Susanne Messmer wundert sich über die Doppelmoral der Menschen, sobald ein Storch aus der Reihe tanzt
: Ronny, du Rüpel!

Ronny, warum? Foto: Ralf Seidel/dpa

Das ist ja wohl mal wieder typisch. Seit Urzeiten gilt Meister Adebar als Glücksbringer, der die Babys in Höhlen oder Sümpfen findet und den Müttern in Körben bringt. Man legt den Störchen bei Kinderwunsch Süßigkeiten aufs Fensterbrett, in jedem Frühjahr freut sich die Presse, wenn die Störche aus dem Winterurlaub zurückkehren und ihre ebenso komplizierten wie riesigen Nester bauen, ganz besonders in Brandenburg, denn Brandenburg ist das beliebteste Bundesland der Störche, hier nisten durchschnittlich 1.400 der 9.000 Paare, die es zum Glück nach großem Rückgang bundesweit wieder gibt.

Störche sind beliebt, sie sehen gut aus, sie schreiten überaus majestätisch, sie wecken Assoziationen – aber wehe, es tanzt einmal einer aus der Reihe. So geschehen im brandenburgischen Glambeck im Löwenberger Land, wo seit Monaten ein Storch tut, was Störche sonst nicht zu tun pflegen: Ronny, so sein Name, führt seit seiner Ankunft im Mai einen erbitterten Kampf gegen sein Spiegelbild. Von früh bis spät hackt er auf Fensterscheiben und dunkle Autodächer ein und hinterlässt Lackkratzer. Und wer die Deutschen kennt, der weiß: Bei Lackkratzern hört hierzulande der Spaß gründlich auf.

Glambeck hat die Nase – oder besser – den Schnabel voll vom Weißstorch, das Dorf freut sich bereits auf den Abflug des Störenfrieds, spätestens Ende August, so weiß man, fliegen die Störche wieder nach Süden. Aber was ist es, das den armen Ronny so gegen sich selbst aufbringt? Man denkt unweigerlich an Narziss, der sich stets selbst spiegeln musste – nur, dass im Fall Ronny eher Selbsthass denn Selbstliebe vorliegt.

Naturschützer vermuten, dass der Vogel hormonell den Überblick verloren hat. Dafür spricht, dass der Storch schon im Juni das Männchen des bereits im Dorf brütenden Storchenpärchens vertrieben, doch dann auf seine Rolle als Patchwork-Vater keine Lust hatte: Die Mutter habe ihr Junges allein aufgezogen, berichtete die Ortsvorsteherin. Ronny, du Rüpel!