Wieczorek-Zeul über Hunger: "Wenn notwendig, müssten wir aufstocken"
Die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul fordert langfristig eine Änderung der Strukturen in den Entwicklungsländern.
taz: Frau Wieczorek-Zeul, überraschen Sie die Hungerrevolten?
HEIDEMARIE WIECZOREK-ZEUL, 65, ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Diese Woche wurde die SPD-Politikerin zur Sondergesandten der Vereinten Nationen für die UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung ernannt, die im kommenden Herbst in Doha stattfindet.
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Eigentlich nicht - vielleicht aber in dieser Deutlichkeit. Die Vernachlässigung in der landwirtschaftlichen Entwicklung in den Entwicklungsländern war abzusehen. Aber ich hoffe, dass es am Wochenende auf der Tagung von IWF und Weltbank gelungen ist, deutliche Signale zu setzen, damit Hungerkatastrophen entgegengewirkt wird.
Was soll passieren?
Als Erstes muss die akute Not der Menschen, die hungern, gelindert werden. Dafür stellen wir dem Welternährungsprogramm zusätzlich 10 Millionen Euro zur Verfügung. Darüber hinaus unterstützt die Weltbank in den Entwicklungsländern gezielt Programme für arme Menschen, vor allem in den Städten, die durch den Preisanstieg besonders leiden. Mittel- und langfristig sollten Entwicklungsländer den Anteil der landwirtschaftlichen Produktion wieder ausweiten. Indien und China sind da schon weit voran, bei einigen afrikanischen Ländern hapert es noch. Und die Wahrheit ist, dass ein Teil der afrikanischen Länder zu wenig investiert. Vor fünf Jahren haben sich die afrikanischen Länder vorgenommen, zehn Prozent der Haushalte dafür auszugeben. Da gibt es Nachholbedarf.
Gleichzeitig fließt aber nur ein geringer Teil der Entwicklungshilfe in den Agrarbereich.
Wir haben die Ausgaben für alle Aspekte in der ländlichen Entwicklung in den letzten Jahren erheblich gesteigert und stellen dafür nun 570 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Dazu gehören auch Investitionen in die Infrastruktur, zum Beispiel für Straßenbau. Denn ohne Straßen können die Produkte auch nicht zu den Märkten gebracht werden. Und die Weltbank wird ihre Mittel für die ländliche Entwicklung in Afrika südlich der Sahara von 540 auf 800 Millionen Euro steigern.
Hunger ist auch eine Frage der Landverteilung - warum wird kaum darauf hingewiesen? IWF und Weltbank zeigen lieber auf den Biosprit.
Das International Food Policy Research Institute weist darauf hin, dass bis zu 70 Prozent des Preisanstiegs bei Lebensmitteln auf den Agro-Kraftstoff-Boom zurückzuführen sind. Das kann man nicht ignorieren. Aber natürlich ist es wichtig, auch den Zugang zu Landtiteln zu ermöglichen - und Bäuerinnen und Bauern die notwendigen Finanzierungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, damit sie ihre Waren auf größeren Märkten der eigenen Region verkaufen können. Mikrokredite sind dabei ein Instrument. Und gerade Frauen müssen Zugang zu Landtiteln bekommen.
Warum wollen IWF und Weltbank die Regierungen lieber dazu bringen, für das UN-Welternährungsprogramm zu spenden, als Handelsverzerrungen abzubauen?
Es wurde explizit gefordert, die Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation zu einem Ergebnis zu bringen. Die Agrarsubventionen, die Entwicklungsländer von der landwirtschaftlichen Entwicklung abhalten, müssen beendet werden. Kurzfristig aber braucht das Welternährungsprogramm mehr Geld, sonst muss es Rationen kürzen und würden Menschen hungern.
Sie haben angekündigt, die Mittel für 2008 um 13 Millionen Euro aufzustocken. Was passiert mit dem Geld?
Die 13 Millionen Euro kommen zum jährlichen Grundbeitrag von 23 Millionen Euro hinzu. Wenn es notwendig ist, müssen wir aufstocken. Das Welternährungsprogramm kauft damit Lebensmittel, möglichst in der jeweiligen Region. Eines ist aber entscheidend: Wir dürfen nicht nur die schrecklichen Symptome bekämpfen, sondern müssen auch langfristig die Strukturen ändern.
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