, vollzieht sich auch im Studentenverband der „Students For A Demokratic Society“ (SDS) eine Radikalisierung und Neuorientierung. Mit dem Ausschluss der traditionslinken, marxistisch-leninistischen Strömung wendet man sich dort von der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt ab. Zwei Lager stehen sich fortan im verbliebenen SDS gegenüber: Das „Revolutionary Youth Movement“ will sich der Jugendkultur anschließen, die späteren Gründungsmitglieder der Weathermen dagegen, die Studenten Bernadine Dohrn und Mark Rudd, wollen eine weiße Organisation zur Unterstützung der Black Panthers aufbauen. Der Ruf nach Gewalt wird derweil immer lauter. Jacobs referiert diesen Impetus der Zeit mit den Worten: „Man konnte nicht erwarten, dass sich das System veränderte, weil man ihm mit moralischen Vorwürfen kam. Der Entwurf einer Alternative sollte sich aus dem entschlossenen Kampf gegen das System ergeben.“

Doch als anlässlich der besagen „Tage des Zorns“ die Massen zum Revolutionstermin nicht antreten, entscheiden sich die Weathermen, den Weg zum Umsturz im Untergrund zu gehen. Während die US-Regierung in Vietnam die Flächenbombardements ausweitet, beginnt für die Weathermen ab 1970 eine rund zehn Jahre währende Geschichte der Bombenanschläge, der Verhaftungen von Mitgliedern, der Prozesse und Befreiungsaktionen, der Spaltungen und Ausschlüsse und schließlich ab 1980 eine Phase der Ausstiege und Geständnisse.

Auf der Grundlage von Positionspapieren der Weathermen, Kommentaren aus der US-Untergrundpresse, Aussagen von FBI-Agenten und Interviews mit Zeitzeugen schildert Jacobs einen immer verzweifelter werdenden Versuch, ein richtiges Revolutionärsleben in einer falschen Welt zu leben. Immer wieder wenden sich die Weathermen der Jugendkultur zu, um diese im nächsten Schritt zu verwerfen. Der Kampf der Hippies findet nicht auf den etablierten Feldern politischer Vereinnahmung statt, heißt es zunächst. Dann folgt das Gegenargument: Zu eskapistisch seien sie, zu sehr an individualistischen Heilslehren orientiert und gleichzeitig von einer Musikindustrie umgarnt, die sich nicht selten als Unterabteilung einer großen Rüstungsfirma erweist. Selbst die Black Panthers entsprechen irgendwann nicht mehr dem, was Jacobs als „revolutionären Purismus“ bezeichnet.

Jacobs' Geschichte aus dem Untergrund folgt keinem zuvor gefällten Urteil, will weder Heldenhistorie noch Abrechnung sein. So hält er ihren entschiedenen Antirassismus und Antipatriarchalismus, ihre Freizügigkeit in Drogenfragen für wegweisend. Ihren elitären Grundzug, der sie zunächst dazu brachte, sich gegen die Arbeiterklasse zu stellen und mit wenigen Getreuen das revolutionäre Ganze durchzufechten, beschreibt er mit Befremden. Für Jacobs beschreiben ihre Aktionen, Positionen und Koalitionen nicht nur die Grenzen einer revolutionären Avantgarde ohne Subjekt, sie waren auch wie ein verdichtender Laborversuch, in dem das Spektrum vieler linker Positionen zwischen Reformismus und Revolution durchlebt wurde.

An einer Stelle seines Buch stellt Jacobs fest, dass das Interesse der Weathermen an politischer Theorie eher gering war. Dies gilt durchaus auch für seine eigene Analyse. Das ideologische Gepäck der Weathermen, die Theorien von Herbert Marcuse oder Regis Debrays Ausführungen zum Guerillakrieg, werden lediglich angedeutet. Eine ideengeschichtliche Untersuchung von Guerillatheorien, wie sie der Politologe Herfried Münkler einst in „Der Partisan“ zusammenfasste, wird gar nicht erst versucht, zu sehr klebt Jacobs am Gegenstand. Andererseits treibt er das Konkretisierende seiner Erzählung nicht so weit wie Stefan Aust, dessen personalisierende und drehbuchhafte Nahbetrachtungen im „Baader-Meinhof-Komplex“ immer auch gelungenes Entertainment waren.

Auch wenn Jacobs manchmal dazu neigt, im Stile universitärer Abschlussarbeiten vorgefundene Dokumente in trockene Faktenketten zu legen, so gelingt ihm doch eine Geschichte, die einen ebenso auftrumpfenden wie verzweifelten Aktionismus schlüssig porträtiert. Die Geschichte der Weathermen erscheint damit wie eine unbewusste Spätfolge jener antikommunistischen Säuberungen, die unter Präsident Truman 1947 begannen und spätestens seit McCarthy dafür sorgten, dass im politischen Mainstream der USA auch die vorsichtigsten Versuche einer linken Politik als kommunistische Subversion gebrandmarkt werden konnten. In dem so entstandenen Klima fand schließlich eine außenpolitische Rhetorik Gehör, die die USA dann nach Vietnam führen sollte. Mit der Erhebung der Weathermen sollte das Pendel zurückschlagen: Es wurde ein Schlag ins Leere. Nils Michaelis

Ron Jacobs: „Woher der Wind weht – Eine Geschichte des Weather Underground“. Berlin; ID Verlag; 1999. Aus dem Englischen von Hans Kittel

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