Wie ein
Denkmal entkolonisiert wird

Muss man Monumente, die einst Kolonialismus und Rassismus ehrten, heute stürzen oder abreißen? Nein, belegt das Beispiel des Elefanten aus Bremen. Mit einem neuen Namen und einer erklärenden Tafel allein ist es aber auch nicht getan

Der Elefant, der gleich hinter dem Bremer Hauptbahnhof thront, war einsturzgefährdet. Manche BürgerInnen hätten ihn lieber abgerissen, als ihn für 180.000 Euro zu sanieren Foto: Eckhard Stengel/imago

Von Jan Zier

Überlebensgroß und wuchtig steht er da, gleich hinter dem Bremer Hauptbahnhof. Dort thront der Elefant bis heute, auf einem Sockel, den eine massige Krypta trägt. Als dieses in dunkelrotem Oldenburger Klinker erbaute „Reichskolonialehrendenkmal“ 1932 eingeweiht wurde, stand da noch ein Schild: „Den Deutschen Kolonien“. Und unten, in dem halbunterirdischen, sehr sakral anmutenden Gewölbe lag wie auf einem Altar ein Totenbuch aus – darin 1.490 Namen von Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in den damaligen deutschen Kolonien gestorben waren.

In all seiner plumpen Monumentalität wird sofort klar, dass der Zweck dieses Denkmals „zutiefst revanchistisch“ war, wie Arie Hartog, der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen, mal in einem taz-Interview gesagt hat. Deutschland hatte seinerzeit ja keine Kolonien mehr – wollte aber genau hier einen Anspruch darauf behaupten.

„Ein großes Volk muss Kolonien haben, um leben zu können“, hatte General von Lettow-Vorbeck zur Einweihung gesagt: „Ohne Kolonien muss ein blühendes Volk ersticken: Kolonien sind der Ausdruck der Kraft einer Nation.“ Es war jener Paul von Lettow-Vorbeck, der knapp 30 Jahre zuvor ganz maßgeblich am Völkermord der Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika beteiligt war, dem heutigen Namibia.

Der Bildhauer, der den Elefanten einst entworfen hat, der heute eher vergessene Fritz Behn, war ein Nazi und schon zuvor als Vertreter kolonialistischen Herrenmenschentums aufgefallen. Trotzdem wurde sein Denkmal in dem sich linksliberal definierenden Bremen nie gestürzt, nie abgerissen. Sondern, ganz im Gegenteil, unter Denkmalschutz gestellt – und vor ein paar Jahren für 180.000 Euro aufwendig saniert. „Dieser Elefant ist eine der ganz wenigen gelungenen Umwidmungen von Denkmälern“, sagt auch Museumsdirektor Hartog. Wie kam es dazu?

„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Denkmäler im Laufe der Zeit ihre Bedeutung ändern“, sagt Hartog, der mit einer Arbeit über „Moderne deutsche figürliche Bildhauerei“ promoviert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg lagerten Behörden unter dem Elefanten ihre Akten, und die Bremer Umweltbetriebe nutzten die Krypta, um ihre Rasenmäher unterzustellen. Sie wurde damit – auf für die Errichter wohl unvorstellbare Weise – profanisiert. Bis zu einem würdigen, antikolonialistischen Gedenken vergingen beinahe 60 Jahre.

In der Nazizeit nannte sich Bremen stolz die „Stadt der Kolonien“. Und es war der Bremer Kaufmann Alfred Lüderitz, der sich Deutsch-Südwestafrika 1884 mit betrügerischen Mitteln und einem unlauteren Vertrag aneignete. Nach dem „Lügenfritz“ ist auch heute noch eine Straße in Bremen benannt, genauso wie nach seinem Mitstreiter, dem Bremer Tabakhändler Heinrich Vogelsang, oder dem Reichskommissar Gustav Nachtigal, der Lüderitz’Landnahme damals beglaubigte.

Laut einer Datenbank der Zeit gibt es in Deutschland heute noch 27 Straßen, die Lüderitz ehren. Zwar fordert das Bündnis „Decolonize Bremen“, zu dem auch Flüchtlingsrat und Afrika-Netzwerk gehören, seit Jahren die Umbenennung kolonialer Straßennamen in der Stadt, der rot-grün-rote Senat in Bremen will das aber nur „prüfen“ – so steht es im Koalitionsvertrag. Widerstand kommt vor allem aus der SPD.

Der Elefant ist nicht das einzige koloniale Erbe im Stadtbild: Von der Baumwollbörse bis hin zur Norddeutschen Mission ist Bremen noch heute flächendeckend mit einschlägigen Institutionen und Bauten versorgt. Doch erst als Mitte der Siebzigerjahre die Anti-Apartheid-Bewegung begann, sich gegen den Waffenhandel mit Südafrika und für die Freilassung von Nelson Mandela einzusetzen, entstand die Idee, jedenfalls den Elefanten in ein „Antikolonialdenkmal“ umzuwidmen. Die Initiative, getragen von postkolonial motivierten AktivistInnen aus den neuen sozialen Bewegungen und WissenschaftlerInnen, hatte 1989 schließlich Erfolg: Die Bremer Bügerschaft widmete das Denkmal um. Und als Namibia 1990 unabhängig wurde, bekam der Elefant auch ganz offiziell einen neuen Namen, eine große Bronzetafel wurde feierlich enthüllt. „Afrikas Probleme sind heute noch mit Kolonialismus, Rassismus und andauernder Ausbeutung eng verbunden“, heißt es darauf unter anderem. „Unsere Gesellschaft hat begonnen, aus dieser Entwicklung zu lernen.“ Damit war das Reichskolonialehrendenkmal nun Geschichte. 1996 kam der namibische Staatspräsident nach Bremen und enthüllte zusammen mit dem Bremer Bürgermeister eine weitere Bronzetafel: „Zum Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia“.

Reicht das? „Nein“, sagt Arie Hartog. Nicht durch diese Plakette habe das Denkmals seine Bedeutung gewandelt, „sondern durch das Reden darüber“. Durch Aktionen wie die der Künstlerin Gertrud Schleising, die 2010 als „Elefantenflüsterin“ auftrat und ihm in einer „freundlichen Eroberung“ etwas freundlich Versöhnliches ins Ohr flüsterte. Und natürlich durch den Verein „Der Elefant“, der sich seit 2008 um das Denkmal kümmert und es regelmäßig kulturell nutzt. „Egal was für eine zentrale Bedeutung der Kolonialismus für die Entwicklung dieser Stadt haben mag – er ist nur dann Thema, wenn man auch darüber spricht“, sagt Hartog.

Anfang des neuen Jahrtausends war der Elefant gleichwohl akut vom Verfall bedroht. Ein Sachverständiger kam gar zu dem Schluss, dass er einsturzgefährdet war. Manch einer forderte nun den Abriss. 2008 setzt der Landesdenkmalpfleger dieser Debatte ein Ende – und stellte das Denkmal als „Sachzeugnis neokolonialistischer Strömungen“ unter seinen Schutz.

Bronzetafel am Elefanten

Der Elefant lässt sich aber auch deshalb gut umdeuten, weil er keine Nazi-Insignien trägt und auch nie den Namen eines Nazis oder eines Kolonialherren trug. „So wie er jetzt aussieht, wird er zuerst einmal als Backsteindenkmal wahrgenommen, ohne politische Aussage“, sagte die Künstlerin und Grünen-Politikerin Gudrun Eickelberg, eine der beiden Vorsitzenden des Vereins „Der Elefant“, in einem Interview mit der Bremer Straßenzeitung Zeitschrift der Straße. In der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Bremens spiele der Elefant „auch als Symbol“ eine wichtige Rolle, sagt sie. Er sei der Ort, an dem sich diese Reflektionen konkretisieren. „Insofern hat er seine Aufgabe für die Antikolonialbewegung wirklich erfüllt“, sagt Eickelberg.

Seit 2009 steht nahe des Elefanten ein weiteres, etwas unscheinbares Denkmal in jenem Grünstreifen, der heute Nelson-Mandela-Park heißt und tagsüber obdachlosen Menschen als Aufenthaltsort dient. Es ist das erste, bundesweit einzige Mahnmal seiner Art, das an den Genozid an den Herero und Nama erinnert: Ein Kreis mit Steinen aus der Omaheke-Wüste, in der 1904 rund 75.000 Menschen ermordet wurden. „Das Mahnmal ist leise und trotzdem laut“, sagte Eickelberg.

Das sehen jedoch nicht alle so: „Im Verhältnis zum gigantischen ‚Elefanten‘ wirkte diese kleine Landschaft aus Steinen geradezu als Beleidigung für die Erinnerung an die Opfer“, schrieb 2019 Steven Robins, Professor am Institut für Soziologie und Sozialanthropologie der Stellenbosch University in Südafrika in der taz. „Dieser schäbige Platz löste in mir heftige Gefühle von Wut über den mangelnden Ausdruck von Würde aus“, sagte der Professor. „Ich dachte bei mir, dass diese Gestaltung eines Genozid-Mahnmals niemals akzeptiert worden wäre, wenn die Opfer Juden gewesen wären.“

„Natürlich reicht das nicht aus“, sagt auch Virginie Kamche, Koordinatorin und Vorsitzende des Afrika Netzwerkes Bremen – „aber es ist ein Anfang“.