Wie es um den Kaukasus steht: „Die EU sollte die Tür zu Georgien offen lassen“
Die Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilisi, Dr. Sonja Schiffers, über die Auswirkungen des „Agenten-Gesetzes“ und Herausforderungen in der Region.
taz: Frau Schiffers, nach den Parlamentswahlen vom 26. Oktober, bei denen die prorussisch orientierte Regierungspartei Georgischer Traum sich auch durch Wahlmanipulationen ihren Sieg sicherte, ist der Weg des Landes in die EU gefährdet. Welche Maßnahmen sollte die EU ergreifen?
Sonja Schiffers: Die Wahlen waren eines EU-Beitrittskandidaten unwürdig. Die EU sollte das klar verurteilen und zunächst einmal auf eine unabhängige, das heißt internationale Aufklärung drängen. Die EU sollte in jedem Fall die Tür zu Georgien geöffnet lassen, damit die Möglichkeit der europäischen Integration weiter besteht. Mit dem Kurs, auf dem sich Georgien befindet – mit dem „Ausländische Agenten“-Gesetz, dem Anti-LGBTQ-Gesetz und den massiven Wahlmanipulationen – ist jedoch kein Fortschritt im Prozess möglich. Es wurde bereits angekündigt, dass die EU und andere Partner wie die USA ihre Zusammenarbeit mit Georgien neu bewerten wollen. Es ist richtig, wenn in der staatlichen Zusammenarbeit nun weniger passiert. Doch es bleibt wichtig, dass wir die Zivilgesellschaft und den transnationalen Austausch mit Deutschland und der EU weiterhin stark unterstützen.
taz: Sie haben bereits das „Ausländische Agenten“-Gesetz erwähnt: Die Regierung bestraft nichtstaatliche Organisationen und unabhängige Medien, die mehr als zwanzig Prozent ihrer Fördergelder aus dem Ausland erhalten. Ähnlich wie in Russland müssen sie sich dann als ausländische Agenten registrieren lassen.
Schiffers: Die meisten Nichtregierungsorganisationen lassen sich nicht registrieren – zumindest zunächst. Keiner unserer Partner hat sich registrieren lassen. Es gibt aktuell noch einige Schlupflöcher in dem Gesetz. Erst mal werden sich manche NGOs vielleicht als Unternehmen registrieren lassen oder eben als Einzelpersonen weiterarbeiten. Die Frage ist allerdings, ob und wie schnell die Regierung dann das Gesetz weiter verschärft.
Leiterin des Regionalbüros Südkaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung, promovierte im Bereich Internationale Beziehungen zur russischen und türkischen Außenpolitik in der Region.
taz: Sind deutsche politische Stiftungen, und vor allem die Heinrich-Böll-Stiftung, betroffen? Wie werden Sie unter diesen Bedingungen weiterarbeiten?
Schiffers: Wir sind von dem Agentengesetz nur indirekt betroffen und müssen uns erst mal nicht registrieren lassen. Wir gelten quasi bereits als ausländische Macht. Aber unsere lokalen Partner sind stark betroffen und könnten, wenn das Gesetz nun tatsächlich umgesetzt wird, mit hohen Strafen belegt werden, wenn sie sich nicht dem stigmatisierenden Registrierungsprozess unterwerfen. Das Anti-LGBTQ-Propaganda-Gesetz betrifft uns wiederum direkt, da wir zu diesen Themen ebenfalls arbeiten. Wir müssen sehen, was uns dann überhaupt noch möglich sein wird. Diese Rechtsunsicherheit erschwert die zivilgesellschaftliche Arbeit maßgeblich. Für prodemokratische Akteur*innen in Georgien wird es härter werden.
taz: Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet in drei Ländern im Südkaukasus, neben Georgien auch in Armenien und Aserbaidschan. Wie funktioniert Ihre Arbeit vor Ort?
Schiffers: Unser Regionalbüro gibt es in Tbilisi seit 2003, seit 2017 sind wir auch mit einem eigenen Büro in der armenischen Hauptstadt Jerewan vertreten. Wir hatten eine Kollegin, die uns in Aserbaidschan unterstützt hat. Sie musste das Land aber vor langer Zeit verlassen. Anfang der 2010er-Jahre wurden alle deutschen politischen Stiftungen durch zunehmende Repressionen in Aserbaidschan zur Aufgabe ihrer Arbeit genötigt.
taz: Wie findet der regionale Austausch nun statt?
Dr. Sonja Schiffers
Schiffers: Auch das ist immer schwieriger geworden. Partner:innen aus Aserbaidschan haben angesichts der Repressionen zunehmend gravierende Bedenken, sich in regionalen Formaten auszutauschen oder gar öffentlich kritisch zur aserbaidschanischen Politik zu äußern. Dennoch schaffen wir es immer noch, Menschen aus allen drei Ländern zusammenzubringen.
taz: Können Sie in diesem Zusammenhang ein konkretes Beispiel nennen?
Schiffers: Wir organisieren jährlich eine Konferenz mit Partner:innen aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien zum Thema Erinnerungspolitik. Dabei geht es um die kritische Betrachtung von Geschichtsdiskursen im Südkaukasus. In diesem Jahr beschäftigte sie sich mit Diaspora, Migration und Flucht nach dem Zerfall der Sowjetunion. Einerseits damit, welche Migrations- und Fluchtbewegungen es gab, und andererseits, wie diese teilweise von staatlichen Akteuren instrumentalisiert werden – und auch die Diasporas selbst. Wir hatten eine sehr ehrliche und bewegende Diskussion mit Menschen mit Fluchterfahrungen aus allen drei Ländern, was angesichts der weiter bestehenden Spannungen nicht selbstverständlich ist. Im vergangenen Jahr ging es um Protest und gesellschaftliche Partizipation in der Geschichte des Südkaukasus. Wir versuchen immer, die Brücke zu aktuellen Themen zu schlagen.
taz: Zuletzt hat die Heinrich-Böll -Stiftung ein Buch zum Thema Männlichkeit mit Beiträgen aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan herausgebracht – das Ergebnis von mehreren Jahren Arbeit. Haben Sie sich erhofft, zum Wandel der patriarchalen Strukturen in der Region beizutragen?
Schiffers: In diesem Buch geht es darum, welche Rollenverständnisse und Erwartungen an Männer in der Region herrschen und wie das die Wahlmöglichkeiten von Männern und allen Geschlechtern in der Region beeinflusst. Es sind sehr diverse Beiträge zu ganz verschiedenen Themen entstanden, beispielsweise Vaterschaft, Glücksspiel, Jagd, Kampfsport, Krieg und Militär. Geschlechterrollen und Stereotypen beeinflussen unsere Gesellschaften als Ganzes. In patriarchalen Gesellschaften spielen bestimmte Formen von Männlichkeit eine besonders wichtige Rolle – auch bei politischen und sozialen Fragen. Beispielsweise entscheiden deutlich weniger Frauen Fragen über Krieg und Frieden in der Region. Mit bewaffneten Konflikten gehen auch gewisse Vorstellungen von Männlichkeit einher: Man muss hart sein, dominant, vielleicht sogar andere unterwerfen. Diese Vorstellungen werden zum Standard – nicht nur in der Politik, sondern in der gesamten Gesellschaft. Im Buch lassen wir Autor:innen zu Wort kommen, die das kritisch hinterfragen.
taz: Und wie geht es den Medien im Südkaukasus?
Schiffers: Die Medien in Aserbaidschan stehen unter fast totaler staatlicher Kontrolle. Armenien hat sich in den letzten Jahren deutlich in Richtung Demokratie geöffnet, während es in Georgien eher eine Regression gab. Das zeigt sich auch bei der Medienfreiheit, wo Armenien aktuell besser dasteht als Georgien. Aber in beiden Ländern gibt es immer wieder Fälle staatlichen Drucks – in Georgien jetzt besonders über das Agentengesetz, das auch auf Medien abzielt. Auch wirtschaftliche Herausforderungen spielen eine Rolle, etwa in Georgien, wo es eine starke politische Polarisierung der Medienlandschaft, insbesondere der Fernsehsender, gibt. Diese sind oft entweder regierungs- oder oppositionsnah und erhalten ihre Finanzierung von Personen, die jeweils der einen oder anderen Seite nahe stehen.
taz: Können Sie uns mehr über die wirtschaftliche Lage unabhängiger Medien in Georgien sagen?
Schiffers: Für unabhängige Medien, die kritisch berichten, ist es sehr schwierig, sich eine nachhaltige Finanzierung zu sichern. Georgien ist ein relativ armes Land, sodass ein Abonnementmodell, wie wir es in Deutschland kennen, kaum verbreitet ist und auch nur bedingt erfolgsversprechend wäre. Unabhängige Onlinemedien sind daher weiter stark von westlichen Fördergeldern abhängig. Sie müssen oft mit kurzfristigen Zuwendungen arbeiten, was ihre Arbeit erschwert. Sie müssen ständig Anträge für Gelder schreiben – was viel Zeit kostet. Jede Unterstützung für unabhängige Medien ist immens wichtig.
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