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Wie geht es nach Mursis Sturz weiter?Vereint im Hass auf die Brüder

Revolutionäre und Konterrevolutionäre haben Mohammed Mursi aus dem Amt gejagt. Ein gemeinsames Zukunftsmodell fehlt jedoch.

Ägyptische Soldaten haben gut lachen. Die Muslimbrüder nicht. Bild: reuters

KAIRO taz | Am Abend, als Ägyptens oberster Militärchef Abdel Fattah al-Sisi das Ende der Amtszeit des Präsidenten und Muslimbruders Mohammed Mursi verkündete, war es so, als sei der gesamte Tahrirplatz auf Ecstasy. Kairos Innenstadt fiel in einen Anti-Mursi-Rausch. Die Frage am Tag danach ist, wie lange die Wirkung dieser Droge anhalten wird.

Denn bei der ganz großen Anti-Muslimbruder-Koalition, die da auf dem Platz stand, sind schon die politischen Widersprüche der Post-Mursi-Zeit angelegt. Die Protestierenden einte einzig ihr Protest – über die Zukunft Ägyptens dagegen gehen ihre Vorstellungen weit auseinander. Da standen zum einen jene auf dem Platz, die Mubarak Anfang 2011 gestürzt haben, junge Tahrir-Aktivisten, Linke, Vertreter der Zivilgesellschaft. Sie haben beim Sturz Mubaraks den Blutzoll gezahlt. Jetzt träumen sie wieder von einem neuen Ägypten, diese guten Helden der Revolution.

Neben ihnen aber befand sich die „Sofa-Partei“ zahlreich auf dem Platz: jene Ägypter, die sich den arabischen Wandel bisher nur im Fernsehen angeschaut hatten, aber sich nicht an ihm beteiligt hatten, und von denen nach einem Jahr Amtszeit Mursis immer wieder der Satz zu hören war: „Unter Mubarak war es doch besser“.

Und dann gab es da noch die alten Mubarak-Seilschaften zu sehen. Deren Vertreter hoffen, nun durch die Hintertür wieder in das politische System zu kommen. Nicht zu vergessen sind dabei die Männer des Sicherheitsapparats, die sich nichts sehnlicher wünschen, als rehabilitiert zu werden, natürlich ohne ihren Unterdrückungsapparat reformieren zu müssen.

Intressen und Privilegien

Mit anderen Worten: Revolution und Konterrevolution feierten geeint in ihrer Ablehnung der Muslimbruderschaft und von Mohammed Mursi. Die einen wollen Veränderung, die anderen wollen das Rad zurückdrehen. Beide sollen jetzt aushandeln, wie es mit Ägypten weitergeht, mit dem Militär im Hintergrund, das seine eigenen Interessen und Privilegien im Auge hat. Das ist keine gute Mischung.

Statt um die Frage, wie viel Religion die Politik verträgt, wird man sich darüber streiten, wie viel Neues und wie viele Reformen in dem Land am Nil durchgesetzt werden können. Eine Ausgangsposition also, die ein wenig an den Anfangspunkt der Revolution erinnert – „Ziehe auf Los“, nur ohne die Muslimbrüder.

Die gehen direkt ins Gefängnis, ohne über „Los“ zu gehen, jedenfalls die Führungskader. Ironischerweise sind ihre ersten Köpfe, etwa der erste Parlamentspräsident der Post-Mubarak-Zeit, Saad Katatni, inzwischen in die gleiche Haftanstalt eingeliefert worden, in der auch der alte Despot Husni Mubarak einsitzt.

Zudem sollen dort mittlerweile der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, sein Vorgänger Mohammed Mehdi Akif und seine Stellvertreter Raschad al-Bajumi und Saad al-Katatni inhaftiert sein. Wie die ägyptische Justiz mit den neuen und den schon etwas länger Inhaftierten umgeht, wird noch interessant werden.

Die Vertreter des alten Regimes sind in langen Verfahren oft im Schongang abgeurteilt worden. Genau das haben die nun verfemten Muslimbrüder immer angeprangert. Es bleibt abzuwarten, wie die gleiche Justiz nun mit den inhaftierten Muslimbrüdern umgeht.

Im Schockzustand

Die Niederlage der Muslimbrüder ist einen Tag nach dem Sturz Mohammed Mursis total. Aber das macht sie umso gefährlicher. Noch liegt die Bruderschaft wie ein angeschossener Tiger im Gras. Aber bleibt es dabei? Die Gefahr ist weniger, dass deren Anhänger in den nächsten Tagen und Wochen auf der Straße aufbegehren und es zu blutigen Auseinandersetzungen oder gar zu einem Bürgerkrieg kommt.

Die Muslimbruderschaft befindet sich im Schockzustand. Mit einer Verhaftungsliste von 300 ihrer Kader, die jetzt nach und nach abgeführt werden, wird sie ihrer Köpfe beraubt. Mit ihren abgedrehten TV-Kanälen ist es für sie schwerer geworden, Anhänger zu mobilisieren.

Doch das ist ein Zustand, der möglicherweise nicht von Dauer sein wird. Eine neue Generation von Muslimbrüdern könnte sich in zwei Richtungen entwickeln. Die jungen Männer könnten das letzte Jahr als eine Lektion ansehen, hervorgerufen durch eine nicht mehr zeitgemäß agierende Führung, und die Bruderschaft reformieren, hin zu einer islamisch-konservativen Partei.

Geboren aus einer 80 Jahre währenden Verfolgung traute diese Führung niemanden über den Weg, der nicht der Bewegung angehörte, und hat entsprechend nach ihrem Wahlsieg versucht, den Staatsapparat nur mit ihren eigenen Vertrauten zu besetzen. Ohne jegliche Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, dachten die Kader nur daran, diese eine Chance an der Macht zu nutzen – ohne Rücksicht auf politische Verluste. Diese Mentalität ist ihnen am Ende zum Verhängnis geworden.

Eine Radikalisierung ist nicht unwahrscheinlich

Das Problem ist, dass sie in ihrer Denkweise des Misstrauens jetzt einmal mehr bestätigt wurden, nämlich in der Art und Weise, wie ihnen die demokratische erlangte Macht entzogen wurde. Welche Schlussfolgerung ziehen die heute 20-jährigen Muslimbrüder aus dieser Erfahrung?

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich zumindest ein Teil von ihnen radikalisieren wird. Das wäre dann der politische Nachlass des 3. Juli 2013, der Tag an dem Mursi gegangen wurde. Den wird Ägypten nicht in wenigen Tagen, Wochen oder Monaten antreten. Es wird ein Erbe, das das Land am Nil noch Jahre beschäftigen wird.

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12 Kommentare

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  • SF
    Sissy Fuß

    @Jule: Das war einer der lächerlichsten und peinlichsten Kommentare des Tages. Glaubst Du wirklich, daß Du ihm mit Deinem bißchen zusammengeklaubten Internet-"Wissen" etwas über die Muslimbrüder beibringen kannst? Du würdest wahrscheinlich auch einem Mathematikprofessor empfehlen, sich erst mal das Einmaleins erklären zu lassen, am besten von Dir.

  • J
    Jule

    Herrn Gawhary wuerde ich empfehlen, sich einmal mit dem politischen Hintergrund der Moslembrueder zu beschaeftigen,ihren internationalen Verbindungen und ihren bewaffneten Aktionen vor allem in Libyen und Syrien, bevor er so einen Artikel schreibt wie: "Vereint im Hass gegen die Brueder"!

  • V
    vjr

    Ja, "ein gemeinsames Zukunftsmodell fehlt", leider und wie auch anders. Denn der Weg vom Protest zur Beteiligung – aller an und in allen gemeinsamen Sachen – ist noch nicht mal angedacht, in z.B. Ägypten.

     

    Noch nicht, was brauchts dazu?

  • V
    vic

    Zweimal putscht das Militär. Ich kann daran nichts Gutes finden.

  • N
    Nadia

    Wichtig

     

    möchten Sie wissen wer hinter dem Putsh steht?

     

    Ganz leicht. Wer steht hinter die Konflikte in Irak, Afganistan, Sudan, Somalien, Westsahara...

    Wer will die anderen Völker schwächen...Rohstoffe klauen und Waffen für alle verkaufen.

    Sie haben gesehen in der lybischen Krieg was eine geschossene Rackete kostet eine halbe Million Dollar. Die einzige Ausnahme hier ist, dass die arabische Golfstaaten (Diktatoren) keine arabische demokratische Macht erlauben möchten, denn dies wird ihr Ende beschleunigen. Deshalb haben sie die Gegner von Mursi finanziert.

  • S
    Sara

    Alle arabische Diktatoren waren sehr empört als Mursi an die Macht kam. Israel noch sehr. Der verlierer ist das ägyptische Volk, das eine Chance für die Brüder geben wollte. Gewis ist, dass jeder Politiker im Westen weiss genau, dass die musslimische Brüder gut, ehrlich und vertrauenswürdig sind. Daher wird dem Land gut gehen. Gerade deshalb wollen westliche Länder diesen Erfolg verhindern. Mit islamischen Herrschern geht es der Türkei wirklich sehr sehr gut. Dies kann nur ein dummer Unwissender leugnen. Aber Ägypten ist halt Nachbar von Israel. Jede Entwicklung muss (wie im Fall Iran) verhindert werden. Wo liegt Mursis Fehler?

    Das vorzeitige Ende haben seine Gegner im In und Ausland schon lange vorbereitet. Er ist zwar Intelektuell guter Mensch...aber ihm feht die Bösheit, die in seinem Fall mit so vielen Gegner, ein Bestandteil der Politik sein muss. Er hätte seine bösen Gegner wie Al Baradai ...ausschalten sollen in dem er sie im Gefängnis steckt...Er hätte sich über den Putshgeneral (Sissi) gut informieren müssen, befor er ihn zu Chef des Militärs wählt..;denn dieser hat in den USA seine Ausbildung gemacht...

  • A
    Amin

    Lieber Herr Gawhary,

    Ich bin ein großer Fan Ihrer Arbeit. Sie sind immer nahe am Geschehen/Menschen und Ihr Schreibstil wirkt persönlich und ehrlich.

     

    Trotzdem, würde ich Ihnen sozusagen als 'konstruktive Kritik' (soweit mir soetwas überhaupt zusteht), raten sich ein wenig ausserhalb der offiziellen Geschichte zu bewegen, um vielleicht auch Platz für andere Interpretationen der derzeitigen Ereignisse zu schaffen. Vorallem würde ich mir eine etwas detailliertere Analyse der Rolle der 'Rettungs-Front' wünschen.

     

    Die Legenden der "Ikhwanat-eddawla" (also des Versuchs der Muslimbrüder Ihre Macht ungeteilt auszuweiten) oder der Milizen, welche ständig in den ägyptischen Medien wiederholt werden, sind nach rationaler und emotionsloser Analyse kaum haltbar.

    Trotzdem findet sich zumindest eine davon in Ihrem Artikel.

     

    Kurzum, ich empfehle Ihnen ein Kommentar von Dr. ElMasry der Kairo Universität über das was die Leute am Tahrir angetrieben hat.

     

    http://www.jadaliyya.com/pages/index/12466/unpacking-anti-muslim-brotherhood-discourse

     

    Es wäre schön wenn Sie zumindest darauf hinweisen würden, dass es auch andere Stimmen in Ägypten gibt, auch wenn das Umfeld das Sie gerade erleben wohl eher nicht dieser Meinung ist (Ich nehme an dass sie sich eher in der städtischen Oberschicht Ägyptens bewegen).

     

    Mfg,

    Amin

  • J
    jeff

    die Christen sind ja wohl auch nicht besser als die Moslimbruderschaft, gleich ob Katholen, Evangelen, sonstiges Gepfaffe

    oder weitere Gläublinge.

  • SL
    Samuel Laster

    http://diepresse.com/home/kultur/literatur/1425790/Moderate-Muslimbrueder-Wie-naiv

     

    "Moderate Muslimbrüder? Wie naiv!"

     

    02.07.2013 | 18:26 | ANNE-CATHERINE SIMON (Die Presse)

     

    Wie Präsident Mursi einen mörderischen Scheich umarmte und warum ein Mordaufruf schlimmer ist als eine Fatwa: Ein Gespräch mit dem von Islamisten bedrohten deutsch-ägyptischen Politologen Hamed Abdel-Samad.

  • SL
    Samuel Laster

    Der Korrespodent der taz hat öfters versucht die Radikalität der Muslimbrüder zu verharmlosen. Es ist bezeichnend welcher Art die Berichterstatter und "Experten" zur arabischen Welt im deutschsprachigen Raum sind. Karim El-Gawhary ist mit seinen Märchen der König dieser Clowns...

  • JS
    Jack Stern

    Traurig ist die Tatsache dass der Westen sein wahres Gesicht gezeigt hat.Hier wird immer von Demokratie und Menschenrechten vorgegaukelt und doch ist es unübersehbar wie man zu diesem Putsch steht.

     

    Traurig wirklich traurig.

  • G
    gegenRechts

    Die Muslimbrüder sollen sich also radikalisieren, wenn man sie nicht so herrschen lässt wie sie das wollen.

     

    Leider sagt der Autor nichts über die Alternativen.

    Würden die Muslimbrüder herrschen, hätten sich ja auch die Säkularen radikalisieren können. Ach, das haben die schon getan.

     

    Wenn man sich bei uns den Rechtsradikalen entgegen stellt, radikalisieren die sich dann auch ? Wenn man es so sieht, kann man aufhören mit dem Kampf gegen Rechts. Wird dadurch ja nur alles schlimmer, oder ?

     

    Also was ist die Lösung ? Etwa daß die Rechtsextremen hier, und die Muslimbrüder dort ihre Überzeugungen aufgeben ? Und was ist, wenn sie es nicht tun ? Haben sie diese Überzeugungen vielleicht auch unabhängig davon, ob man sie gewähren lässt oder nicht ? Wandeln sich dann von radikal in ganz radikal. Oder halten die alle anderen für radikal und sich selbst für normal ?

     

    Schade, darauf hätte ich gerne Antworten gehabt. Was die Rechten angeht, da darf es kein Nachgeben geben. Über Ägypten traue ich mir kein Urteil zu als Außenstehender. Aber Logik fehlt in diesem Kommentar. Schade.