Wim Wenders über Tanz auf der Leinwand: "Trauer in Energie umwandeln"
Wim Wenders "Pina", auf der Berlinale außer Konkurrenz, ist eine Hommage an die Choreografin Pina Bausch. Ein Gespräch mit dem Regisseur über 3-D, Trauer und Wuppertal.
taz: Tanzen Sie gern, Herr Wenders?
Wim Wenders: Oh ja. Auf Partys, richtig gerne, auch bis zur völligen Durchnässung.
Seit 20 Jahren kannten Sie die Choreografin Pina Bausch. Warum kam es erst jetzt zu einem Film?
Wir haben jahrelang drüber geredet. Ich hätte auch jederzeit alles stehen und liegen lassen, um den Film zu machen, wenn ich nur gewusst hätte, wie. Wie man es besser machen konnte als herkömmliche Bühnenaufzeichnungen. Eine ständige Sorge von Pina war: Wie man ihre Tanzstücke so aufheben könnte, dass sie auch außerhalb der Aufführungen weiter existieren könnten. Sie konnte nicht mehr ihr ganzes Repertoire aufführen und jedes Jahr noch ein neues Stück dazu machen. Das wurde eine große Last in ihrem Leben.
Der Film war also noch zu Lebzeiten von Pina Bausch gedacht als ein Ort, ihre Stücke lebendig zu halten?
Unter anderem. Die vier Choreografien, die in "Pina" in Ausschnitten zu sehen sind, "Le Sacre du Printemps", "Café Müller", "Kontakthof" und "Vollmond", hat Pina deswegen für den Dreh auf den Spielplan für 2009 gesetzt. Und die haben wir auch alle so gefilmt, dass es die in Gänze geben kann.
War die 3-D-Technik für Sie entscheidend in dem Prozess, den Film doch zu machen?
Den ersten 3-D-Film, den ich in der neuen digitalen Technik aufgenommen gesehen habe, das war 2007 "U2 in 3D", ein Konzertfilm. Der wurde in Cannes vorgestellt, als eine Attraktion. Noch aus dem Kinosaal raus habe ich Pina angerufen und gesagt: "Jetzt weiß ich, wie es gehen könnte!"
geboren 1945 in Düsseldorf, Filmstudium in München.
Filme (Auswahl): "Alice in den Städten" (1973/74), "Paris, Texas" (1983/84), "Der Himmel über Berlin" (1986/87).
Weshalb?
Das Element, was mir bis dahin gefehlt hat, ist der Raum - der ist im Tanztheater wichtiger als in jeder anderen Kunst. Da geht es auch um den Raum zwischen den Menschen, mit jeder Geste, jedem Schritt wird der Raum auch erobert. Das Kino konnte Raum nur simulieren, mit tausend Tricks, oder uns vergessen lassen, dass es den Raum nicht beherrscht.
Aber sehen konnte Pina Bausch ihre Arbeit mit der neuen Technik nicht mehr.
Ein paar Tage vor den ersten Testaufnahmen mit ihren Tänzern ist Pina Bausch gestorben, von einem Tag auf den anderen. Natürlich haben wir alles abgeblasen. Der Film, den wir zusammen machen wollten, den konnte es nicht mehr geben. Sie hat 3-D also nie selbst gesehen, nur von mir davon vorgeschwärmt bekommen und meine Begeisterung lächelnd zur Kenntnis genommen. Sie hat auch noch Alain Derobe getroffen, unseren Stereografen.
Auf mich wirkt die 3-D-Technik teilweise, als wäre man selber mit der Tarnkappe zwischen den Tänzern unterwegs - das ist eine surreale Illusion, so erlebe ich Tanz als Zuschauer nie. Das ist für mich nicht der Stein der Weisen. Aber mich hat an "Pina" sehr beeindruckt, dass die Choreografien, die Sie zusammen mit Pina Bausch ausgewählt haben, zu einer Form des Requiems für die Choreografin werden.
In dieser Arbeit, die der Film leistet, mit der Trauer umzugehen, da ist Pina vielleicht auch am meisten anwesend. Wenn man ihre Arbeiten kennt, dann weiß man auch, dass sie in den schwersten Zeiten ihres Lebens, da, wo es ans Eingemachte ging, ihre lustigsten und leichtesten Stücke entwickelt hat. Ihre eigene Anstrengung, mit Trauer umzugehen, war: ihr etwas entgegenzusetzen. Dass man sich ihr nicht hingibt, nicht ihr Opfer wird, sondern ganz im Gegenteil die Trauer umwandelt in andere Energie.
Jeder Tänzer aus dem Ensemble erinnert sich vor Ihrer Kamera, was Pina für ihn bedeutet hat. Viele der jüngeren Tänzen hüten einen einzigen Satz von ihr wie einen Schatz, weil Pina Bausch kaum mit ihnen geredet hat. Eigentlich bekommt man da ein erschreckendes Bild von der Einsamkeit einzelner Tänzer und auch von der Einsamkeit der Choreografin. Trotzdem ist der Ton immer einer der Bewunderung, Pina Bausch wird so fast heiliggesprochen. Gab es keine Möglichkeit, den arbeitenden und kämpfenden Mensch Pina Bausch auch in seinem ambivalenten Verhältnis zum Ensemble darzustellen?
Wenn die Tänzer einen kritischen Abstand gewollt oder gezeigt hätten, hätte ich ihnen den durchaus gegeben. Aber da war keiner, der sich über das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein, beklagt hat. Vor Pinas Blick war zwar jeder auf sich allein gestellt, aber letzten Endes hat diese Methode auch all diese Menschen weitergebracht. Keiner sagte: "Das war auch Schinderei." Schinderei ist ja ohnehin die landläufige Meinung von der Tanzwelt, auch das schnellste Vorurteil. Das sieht man in "Black Swan". Aber die Zuneigung, die ihr Ensemble zu Pina hatte, und umgekehrt, das habe ich nicht aufgesetzt. Wenn jemand eines Tages einen biografischen Film über Pina Bausch macht, dann wird es bestimmt auch, wie Sie sagen, um den arbeitenden und kämpfenden Menschen Pina Bausch gehen.
Die Frage nach der Erinnerung an Pina Bausch beantworten die Tänzer auch mit Solos und Duos, die sie im Raum der Stadt oder im Bergischen Land tanzen.
Ich habe Pinas Arbeitsmethode weitergeführt, da ich sie selber ja nichts mehr fragen konnte. Also habe ich meine Fragen an die Tänzer gestellt, und sie antworteten mir, wie sie es von Pina kannten: mit Bewegung und Tanz. Wir haben das Theater auch verlassen und uns tolle Spielräume in Wuppertal und dem Umland gesucht; den Skulpturenpark, die Zeche Zollverein, einen Tunnel mit Graffitis. So konnte ich Pinas Abwesenheit mit etwas anderem füllen.
Warum sieht die Stadt Wuppertal in dem Film so außerordentlich geputzt aus?
Dass Wuppertal keine "Sonntagsstadt" ist, hat Pina oft beteuert. Aber auf eine mysteriöse Art und Weise schien an jedem unserer Drehtage in der Stadt die Sonne. Es war unfassbar, Wuppertal ist sonst eher verregnet. Kaum haben wir gedreht, schien die Sonne. Auch als wir mit den Tänzern über die Halde Haniel zogen, wo es ja aussieht wie auf dem Mond, ging die Sonne am Horizont unter. Ob Pina da dran geschraubt hat? Ich weiß es nicht.
"Pina": 13.2. 19.30 Uhr Berlinale-Palast, 14.2. 14.30 Uhr und 22 Uhr Urania, 18.2. 17.30 Uhr Urania.
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