Wiener Festwochen mit Cate Blancett: Lasst uns Cate schaun
Ein Missverständnis: Die Wiener Festwochen setzen mit der Starbesetzung von Cate Blanchett in Botho Strauß „Groß und klein“ lediglich auf den Glamourfaktor mit Mehrwert.
Die Hauptstadt Wien darf endlich wie das provinzielle Salzburg werden – die Festwochen setzen mit Cate Blanchett in „Groß und klein“ auf Glamourfaktor mit künstlerischem Mehrwert. Die Sache mit Botho Strauß war eher ein Missverständnis.
Die kleinen Schreibblöcke sind gezückt, die Blitzgeräte geladen. Eine Tür öffnet sich, murmelnd und schreiend zugleich stürzt die Reportertraube los und richtet Mikrofone wie Pistolenläufe auf den, der da kommt und ins Licht tritt. Eine hagere, androgyne Gestalt mit schwarzem Anzug, Wuschelkopf und dicker Sonnenbrille wehrt mit durch Pillen verzögerten Gesten die blendende Helligkeit vergebens ab und flüchtet in die bereitstehende Limousine.
Cate Blanchett spielt den jungen Bob Dylan während der Englandtournee von 1965, auf dem Höhepunkt seines Ruhms und einer neuen Weltaneignung durch Dichtung, die zunehmend mit ebenjenem Ruhm in Konflikt gerät. In dieser Schwarz-Weiß-Miniatur aus Todd Haynes’ Film „I’m Not There“ (2007) schlägt die Sehnsucht einer Gesellschaft nach einer Kunst, die sie noch nicht versteht, unvermittelt in eine zerstörerische Gier nach Bildern und „authentischen Statements“ um, die die reale Person zu verschlingen droht.
Diese Sequenz gehört zu den irritierenden und berührenden Momenten der jüngeren Filmgeschichte. Solche Momente häufen sich um Name und Person von Cate Blanchett, man sieht sie derzeit in Wiens größtem Programmkino, dem Gartenbau. Motiviert ist diese Personalie allerdings durch anderen Faktoren. Cate Blanchett spielt Theater, „Groß und klein“ von Botho Strauß oder besser gesagt „Big and small“ in der Weiterverarbeitung des britischen Regisseurs Martin Crimp.
Und hätte diese Lotte, die Blanchett über zweieinhalb Stunden in der ersten großen Aufführung der Wiener Festwochen in den heiligen Hallen des örtlichen Museumsquartiers gibt, etwas von dem reduzierten Spiel, von der aus aller Welt gefallenden Zerbrechlichkeit ihrer Dylan-Rolle, es wäre ein vielleicht nicht ganz so bejubelter, aber dafür um so großartigerer Abend geworden.
Epochen mit einem Blick
Und doch hatte die ganze Unternehmung nicht wenig mit jener kleinen Filmszene zu tun. Seit Tagen kreisten die Boulevardgeier über Wien, darauf lauernd, dass endlich die Göttliche, die man bislang nur in unendlichen Agenturstrecken auf dem Leuchttisch der Layouter liegend kennt, aus dem Olymp steigt und auf Erden wandelt. Das tat sie dann auch. Sie ging mit ihren Kindern am helllichten Tag im Museumsquartier spazieren, einfach so. Das war beinahe schon ein Skandal.
Die Oscar-Preisträgerin gebe den Society-Reportern Rätsel auf hieß es prompt im Wiener Kurier. Auch wenn Frau Blanchett am Premierentag vermutlich so wenig glamouröse Dinge tat wie Text wiederholen, ließ sich die Wiener Gesellschaft das „Cate-Schaun“ nicht nehmen. Der Erfolg war rauschend, und wenn es auf der Bühne von Johannes Schütz einen Vorhang gegeben hätte, wäre er mindestens so oft auf- und zugezogen worden wie ein paar hundert Meter weiter in der Oper.
Die Schauspielerin, deren minimalistisches Spiel im Kino mit einem Blick ganze Epochen, gesellschaftliche Haltungen und Bewusstseinszustände wachrufen kann, hat auf der Bühne ein Maximalprogramm hingelegt, eine große Etüde, die gesamte Schauspielerinnenklaviatur mehrmals rauf und runter. Und immer dieses lang gezogene „Amazing!“ ihres mächtigen Tragödinnen-Alts, in das Martin Crimp Lottes zarte Regungen des Erstaunens, Entzückens und Befragens übersetzt hat.
Talentproben-Abnahme
Es macht benommen und scheint die Kritik in Rage versetzt zu haben. Blanchett „glänzt“, „brilliert“ gleich in zwei Zeitungen, wird zum „Bühnenereignis“, ist „fantastisch“ oder macht „unendlich Spaß“. Das Ganze ist eine Virtuosenübung, die – so der einsame Kritiker der FAZ – „ans Auge, nicht ans Herz geht“.
Eine reflektierte Künstlerin wie Blanchett hätte es verdient gehabt, nach ihren Intentionen befragt zu werden. Stattdessen nimmt das Wiener Publikum lediglich die Talentprobe ab, was bei einer Schauspielerin mit diesen Referenzen eigentlich vermessen ist, auch wenn dann gejubelt wird. Es war einmal eine bürgerliche Gesellschaft, die ganz und gar in die Mühen der Selbsterhaltung verstrickt war. Lotte, der Name ist Programm, scheitert, weil sie deren Maximen beim Wort nimmt. „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt“, hat ein österreichischer Kanzler einmal zu Protokoll gegeben. Martin Crimp hat aus alledem Schauspielerfutter konfektioniert. Ein Missverständnis.
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