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Wieder im KinoKühler als normal

Der Filmrauschpalast feiert das Hongkong-Kino der 1980er Jahre, die Doku „Copa '71“ den Frauenfußball, das Babylon Mitte den Live-Stummfilm.

„Peking Opera Blues“ (1986), Regie: Tsui Hark Foto: Filmrauschpalast

H atte das Hongkong-Kino der 1970er Jahre noch eher den etwas zweifelhaften Ruf als Knochenbrecher-Unterhaltung der Bahnhofskinos, kamen die Actionfilme aus Fernost ein Jahrzehnt später bereits als die große „Entdeckung“ der internationalen Filmkunst heraus, und das ganz zu Recht. Mit der Reihe „Dangerous Encounters – Hong Kong im Filmrausch“ erweist der Filmrauschpalast dem Hongkong-Kino jetzt ein Wochenende lang seine Reverenz.

Einer der bekanntesten Filme jener Zeit war „Peking Opera Blues“ von Tsui Hark: eine farbenprächtige Ausstattungsrevue zwischen Action, Melodrama und Slapstick, in der sich drei Frauen im China des Jahres 1913 zusammenfinden, um ein Dokument zu entwenden, von dem die Zukunft der Demokratie abhängt.

Selten gezeigt und jetzt in einer 35mm-Kopie zu sehen, ist der brillante Thriller „Beyond Hypothermia“ (1996) des ehemaligen John-Woo-Mitarbeiters Patrick Leung. Er erzählt die Geschichte einer im wahrsten Sinne kühlen Auftragskillerin – ihre Körpertemperatur beträgt angeblich fünf Grad Celsius weniger als normal. Als sie sich schließlich für einen netten Suppenkoch erwärmt, kann das nicht gut gehen.

Die Emotionen überwältigen sie, ihre eisblaue Welt färbt sich langsam rot, und die Distanz zu den Menschen, die bislang ihr Überleben sicherte, geht verloren. Leung inszeniert den Film als eine Mischung aus psychologischem Drama und wahnwitzigem Action-Ballett, in dem der Wechsel von Zeitlupen und rasanten Schnittfolgen die filmische Zeit nach Belieben dehnt oder beschleunigt (Peking Opera Blues, 5.9., 22 Uhr, Filmrauschpalast Open Air, Beyond Hypothermia, 7.9., 18 Uhr, Filmrauschpalast).

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Frauenfußball vor 110 000 Zuschauern in Mexiko im Jahr 1971? Klingt wie eine seltsame Fantasie und war doch eine heute kaum mehr bekannte Realität: Ein Jahr nach der Männer-WM in Mexiko dachten Geschäftsleute ganz gewinnorientiert über die Auslastung der Sportstätten nach und organisierten ein Frauenturnier mit acht Mannschaften aus Europa und Lateinamerika, das von den Zu­schaue­r:in­nen begeistert aufgenommen wurde.

Das mexikanische Fernsehen übertrug live. Das Problem (vor allem im Nachhinein): Es gab keinen Segen der FIFA und somit bestenfalls eine inoffizielle Weltmeisterschaft, die übrigens von den Däninnen gewonnen wurde.

Der britische Dokumentarfilm „Copa '71“ (2023) von Rachel Ramsay und James Erskine zeichnet das Ereignis nach, lässt viele der damaligen Teilnehmerinnen zu Wort kommen – und zeigt, wie die alten FIFA-Männer, befeuert von gängigen Vorurteilen und aus machtpolitischen Überlegungen heraus, Sportlerinnen sanktionierten und dafür sorgten, dass das Ereignis dem Vergessen anheimfiel (6.9., 18.30 Uhr, Filmkunst 66).

Vom 4. bis 14. September steht das Kino Babylon Mitte vor allem im Zeichen des 16. Stummfilm Live Festivals, das sich in diesem Jahr mit einer Auswahl von 30 Filmen dem Produktionsjahr 1925 widmet. Die Filme werden musikalisch von verschiedenen Organist:innen/Pianist:innen begleitet und können gesichtet werden, ohne dass man dafür die Geldbörse zücken muss: Eintritt frei! Lediglich die Vorstellungen mit Orchester kosten aus nachvollziehbaren Gründen Eintrittsgeld. Die Auswahl ist reichhaltig und divers und reicht von Kammerspiel bis Mega-Historienschinken und von Melodrama bis Slapstick.

Ein ebenso amüsanter wie stilvoller Film ist René Clairs Debütfilm „Paris qui dort“, in dem der französische Regisseur von der völligen Erstarrung der sonst so pulsierenden Metropole an der Seine fantasiert. Wie im Märchen von Dornröschen frieren die Menschen in ihrer augenblicklichen Bewegung ein – lediglich eine Gruppe von Flugreisenden ist nicht betroffen und macht erst mal ordentlich einen drauf. Faszinierend sind dabei vor allem die Aufnahmen vom nahezu leeren Paris mit einem ganz ungewohnten Rhythmus (9.9., 21.30 Uhr, Babylon Mitte).

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Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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