piwik no script img

Andreas Speit Der rechte RandWie quer die Mitte im Vorwahlkampf denkt

Foto: Jungsfoto: dpa

Immer wieder montags: Auf einem Parkplatz im Zentrum der Seevetaler Ortschaft Hittfeld kommen die selbst ernannten Querdenkenden zusammen, um gegen die staatlichen Pandemiemaßnahmen zu demonstrieren. Ihren Protest richtet die „Bürgerinitiative im Dialog“ unter dem Titel „Corona-Andacht“ aus. Ab 19 Uhr versammeln sich die Männer und Frauen, viele über 50 Jahre alt, und beklagen die sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Sie sind sich sicher, dass Politik und Medien Erkenntnisse von bestimmten Wis­sen­schaft­ler:in­nen bewusst verschwiegen. Die sogenannten alternativen Fakten und alternative Wissenschaft sollten mehr Beachtung finden. Ersten Zuspruch hat die Initiative bereits gewonnen – aus der Kommunalpolitik.

Eine E-Mail an die Bürgermeisterin Martina Oertzen mit der Bitte, Maßnahmen gegen die Coronaleugnenden zu ergreifen oder wenigstens zu prüfen, verstimmte die Freien Wähler. E-Mail-Schreiber Fritz Tietze erhielt vom Fraktionssprecher der Freien Wähler, Willy Klingenberg, eine Antwort, die offenbart, wie weit Rhetorik und Argumentationen aus dem Kanon der Querdenkenden in der Mitte der Gesellschaft virulent sind: „Wenn wir anfangen, die Versammlungsfreiheit zu verbieten oder einzuschränken, steuern wir Zustände an, die beispielsweise im Dritten Reich üblich waren“, schreibt Klingenberg und fragt Tietze: „Wollen Sie das?“

Nein, das möchte der Autor und Journalist nicht. „Das habe ich auch gar nicht gefordert“, sagt Tietze der taz. Zum Gedenken an die Coronatoten hatte er selbst die bundesweite Aktion #coronatotesichtbarmachen vor Ort angestoßen. Am Rande dieser Aktion bekam er es auch bereits mit Coronaleugnenden zu tun. Das Virus leugnet Klingenberg in der Antwort nicht. Aber er schreibt: „Aufgrund meiner politischen Tätigkeit sehe ich durchaus Bestrebungen der Exekutive, die Coronakrise zu instrumentalisieren, um die Handlungsfähigkeit von Abgeordneten einzuschränken.“ Und rühmt sich selbst, dass „entsprechende Anträge, die in Richtung des Ermächtigungsgesetzes von 1933“ gingen, hier nicht durchgekommen seien.

Schon bei der Debatte um die Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag sprachen Querdenkende und Coronaleugnende von dem „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das am 24. März 1933 im Reichstag beschlossen wurde: letztlich die Abschaffung des Parlaments. Der Vergleich ist geschichtsrelativierend. Klingenberg schreibt weiter: „Wenn ich mir den Katalog von Corona-Maßnahmen ansehe“, habe er den Eindruck, „dass die Krise bewusst in die Länge gezogen“ werde. Dass Virenfilter in Schulen und Kitas von CDU und SPD abgelehnt wurden, sei nur ein Beispiel der „Liste der Fehlentscheidungen“. Das grundsätzlich berechtigte Hinterfragen verbindet der Kommunalpolitiker mit der rhetorischen Frage: „Liegt diese Blockadehaltung vielleicht daran, dass unsere Abgeordneten am Maskengeschäft prächtig verdienen?“

Andreas Speitarbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.

Für Fritz Tietze ist weiter auffällig, dass Klingenberg zu den „unbelegten Behauptungen, unwissenschaftlichem Quark und antisemitischen Stereotypen“ auf „Corona-Andachten“ nichts schreiben würde. Die Freien Wähler dürften mit diesen Leerstellen bei den Querdenkenden und Coronaleugnenden gut ankommen. Und am 12. September sind in Niedersachsen schließlich auch schon wieder Kommunalwahlen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen