Wiener Festival „ImpulsTanz“: Tanz mit dem Vorschlaghammer

Reduzierte Bildsprache: Die Choreografen Akram Khan und Mathilde Monnier nutzen Elemente des Cartoons, um die Körpersprache zu erweitern.

Gewollt selbstbezüglich: das Tanzprojekt von Mathilde Monnier. Bild: Karolina Miernik

Der Schweiß glänzt auf dem nackten Oberkörper und die Gelenke schmerzen mit der Zeit. Davon zeugt jedenfalls eine kaum merkliche, wegwerfende Bewegung mit der rechten Hand. Dann holt Akram Khan wieder aus und lässt den Vorschlaghammer beidhändig von hinten über den Kopf hinweg auf den Bühnenboden krachen. Der harte Metallklang würde wohl auch ohne Tonabnehmer in der Aufschlagfläche noch den letzten Logenschläfer im Wiener Burgtheater wieder in die Mitte seines Daseins zurückrufen.

Die Arbeit des Tänzers ist für diesen Moment einmal nicht in der scheinbaren Leichtigkeit einer virtuosen Form verborgen, auch wenn Akram Khan in seinem Solostück „Desh“ über gut 80 Minuten mit der virtuosen Formierung seines Körpers nicht gerade geizt. Die Arbeit des Tänzers ist vielmehr das Thema des ganzen Stücks. Genauer das bislang akkumulierte Lebensarbeitspensum, das den Tänzer oder den Choreografen erst als solchen hervorbringt.

„Desh“ ist nicht nur die autobiografische Rückschau des britischen Choreografen mit Wurzeln in Bangladesch oder die zarte Hommage an sein Herkunftsland, sondern auch die Selbstanalyse des tänzerischen Vermögens mit den Mitteln des Tanzes.

Khan sucht immer wieder Formen, die die Spuren der materiellen Wirklichkeit, der sie abgerungen sind, in sich aufnehmen. Das gelingt ihm nicht zuletzt dadurch, dass er den tanzenden Körper auf verblüffende Weise mit Bildern in Verbindung bringt. Ein paar Farbstriche auf dem kahlen Kopf lassen den eigenen Körper zum Figurentheater werden, in dem Khan seine Kindheits- und Familiengeschichte wie in einem Stegreifspiel zuspitzt.

Der leidvolle Kampf um Unabhängigkeit

Tim Yip, sein Szenenbildner, fasst die politische Geschichte Bangladeschs in wenigen Skizzen zusammen, mit denen Khan den leidvollen Kampf um die Unabhängigkeit des Landes und den Kampf ums Überleben seiner Bewohner noch einmal zum Tanzen bringen kann.

Eine sehr poetische Sequenz entführt den Körper in mythologische Gefilde – er wandelt dann in einem Bild, das auf einen halbdurchlässigen Vorhang vor der Bühne projiziert wird. Die reduzierte Bildsprache, die Khan und Yip gefunden haben, ist einfach, aber nie kitschig.

Sie provoziert das Schauen weit mehr als dass sie eine abgeschlossene Sicht von der Welt abgibt. Akram Khan gelingt in dieser Verbindung, dem Tanz Formen des Erzählens nutzbar zu machen, in denen der Tanz nicht als bloße Illustration hinter das Erzählte zurücktritt.

Kultur der Selbstermächtigung

Das kulturübergreifende Verständigungspotenzial der reduzierten Bildsprache der Cartoons versucht auch die französische Choreografin Mathilde Monnier für ihre Arbeit produktiv zu machen. Ihre in Wien uraufgeführte Arbeit „Qu’est-ce qui nous arrive?!? – „Was ist los mit uns?!?“ entwirft sich zunächst als ein Stück kultureller Selbstermächtigung. Sie bringt 21 junge Erwachsene im Wiener Odeon auf die Bühne, die sie wenige Wochen zuvor in Wien ausdrücklich als Nichttänzer gecastet hatte.

Einzeln wie im Ensemble treten sie auf offener Bühne vor, tanzen und singen manchmal auch, durchaus mit Vorbildung und Vorbildern, erzählen Geschichten in der Ich-Form, von Kindheits-, Jugend- und Körpererfahrungen.

Es ist die Recherche nach den ganz eigenen individuellen Wahrnehmungen, die die Sprecher in der Rückschau als Initiationserlebnisse für ihr späteres Tanz- oder Theaterinteresse werten. Monnier versucht auf dieser Basis ein egalitäres Verständnis von Kunstrezeption zu entwickeln und ein Selbstverständnis von RezipientInnen zu vermitteln, das nicht mehr von den bildungsbürgerlichen Gratifikations- und Zulassungsinstanzen reguliert wird.

Reminiszenz an die Geschichte des Festivals

„Was ist los mit uns?!?“ ist auch eine schöne Reminiszenz an die dreißigjährige Geschichte des Wiener ImpulsTanz-Festivals, das neben der Programmierung von Aufführungen immer auch in Kursen und Veranstaltungen Angebote zur körperlichen Selbstermächtigung durch eigene Tanzpraxis gemacht hat.

Das rückt die Formen der Partizipation auf der Bühne bei Mathilde Monnier in ein klareres Licht. Die Praxis des Mitmachtheater mag andernorts in Verruf geraten sein, weil man beispielsweise der Perfidie des Abbaus des Sozialen nicht dadurch beikommt, dass man Hartz IV auch noch der Bühne aussetzt.

Die Arbeit von Mathilde Monnier bewahrt ihre Integrität dadurch, dass die 21 nichtprofessionellen Liebenden des Tanzes ausschließlich für sich sprechen und handeln. Sie sind nicht Mittel anderer Zwecke und nicht Abbild anderer Bilder.

Gewollte Selbstbezüglichkeit

Die gewollte Selbstbezüglichkeit dieses Projekts wird nicht zuletzt durch eine zweite Ebene der Darstellung aufrecht gehalten. Der Zeichner François Olislaeger zeichnet parallel zur Aufführung mit einem einfachen Computermalprogramm.

Vor seinen projizierten Resultaten agieren die Spieler. In diesem Zusammenspiel scheint sich der Strich des Zeichners zur Geste zu verflüssigen und mit den Gesten der Körper zu interagieren. Die Einfachheit der Technik tötet jeden Ansatz zur Illusion.

Der Strich des Zeichners leitet mehr die Vorstellungskraft der ZuseherInnen, als dass er ihnen tatsächlich Bilder vorsetzt. Es sind die Spuren der Blicke, die sich erst im Kopf zusammensetzen. Nicht nur die Simplizität der Technik macht diese theatralische Versuchsanordnung so produktiv. Der Comiczeichnerei scheint die ganze Metaphysik des Tafelbildes vorzugsweise abzugehen. So ist das Bild nach dem Ende aller Bilder mittlerweile im Theater angekommen.

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