Wiener Festwochen 2011: No fun in Tokio
Bei den Wiener Festwochen liefern zwei Beiträge aus Japan bedrückende Befunde aus der Zukunft des Neoliberalismus.
Revoltieren, aber wie? Das fragt sich der bestenfalls nur metaphysisch obdachlos gewordene Angestellte, nachdem er zwischen den Pappwänden eines "Kabinen-Kinos" Zuflucht gefunden hat. Die werden neuerdings von Videoläden und Fastfoodfilialen in japanischen Großstädten bereitgestellt. Hier wird ein noch ungewohntes Gesellschaftsphänomen diskret verpackt. Aus der Firma Japan kann man herausfallen, auch wenn man loyal und fleißig ist, und sogar obdachlos werden dabei.
Nein, das mit der Revolte geht wirklich nicht in diesen Menschenschachteln mit Breitbandanschluss und Kleenex-Schachtel für alle Fälle, noch nicht einmal die Standardklage über den Sozialabbau. Wände, die kein Räuspern aufhalten, hindern daran, das Scheitern in Serie als kollektive Erfahrung zu vermitteln.
Feuer in der Kinokabine
Es bleibt die Implosion, der irrationale individuelle Akt. 2008 hatte in Osaka ein Kabineninsasse versucht, sich selbst zu verbrennen, und floh doch noch im letzten Moment, während 16 andere daran starben. Das war ein Fanal für Akira Takayama, der mit seiner Installation "Compartment City" darauf reagierte, die er in diesem Jahr bei den Wiener Festwochen zeigt. Der geneigte Besucher darf mitten auf dem Karlsplatz, einer sehr geschäftigen, aber nicht wirklich guten Adresse Wiens, die Schuhe ausziehen und mit sich alleine Videos anschauen. Der Verfasser hatte die immerhin gepolsterte Paarkabine, eine Kollegin krümmte sich auf einer Massagematte, einem anderen Kollegen war ein Chefsessel als Bonus zugeteilt.
Die Videos führen nicht heraus, sondern geradewegs zurück ins Hier und Jetzt. Es sind Kurzinterviews mit Karlsplatzpassanten und ihren Antipoden auf einem ähnlichen Platz in Tokio. Die Antworten überraschen durch ihre Ähnlichkeiten. Unterschiede gibt es wohl, bei der Frage nach der Frühstücksration und bei politischen Themen. Tokio zeigt hier eher Zurückhaltung und verlegenes Lächeln, der Wienmensch, ganz gleich woher er kommt, hat zu allem eine Meinung. Wutbürgerei, Individualismus, Grünwählen und liberaler Common Sense gehören zum Markenkern des zentraleuropäischen Marktteilnehmers.
Aber kann man das schon als politische Haltung deuten, gegen die man einen apolitischen Konformismus der Japaner behaupten kann? Jene rätselhafte Ameisenhaftigkeit, von der uns zuletzt die Katastrophenkorrespondenten knietief watend in ihren kulturalistischen Vorurteilen berichtet haben, findet man in Takayamas Arbeit jedenfalls nicht. Nur den Mangel an Lebenserfüllung durch Konsum bei der gleichzeitigen Angst vor dem Verlust der Konsumfähigkeit.
Man kennt das alles, aber es findet eine Verschiebung auf der Zeitachse statt. Takayama dreht das Motiv der Dystopie vom künftigen Leben in der verwalteten Welt nur weiter. Der "Bildschirm vorm Schädel", wie es Heiner Müller in "Germania 3" nannte, bleibt, aber das mit den "Fickzellen mit Fernheizung" muss neu gedacht werden. Im gesellschaftlichen Experiment, mit wie wenig ein Mensch auskommen kann, ohne zu rebellieren oder erst recht nicht zu rebellieren, hat das japanische Setting aber nur knapp die Nase vorne. Von Herrn Sarrazins Menüempfehlungen für Hartz-IV-Empfänger - Kartoffelbrei aus der Tüte - zur Maissuppe aus dem Automaten um 200 Yen fehlt nicht viel.
Leben unter der Glasglocke
Vor der Katastrophe, vor der die Produktion erdacht wurde, ist nach der Katastrophe, auch die letzte Zuflucht muss evakuiert werden. Durch die Karlsplatz-Passage, einem Monument real-sozialdemokratischer Architektur der 70er Jahre, in dem sich die letzten Junkies vor der Sonne schützen, die es noch in kein Substitutionsprogramm geschafft haben, führt der Fluchtweg vorbei an der Oper über die mondäne Ringstraße zum puffigen Encounter in eine Kellerbar. Das Theater simuliert Separée und Beichtstuhl zugleich und adressiert die Sphäre des Privaten noch einmal im Moment ihres Verschwindens.
Fünf Städtebewohner unter imaginierten Glasglocken zeigt die durchweg kluge Performance von Toshiki Okada, die mit "The Sonic Life of a Giant Tortoise" die Schaulust der Wiener irritiert. Thirty Somethings, wie sie durch jede Großstadt der entwickelten Welt treiben und über all irgendwie gleich aussehen. Eine Choreografie, die individuelle Stereotype immer wieder in wechselnden Tableaus vereint und verlangsamt, in der Körper einander kaum berühren.
Affektreduktion dient hier der Mentalitäts- und Gesellschaftsanalyse mit Berichten von depressiven Traumerinnerungen und dem Wunsch, zu reisen, als verdecktem Wunsch, überhaupt Wünsche zu haben. Im Alltag bestehen, sich anpassen, ja, aber wozu? Das Tokioter U-Bahn-System ist ein ständiger Zug nach nirgendwo, in dem sich eine japanische Version von Botho Strauß Lotte dreißig Jahre später schon mal verirrt. Geh in einen Club, sagten sie ihr, da erlebst du was, sagten sie. Am Ende steht die Tristesse der Chillout-Zone. Der einzige Triumph: es ohnehin gewusst zu haben. No fun in Tokio.
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