Wie weiter in Frankfurt (Oder)?: Zukunft nur mit Europa
Nach dem knappen Zuschlag für Halle für das Zukunftszentrum trifft sich Frankfurt (Oder) zum kollektiven Trauern. Und richtet den Blick nach vorne.
Bis zuletzt hatte sich Frankfurt gute Chancen ausgerechnet. „Das Potential ist da“, sagt Kossack am Mittwochabend bei einer Versammlung im Blok-O, dem schicken Coworking-Space in der Frankfurter Innenstadt. Er ist einer von denen, die anderthalb Jahre an der Bewerbung gearbeitet haben.
Mit der Lage an der Oder und der Nachbarschaft zu Polen haben sie geworben. Mit der Forschung zur deutschen, polnischen und ukrainischen Transformation an der Europa-Universität Viadrina. Mit der doppelten Nachwendeerfahrung in Ostdeutschland und in Polen. „Stadt der Brückenbauer:innen“ lautete der Claim. Mit dem Zukunftszentrum, das unmittelbar an der Oder entstehen sollte, sollte der Blick nicht nur zurück auf die Wunden des Einigungsprozesses, sondern auch auf die Herausforderungen der Zukunft gerichtet werden.
Vor allem die Begründung der Jury hat in Frankfurt Kopfschütteln hervorgebracht. Als Argument gegen die Oderstadt werden die periphere Lage und die schlechte Verkehrsanbindung genannt. Die Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, Martina Weyrauch, kommentiert das auf Facebook mit den Worten: „Die Jury dachte deutsch.“
Am Rand oder mitten in Europa?
Tatsächlich ist das Argument mit der Randlage verstörend antieuropäisch. Wer bei Europa, und darum geht es beim Zentrum auch dem Titel nach, ebenfalls an Warschau und Posen denkt, sieht Frankfurt (Oder) nicht am Rand, sondern an der Mitte.
„Es ist bitter, dass es am Ende um die verkehrliche Erreichbarkeit ging“, kommentiert Alena Karaschinski, die Sprecherin des grünen Kreisverbands, die Entscheidung der Jury. Beim Treffen im Blok-O sagt sie: „Es kann doch nicht sein, dass uns die Versäumnisse der Vergangenheit nun auf die Füße fallen.“
Zur Versammlung ins Blok-O hatte Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke) eingeladen. Als die Entscheidung durchgesickert war, schrieb er auf Facebook: „Lasst uns heute und morgen trauern. Und dann stehen wir wieder auf und machen weiter. Wir sehen uns.“
Es ist voll im Foyer des Blok-O. Wer drinnen keinen Platz findet, kann die Debatte über Außenmikrofone draußen auf der Karl-Marx-Straße verfolgen. Eine Begräbnisstimmung, wie einige erwartet haben, kommt allerdings nicht auf. Frankfurt landet nicht auf dem letzten Platz – wie Berlin mit seiner Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2000 – sondern unterliegt in einem Wimpernschlagfinale. Oliver Kossack sagt es so: „Wir sind bundesweit auf der Landkarte sichtbar geworden.“
Ein kollektives Trauern schwingt dennoch bei vielen Beteiligten mit. Viadrina-Präsidentin Eva Kocher gesteht, dass sie hätte heulen können. „Es war die falsche Entscheidung.“
„Ich habe mir gedacht, es ist besser, zusammenzukommen, als allein zu sein, mit dem, was passiert ist“, hatte zuvor René Wilke unter großem Beifall gesagt. „Wir haben nichts falsch gemacht.“ Dass Frankfurt noch vor Leipzig und Jena lag, sei ein Erfolg. Vor allem aber sei in der Stadt durch die Bewerbung etwas entstanden. „Das sieht man auch hier“, sagt Wilke, als er in die Runde schaut. „Dass wir als Stadt so daran wachsen, hätte ich nicht für möglich gehalten. Deshalb spüre ich große Dankbarkeit.“
Es sind viele, die sich am Mittwochabend zu Wort melden. Der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises, Frank Schürer-Behrmann, spricht von einem neuen Selbstbewusstsein, Konrad Tschäpe vom Museum Viadrina sagt: „Wir haben darüber nachgedacht, wo wir herkommen, was wir wollen. Da haben wir eine Antwort gefunden. Wir sind die Stadt der Brückenbauer.“ Das 200-Millionen-Projekt ist tot. Frankfurt lebt.
Plan B in der Tasche
Wie geht es weiter? Bereits am Montag gebe es eine Klausur der Stadtspitzen von Frankfurt und seiner polnischen Schwesterstadt Słubice, kündigt OB Wilke an. Zuvor hatte er angedeutet, dass es einen Plan B in der Schublade gebe. Man wolle auf der für das Zukunftszentrum vorgesehen Fläche an der Stadtbrücke eine „angemessene“ und „belebende“ Bebauung finden. „Dazu werden wir in Kürze mit veränderten Ideen und Ansätzen in die öffentliche und politische Diskussion eintreten.“
Allerdings ist nun auch die Landesregierung am Zug. Nach den Bemühungen um eine Rettung der Raffinerie in Schwedt und beim Strukturwandel in der Lausitz braucht auch Frankfurt eine Perspektive. Und das Gelände an der Stadtbrücke, an dem das Zukunftszentrum entstehen sollte, bedarf einer öffentlichen Nutzung, zu groß wäre sonst der Phantomschmerz.
„Frankfurt (Oder) hat nicht verloren“, sagte schon am Dienstag die in Frankfurt geborene Wissenschafts- und Kulturministerin Manja Schüle (SPD). Schon lange gibt es in ihrem Haus Überlegungen, ein Brandenburgisches Landesmuseum nach dem Vorbild des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald oder des Schlesischen Landesmuseums in Görlitz zu gründen.
Das Konzept dazu hat das aus der Viadrina hervorgegangene Institut für angewandte Geschichte erarbeitet. Nicht nur um die Geschichte der Mark westlich und östlich der Oder soll es da gehen, sondern auch um Migration und regionale Identitäten. Nur hat sich das Land bisher noch nicht dazu durchringen können, eine entsprechende Trägerstiftung zu gründen. „Die Gelegenheit wäre jetzt da“, heißt es beim Wunden lecken im Blok-O.
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