Wiener Streetfood mit Tradition: Es geht um die Würstel
Wiens Würstelstände sind Touristen-Attraktion, Kulturgut, sozialer Melting Pot – und in die Jahre gekommen. Doch es gibt neue Konzepte.
„Gibst mir a Haaße, a paar Glasaugerl, an Oaschpfeiferl und a 16er-Blech.“ Eine Bestellung an einem klassischen Wiener Würstelstand klinge gern mal „ein bisschen wilder“, sagt Sebastian Neuschler. Burenwurst, Silberzwiebeln, Pfefferoni und Bier gibt es auch bei ihm, dem Mann, der – so schrieb es die Lokalpresse – den Würstelstand revolutioniert habe.
„Da hab ich gleich wieder meine Watschn gekriegt von den Wienern“, sagt der 39-Jährige und lacht herzhaft. Die Watschn gab es eh, weil Neuschler gebürtiger Salzburger ist. Und auch, weil er neben den traditionellen Klassikern auch Calamari fritti, Beef Tatar und Trüffelpommes serviert.
Ende 2021 eröffnete der ehemalige Haubenkoch mit seinem Geschäftspartner „Alles Wurscht“, einen Würstelstand, „der ein bissl anders lauft“. Heißt: kein Billigfleisch im Kunstdarm, kein „Styroporbrot“. Stattdessen: Wurst von kleinen Metzgern. Selbst gemachte Soßen und Fermentiertes. Sauerteigbrot und eigens kreierte Miso-Weckerl, die beim Toasten leicht karamellisieren. Weil ihm Nachhaltigkeit wichtig ist, hat Neuschler auch das traditionelle 16er-Blech verbannt, das Dosenbier der Ottakringer Brauerei aus dem 16. Bezirk. „Dafür bekommens dann halt ein Bier vom Fass.“
Im diesjährigen Ranking des österreichischen Gourmetmagazin Falstaff zum beliebtesten Würstelstand landete „Alles Wurscht“ auf dem ersten Platz. Es sei nicht nur Angebot und Qualität, sagt ein Stammgast. Mindestens genauso wichtig: die Leute, die hinter der Theke stehen. „Oft ist da kein Schmäh, kein Socializing, kein blöder Spruch. Da kann ich auch zu McDonald’s gehen.“ Grillmeister Daniel Steinthaler macht vor, wie es geht: „Ich hätte gerne das Beef Tatar und eine Flasche Champagner,“ sagt eine elegante Frau in Abendkleid, die mit ihren Freundinnen zum Stand gekommen ist. „Sehr gerne, die Dame. Und was trinken die anderen?“
Vor der Wurst sind alle gleich
Der Würstelstand ist eine Wiener Institution. Er stillt den schnellen Hunger, das Bedürfnis nach sozialem Austausch und die touristische Sehnsucht nach authentischen Reiseerlebnissen. Und, darauf ist man besonders stolz, er bringt alle gesellschaftlichen Schichten zusammen. Job, Kleidung, Herkunft: „Am Ende des Tages ist jeder gleich“, sagt Sebastian Neuschler. „Jeder steht in der Schlange, jeder kriegt ein Würstel, jeder ist per du.“
Trotz ihrer viel gepriesenen sozialen und kulturellen Bedeutung hat sich die Zahl der Stände seit 2010 mehr als halbiert, auf weniger als 300 Stände. Zu viel Tradition, zu wenig Innovation sei der Grund, sagt Michael Lanner. Und ein immer gleiches Angebot, zubereitet von schlecht bezahlten Mitarbeitenden, in einer Qualität, die oft zu wünschen übrig lasse. Da sei es kein Wunder, dass viele Würstelstände von Kebab- und Pizzaimbissen abgelöst wurden. Seit einiger Zeit aber gibt es immer mehr Köche und Quereinsteiger, die der angestaubten Institution zu neuem Glanz verhelfen wollen.
Michael Lanner und sein Partner waren 2019 die Ersten, die ganz auf Qualität und Nachhaltigkeit setzten. Ihr „Wiener Würstelstand“ ist bis heute der einzig biozertifizierte. Eine „diebische Freude“ habe er, wenn er Leute mit Events wie dem von Blasmusik und Drag-Performance begleitetem Frühschoppen „ein wenig verschrecken“ kann. Und die gute alte Burenwurst – die haben sie bald aus dem Sortiment genommen. Deftig, grob gewolft, ab und an ein Knorpel. „Das ist der heutige Gaumen nicht mehr gewohnt.“
Der Würstelstand als „Soziale-Nähe-Versorger“
Lanner kommt aus der Werbebranche, ins Würstelbusiness wechselte er, weil ihn „die soziale Idee“ interessierte. „Der Würschtler ist für mich a bissl der Grätzel-Concierge.“ Ein Anlaufpunkt im Viertel. „Würstelnahversorger“, aber vor allem auch „Soziale-Nähe-Versorger“. Wer mit Michael Lanner und Sebastian Neuschler spricht, muss Zeit mitbringen. Ein Gruß hier, ein kurzer Plausch da. „Ja grüß dich, wie geht’s? Servus, ciao, Baba.“ Ein Dorf in der Stadt.
„Das Würstelstandel ist Kulturgut“, sagt ein Gast. „So wie der grantige Kellner. Es gehört uns.“ Welch hohen Stellenwert sie in Wien genießen, zeigt sich auch an der Gewerbeordnung: Imbisse müssen um 24 Uhr schließen – nur jene, die „vom Erscheinungsbild her als Würstelstand ausgeübt“ werden, dürfen bis 4 Uhr geöffnet bleiben.
Ausgerechnet die in Salzburg erfundene Bosna ist seit einiger Zeit der neue Star an Wiens Würstelständen. Zwei dünne Bratwürste im getoasteten Weißbrot, obendrauf Senf, Petersilienzwiebeln und Curry. „Bei uns mit selbst gemixtem Bosna Marsala. Das ist unser Bestseller“, sagt Lanner. Ebenfalls beliebt am „Wiener Würstelstand“: Käsekrainer („Eitrige“ im Würsteljargon) und Specials wie der Bologna-Hotdog mit Fenchelsalsiccia, Raclettekäse, Rucola und Oliventapenade. Auf Platz zwei aber liegt die vegane Wurst aus Austernpilzen. Denn auch am Würstelstand werden Tierwohl und Nachhaltigkeit wichtiger.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Seit Kurzem gibt es mit „Eh Wurst“ gar den ersten voll veganen Würstelstand – wobei es streng architektonisch betrachtet kein Stand, sondern eine freistehende Hütte ist, weshalb Inhaber Raphael Rosdobutko sein Geschäft Würstelbar nennt. Auch Rosdobutko ist Quereinsteiger. Vor Corona arbeitete er als DJ, nun grillt er – sehr erfolgreich – Pilz-Bosna, Bratwurst aus Sojaprotein und Currywurst aus Seitan.
Selbst der älteste Stand der Stadt setzt auf Veganes
Dass auch sie irgendwann mal ein veganes Würstchen auf den Grill legen würde, hätte sich Vera Tondl zu Beginn ihrer Würstelkarriere hingegen nicht träumen lassen. 1992 übernahm sie den Stand, den ihr Großvater Leopold 1928 gegründet hat. Von seinem mobilen Wagen – fixe Buden gab es erst ab den 1960er Jahren – verkaufte er Frankfurter, rauchige Waldviertler und Burenwurst in Meterware: Der Preis wurde nach Zentimetern berechnet.
Heute gilt der „Würstelstand Leo“ als ältester der Stadt. Die Haaße gibt es dort noch immer, aufgrund der stark gestiegenen Gästezahlen allerdings vorportioniert. Den Vorschlag, auch Döner zu verkaufen, hat Vera Tondl abgelehnt – „Ich bleib beim Wiener Angebot!“ – eine vegane Bosna aber hat auch sie mittlerweile im Sortiment. Wer nicht mit der Zeit gehe, verschwinde irgendwann. Der Renner seien die neuen Gourmet-Hot-Dogs mit Salat, Avocado und allerlei Soßen.
Sie selbst mag es klassisch: „Ich esse immer dasselbe: Einspänner. Ein Frankfurter mit süßem Senf und Brot.“ Und die Konkurrenz? „Ich ess sie leider alle viel zu gerne, ich habe schon bissl zugenommen!“, klagt Michael Lanner. Deswegen isst Sebastian Neuschler derzeit gern die vegane Bosna. „Das darfst aber net schreiben, sonst krieg ich gleich einen auf den Deckel.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid